Der Sonderermittler. Hans Becker

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Der Sonderermittler - Hans Becker

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      Sangerhausen war damals eine kleine Bergarbeiterstadt mit etwa 23.000 Einwohnern. Die ganze Stadt lebte mit dem Bergwerk zur Gewinnung von Kupferschiefer. Es war wie in meiner Heimatstadt mit der Waggonfabrik.

      »Ich brühe erst mal einen Kaffee und dann erzähle ich euch alles. Ihr braucht keine Eile zu haben, es ist alles schon geklärt.« Und dann begann er: »Heute früh ist gegen 6.00 Uhr beim Schichtwechsel auf dem Schacht der diensthabende Untertageingenieur Müller nicht zur Arbeit erschienen, und da die Nachtschicht schon in der Waschanlage war und die Frühschicht nicht ohne Müller einfahren durfte, hat der Verantwortliche vom Leitstand die Produktion angehalten und bei Frau Müller angerufen und nach ihrem Mann gefragt. Diese hatte erstaunt geantwortet, er müsse doch auf dem Schacht sein, er wäre die ganze Nacht nicht zu Hause gewesen. Und so wurde ein Mann zur Garage des fehlenden Ingenieurs Müller geschickt, um nachzusehen, ob eventuell etwas mit dem Auto sei. Dieser war zurückgekommen und hatte berichtet, dass der Wagen in der Garage stehe, dass das Tor verschlossen sei und der Schlüssel innen steckte. Bei dieser Schilderung sah er nicht sonderlich glücklich aus: »Es ist das erste Mal seit Kriegsende, dass der Schacht ruht.«

      Der Leitstand hatte nun mehrere Männer mit dem Befehl zur Garage geschickt, diese aufzubrechen. Als wir erstaunt guckten, weil er von einem Befehl sprach, sagte er: »Ein Bergwerk ist wie eine große militärische Einrichtung, alles verläuft freundlich, aber nur mit Befehl.«

      Die Männer haben die Garagentür aufgebrochen und auf dem Fahrersitz den fehlenden Ingenieur Müller sitzen sehen. Er war offensichtlich tot. Auf dem Beifahrersitz saß eine halbnackte Frau. Diese atmete, war aber nicht ansprechbar. Der Motor des Pkw lief nicht. Die Situation entsprach der einer Vergiftung durch Auspuffgase, was dann auch von der Obduktion bestätigt wurde.

      Als die Männer sich bemühten, den Wagen rückwärts aus der Garage zu schieben, um Hilfe leisten zu können, und nach einem Krankenwagen gelaufen waren, kam Frau Müller zum Ereignisort und hatte mit weiblichem Scharfblick die Situation sofort erfasst. Sie rannte, ohne sich an der Garage aufzuhalten, weinend und schreiend in die Stadt.

      Lächelnd sagte der K-Leiter weiter: »So kam die Kripo zum Einsatz, es gab ja schließlich einen Toten. Die halbnackte Frau war mit dem Krankenwagen ins Krankenhaus eingeliefert worden. Sie hieß Brandt und war auch verheiratet. Meine Kriminalisten hatten anschließend in unserer kleinen Stadt nicht viel Mühe herauszufinden, dass Ingenieur Müller und die halbnackte Frau Brandt ein Verhältnis hatten. Das war in der Stadt offenbar bekannt und wie immer, wussten nur die betrogenen Ehepartner nichts davon.

      Meine Kriminalisten haben ermittelt, dass Frau Müller schreiend durch die Stadt gelaufen war und mehrmals gerufen habe: »Was hat die, was ich nicht habe?«, und dass die Stadt sich darüber erheiterte, da ja der Tod von Ingenieur Müller zunächst nicht bekannt war.«

      »Ihr seht, ihr habt nichts mehr zu tun, das Problem ist geklärt«, fuhr er fort, »ich zeige euch, wenn ihr wollt, die Garage und wir können auch auf den Leitstand gehen. Die Produktion läuft ja bereits wieder.«

      So verbrachten wir einen geruhsamen Tag in Sangerhausen. Hauptmann Grothe rief den K-Leiter in Halle an, und der war über die Ingangsetzung der Produktion mehr erfreut, als über den geklärten Unfall mit Todesfolge. Dann fuhren wir nach Halle zurück und hörten einige Tage später vom K-Leiter aus Sangerhausen, dass die halbe Stadt über Frau Müller lachte und die andere Hälfte den Tod ihres Mannes bedauerte. Es war wie immer im Leben, die einen freuen sich, die anderen klagen.

      Wir hatten nun nichts mehr mit diesem Unfall zu tun. Die Wochen und Monate vergingen, alle bereiteten sich auf das Weihnachtsfest vor. Zu dieser Zeit wurde in der DDR jede Gelegenheit genutzt, eine Feier auszurichten. Ob in den Betrieben oder den Arbeitskollektiven und in den Geschäften, überall wurde ausgiebig gefeiert. In den Betrieben gab es Volkstanzgruppen, es gab Zirkel der schreibenden Arbeiter und Fotozirkel der Werktätigen. Das Leben bestand nicht nur aus Arbeit, sondern auch aus Freude am Leben. Der Krieg war eine Weile vorbei, alle hatten Arbeit und konnten gut leben. Es waren die Jahre des Aufschwungs der DDR.

      Auch wir in Halle bereiteten uns auf die Weihnachtsfeier vor, wir hatten keinen Einsatz, und so feierten wir denn im damals üblichen Rahmen. Am ersten Arbeitstag nach Weihnachten rief uns der K-Leiter aus Sangerhausen an und berichtete von der Weihnachtsfeier im dortigen VPKA. Er unterbrach sich mehrmals mit leisem Gelächter. Der Saal sei reichlich weihnachtlich geschmückt gewesen, die Volkstanzgruppe hätte getanzt, an den Wänden hätten Bilder des Fotozirkels gehangen und er sei eine herrliche Feier gewesen. Der Zirkel der schreibenden Arbeiter habe in Versform die vergangenen Monate und Ereignisse in Sangerhausen vorgetragen. Er lachte wieder. Besonderen Beifall habe der letzte Vers des Vortrages erhalten:

      Doch Sangerhausens höchster Knüller

      war der Ritt mit dem Herrn Müller,

      den die liebe Frau von Brandt

      nur mit Mühe überstand.

      Nun lachten auch wir. Er erzählte noch, dass Frau Brandt nach der Scheidung aus Sangerhausen wegziehen werde. Heute kann ich sagen, dass dieser tödliche Unfall und seine Begleitumstände der einzige Todesfall war in meinen vielen Dienstjahren war, der nicht nur betrauert und beweint wurde.

      Eine Besonderheit im damaligen Bezirk Halle war der Saalkreis. Er umschloss die Stadt Halle, umfasste etwa 60 Dörfer und kleine Städte, erstreckte sich über 618 Qua­dratkilometer. Darin wohnten 1960 etwa 89.000 Menschen. Es gab bedeutende industrielle Anlagen, wie beispielsweise die Drahtseilwerke Rothenburg, die Zuckerfabrik Löbejün, die Maschinen- und Apparatewerke Landsberg und den Kalischacht in Teutschenthal. Dieser Saalkreis und seine Einwohner waren in der Zeit, als ich im Volkspolizei-Kreisamt Halle tätig war, mehrmals wegen kleinerer Delikte Gegenstand kriminalpolizeilicher Ermittlungen, und so kannte ich den Saalkreis ganz gut.

      Es war ein überwiegend ländlicher Kreis. Wir fuhren, wenn nötig, mit einem Motorrad dorthin, einen Pkw gab es für die Ermittlungen auf dem Lande nicht. Er war auch nicht nötig, denn vom Motorrad konnte man die Natur besser bewundern als im Pkw.

      Damals war in den Dörfern der Abschnittsbevollmächtigte der Volkspolizei (ABV) der Vertreter der Staatsmacht. Er hatte meist ein, manchmal aber auch zwei bis drei Dörfer zu betreuen. Er knatterte mit seinem Dienstmoped durch die Dörfer, hielt überall Sprechstunden ab, und es gab kaum jemanden, der seinen ABV nicht persönlich kannte. Er kannte alle Bewohner »seiner« Dörfer, wusste fast alles über die Menschen und hatte schon wegen seiner Nähe zu den Einwohnern viele Kontakte, meist wohnte er selbst ebenfalls im Dorf.

      Der ABV war aber nicht nur ein Vertreter der Staatsmacht, sondern er war, wie von einem berühmten Fußballer gesagt wurde, »einer von uns«. Es war nicht ungewöhnlich, dass der ABV auf dem Land Hühner hatte oder Gänse und Kaninchen fütterte. Und es war auch normal, dass wir lange vor Weihnachten wussten, welcher ABV uns zum Weihnachtsfest eine Gans oder ein Kaninchen verkaufen würde; natürlich küchenfertig. Und es war ganz normal, dass der ABV bei einem Schlachtfest sein Koppelzeug mit der Pistole an die Tür des Waschhauses hing und mitwerkelte.

      Normal war es auch, dass die Bauern, sie waren ja nun Angehörige der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG), am Wochenende mit dem Bus nach Halle ins Theater fuhren. In den Dörfern verschloss kaum einer seine Tür. Ein Hund gehörte einfach zum Hof und wurde nicht zur Abschreckung von Fremden benötigt. Ich will nicht sagen, dass wir damals auf dem Weg ins Paradies waren, es gab auch Probleme, aber wir hatten auf dem Land und auch in der Stadt Halle ein völlig anderes Leben als jetzt in der Gegenwart.

      Bei Demonstrationen zum 1. Mai oder aus Anlass der Gründung der DDR am 7. Oktober gab es keine gewalttätigen Auseinandersetzungen. Keiner kannte einen Wasserwerfer oder einen »schwarzen Block«. An solche Dinge war nicht zu denken. Das Wort

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