Mami Staffel 4 – Familienroman. Diverse Autoren
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»Ich komme leider zu wenig zum Lesen«, sagte Clemens, als die beiden davongesprungen waren. »Abends bin ich oft sehr abgespannt. Was tut man da, wenn man allein ist? Man setzt sich vor den Fernseher und läßt sich berieseln, was eigentlich falsch ist.«
»Das tun auch viele, die nicht allein sind«, warf Beate ein.
Clemens nickte. »Die Gespräche verstummen mehr und mehr. Das ist keine gute Entwicklung. – Wie wäre es«, unterbrach er sich, »trinken wir noch ein Glas Wein zusammen, Frau Herder?«
»Ich habe nichts dagegen«, lächelte sie, »obwohl –«
»Es nur ein kurzer Nachbarschaftsbesuch sein sollte, ich weiß. Aber eine angenehme Stunde sollte man nicht beschränken.«
Frau Scholl räumte den Teetisch ab, und er holte eine Flasche Wein und zwei Gläser herbei. Er fühlte sich ausgesprochen wohl in Beate Herders Gesellschaft. Ihre ungezwungene, natürliche Art gefiel ihm sehr.
»Auf gute Nachbarschaft!« sagte er, als er eingeschenkt hatte, und er ließ sein Glas gegen das ihre klingen. Dann kam er auf das vorhin angesprochene Thema zurück.
»Ein englischer Roman, von dem ich gehört habe, würde mich sehr interessieren.« Er nannte ihr Namen und Autor. »Leider reichen meine Sprachkenntnisse nicht aus, um ihn im Original zu lesen.«
Ihr hübsches Gesicht zeigte plötzlich einen verschmitzten Ausdruck. »Er ist soeben in deutscher Sprache erschienen, Herr Fabrizius. Es war ein schönes Stück Arbeit«, nickte sie vor sich hin.
»Oh – haben Sie ihn übersetzt?« entfuhr es Clemens überrascht.
»Ja, der Roman wird bald in allen Buchhandlungen zu haben sein. Die Auslieferung hat begonnen. Aber Sie können ihn auch von mir haben. Der Verlag hat mir bereits einige Exemplare zugeschickt.«
»Da müssen Sie mir aber etwas hineinschreiben«, sagte Clemens mit einem heiteren Lächeln. Doch er meinte es nicht so ernst. »Nein, nein, ich werde ihn mir schon kaufen«, fügte er hinzu.
Zwei Tage später aber überreichte ihm Frau Scholl ein Päckchen. »Das hat der Junge für Sie abgegeben, Herr Doktor.«
Es war das Buch. Mit nachbarschaftlichen Grüßen, Beate Herder hatte sie hineingeschrieben.
*
Manchmal rief Bianca an. Das Gespräch verlief immer in ungefähr gleicher Weise. Sie erkundigte sich, wie es um die Familie bestellt war, doch noch bevor ihr Mann recht Antwort geben konnte, berichtete sie schon von ihren Erfolgen, von den Kritiken, die des Lobes voll waren.
Natürlich war es auch ein Streß, räumte sie ein, alle paar Tage in einem anderen Hotel und nur aus dem Koffer zu leben.
»Du willst es ja nicht anders«, bemerkte Clemens.
»Der Applaus meines Publikums entschädigt mich für alles«, versicherte sie. Dann verlangte auch Sandra nach dem Hörer, und ihre Frage war auch stets dieselbe: »Kommst du bald wieder, Mami?«
»Noch nicht so bald, Schätzchen. Ich habe noch ein großes Programm.«
Als mehr als vier Wochen vergangen waren, verabredeten sie endlich ein Treffen. Clemens hatte Sehnsucht nach ihr.
»Aber wir sehen uns erst nach dem Konzert, ja, bitte«, sagte Bianca. »Es ist ausverkauft, du wirst deinen Platz in der Loge des Musikdirektors haben. Ich wohne im Sheraton-Hotel und werde dir dort ein Zimmer bestellen.«
Sandras Augen bettelten und flehten, daß er sie mitnehmen sollte. Sie träumte doch schon lange davon, ihre berühmte Mama auch einmal bei einem öffentlichen Auftritt zu erleben. Davon, daß sie sie zärtlich umarmen würde, bevor sie zur Bühne eilte.
Daraus wurde freilich nichts, auch wenn der Papa schließlich nachgegeben hatte und sie mitfahren durfte. Man ließ sie nicht vor. Es gab strikte Anweisung, die Künstlerin nicht zu stören.
Aber als Sandra dann mit ihrem Vater in der Loge saß, war diese erste Enttäuschung schnell vergessen. Staunend, mit großen Augen, beobachtete sie, was für eine Menschenmenge da in den großen Saal strömte. Die kamen nun alle, um das Klavierspiel ihrer Mama zu hören, und alle waren angezogen wie zu einem Fest. Ihr Papa hatte ja auch einen dunklen Anzug an, und sie das feine neue Kleidchen, das Frau Scholl extra für diesen Abend mit ihr gekauft hatte.
»Ich bin so aufgeregt, Papa«, flüsterte sie. »Kommt sie jetzt bald?«
Aber erst nach dem dritten Klingelzeichen, als jeder, aber auch jeder Platz besetzt war, wurde es still im Saal.
Und dann erschien sie auf der Bühne – Bianca Fabrizius – ihre Mutter!
Sandra hielt den Atem an. Wie wunderschön sie aussah in ihrem bodenlangen Kleid, wie eine Königin. Das Publikum empfing sie mit Applaus, aber als sie sich an den großen schwarzen Flügel setzte, war es wieder mucksmäuschenstill.
Und sie griff in die Tasten, zauberte Mozartklänge von unsagbarer Zartheit aus dem kostbaren Instrument, und mehr und mehr erfüllte die Musik den hohen Raum, manchmal leidenschaftlich und aufwühlend, dann wieder schwebend und träumerisch verhallend.
Ja, wie aus einem Traum erwachte das Kind, als das Konzert zu Ende war.
»Ist sie nicht wunderbar, Papa?« wisperte sie zu ihm empor.
»Ja, das ist sie.« Seine Stimme klang bewegt. »Komm«, er nahm sie bei der Hand und zog sie von ihrem Platz, »wir gehen jetzt zu ihr in die Garderobe.« Der Applaus verhallte hinter ihnen, als sie sich den Weg dorthin bahnten, aber noch verstummte er nicht.
Blumen über Blumen standen da in der Garderobe, und sie waren es nicht allein, die auf die Künstlerin warten mußten, denn wieder und wieder mußte sie sich ihrem dankbaren Publikum zeigen.
Endlich kam sie, erhitzt, strahlend, glücklich, leicht aufgelöst das goldrote Haar.
»Mami, Mami!« Sandra stürzte auf sie zu.
»Ja, mein Liebling, du hier?!« Weit breiteten sich Biancas Arme aus, um ihr Kind zu umfangen. Und dieser Moment war für Sandra nun noch schöner als alle Träume.
Dann begrüßte sie ihren Mann: »Clemens, schön, daß du gekommen bist.«
Er zog ihre Hand an die Lippen. »Du warst wieder großartig, Bianca.«
Schon umringten alle möglichen Leute die Künstlerin, um sie zu beglückwünschen. Sie waren laut, sie waren überschwenglich, Bianca genoß es und vergaß im allgemeinen Freudentaumel ihr Töchterchen. Bis ihr Blick wieder auf das Kind fiel, das da klein und verwirrt stand und sich an die Hand ihres Vaters klammerte.
»Clemens, bitte«, wandte sie sich an ihn, »fahr doch voraus und bring Sandra schon ins Bett. Wir sehen uns später im Hotel.« Und sie ließ sich, huldvoll lächelnd, von ihrem nächsten Bewunderer die Hand küssen. »Folgen Sie mir tatsächlich von Stadt zu Stadt, Baron?« hörte Clemens sie noch sagen, als er sein kleines Mädchen mit sich nahm.
Sandra sagte nicht mehr viel. Sie war nun sehr müde, so lange war sie noch nie aufgewesen. Sie schlief bald ein in dem breiten Bett, darin sie ganz