Der Sonderermittler. Hans Becker

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Der Sonderermittler - Hans Becker

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Funkwagen Oberarzt Dr. Simon, Leiter des Instituts für Gerichtliche Medizin der Martin-Luther-Universität Halle zum Fundort bitten. Aber auch er konnte nach der Besichtigung des Kopfes und der Hände sowie der nassen Kleidung nur ersuchen, die Leiche und den Rucksack in sein Institut zu bringen, wo er noch am gleichen Tag die gerichtliche Obduktion vornehmen wolle. Der Rucksack war noch immer am Körper der jungen Frau. Beide Riemen waren korrekt über die Schulter gezogen, und als wir uns fragten, wie das denn nach einer solchen Liegezeit im fließenden Wasser möglich sei, und die Leiche nun wendeten, sahen wir, dass beide Tragriemen vor der Brust mit einem Lederriemen verknotet waren. So erklärte sich, dass der Rucksack am Körper fixiert war. Der Rucksack war, das konnten wir von außen fühlen, ohne ihn zu öffnen, mit Steinen gefüllt. Nach den erforderlichen Fotografien, zunächst Leiche mit Rucksack und dann beides getrennt, transportierte ein Leichenwagen die sterblichen Überreste und den Rucksack in das Institut zu Dr. Simon. Obwohl am Gesicht und den Händen der Leiche keine Verletzungen sichtbar waren, ließ doch der schwere Rucksack eine Anbringung an der Leiche zum Zwecke des Verschwindens denken. Ein Verbrechensverdacht war durchaus berechtigt.

      Im Institut ließ Dr. Simon wieder die Leiche, den Rucksack und vor allem die Riemen, die wir ja am Saaleufer durchschnitten hatten, um die Leiche transportieren zu können, fotografieren. Der Rucksack erbrachte auf der Waage ein Gewicht von 41,2 Kilogramm.

      Bei der Obduktion wurde festgestellt, dass Ertrinken zum Tod der jungen Frau geführt hatte. Am Körper waren keinerlei Verletzungen feststellbar. Ihr Hymen war auch noch intakt. Ein Verbrechensverdacht trat damit in den Hintergrund, obwohl ja auch denkbar war, dass die Frau durch einen Täter, versehen mit dem Rucksack, in die Saale gestoßen worden war und der Rucksack ein Mittel zur Leichenbeseitigung sein konnte. Unser Interesse und auch das Interesse der Ärzte konzentrierte sich nun auf den Rucksack.

      Dr. Simon empfahl uns, den liegenden Rucksack an beiden Längsseiten aufzuschneiden, um das Innere näher inspizieren zu können. Die Schnur des Rucksacks war noch zugezogen, der Rucksack somit verschlossen, und wir hatten nur von außen gefühlt, dass Steine im Rucksack vermutet werden konnten.

      Nachdem beide Längsseiten mit Schere und Messer durchtrennt waren, konnten wir die Oberseite des Rucksackes aufklappen und das Innere des Rucksackes wurde sichtbar. Wir sahen viele Steine von unterschiedlicher Größe, auch einen halben Mauerstein.

      Alle hockten wir um den Rucksack und keiner wusste zunächst, irgendetwas zu sagen. Schon beim Durchschneiden der beiden Längsseiten des Rucksackes und dem Lösen der Schnur waren Steine aus dem Rucksack gepurzelt. Wir sahen nun, dass die Steine unterschiedlich groß waren, dass aber die großen Steine unten im Rucksack lagen und nach oben, also zur Verschlussschnur des Rucksackes hin, erkannten wir immer kleinere Steine. Niemand von uns hatte so etwas schon einmal gesehen, obwohl wir alle schon die unterschiedlichsten Beschwerungen an Verbrechensopfern gesehen hatten. Ich hatte da die wenigsten Erfahrungen. Was hatte das alles zu bedeuten, oder anders gefragt: Hatte es überhaupt etwas zu bedeuten? War es Zufall? Wir versuchten uns in die Gefühlswelt der Toten hineinzudenken.

      Dr. Simon brach das Schweigen: »Es muss eine Bedeutung haben, wenn wir unterstellen, sie war kein Verbrechensopfer, sondern eine Selbstmörderin aus irgendeinem noch unbekannten Motiv. Wenn wir unterstellen, sie ist eine Selbstmörderin gewesen, muss es einen Sinn haben, dass wir im Rucksack 41,2 kg Steine von unterschiedlicher Größe gefunden haben, die noch dazu nicht wahllos in den Rucksack gelegt wurden. Die großen Steine liegen unten im Rucksack, wir müssen deshalb annehmen, dass sie zuerst in den Rucksack gelangt waren. Nach oben, in Richtung der Verschnürung des Rucksackes werden die Steine immer kleiner. Wir denken immer noch an Selbstmord, da wir für ein Verbrechen keinen Anhalt haben.

      Wenn sie mit dem Entschluss zum Selbstmord unter Mitnahme des Rucksackes von zu Hause an die Saale gelaufen ist, die Entfernung wird ca. fünf Kilometer betragen, wird sie diesen Rucksack als Beschwerung gedacht haben, wenn sie in den Fluss geht. Deshalb wird sie Steine gesammelt haben mit dem Gedanken, in den Fluss zu gehen, wenn der Rucksack mit Steinen gefüllt ist.

      Sie kann aber sicherlich den Gedanken an den Selbstmord auch mehrmals verdrängt haben. Sei es aus Angst vor dem Tod oder dem kalten Wasser des Flusses. Sie kann diesen Gedanken immer wieder verdrängt haben und stets wieder ihren Todeswunsch im Sinn gehabt haben, aber auch andauernd wieder ihre Angst vor dem Tod oder dem kalten Wasser in den Hintergrund gedrängt haben, mit dem festen Entschluss, ich gehe in den Fluss, wenn der Rucksack gefüllt ist. Wegen dieser Gedanken kann sie ihren Tod vom Füllstand des Rucksackes abhängig gemacht haben und deshalb immer kleinere Steine gesammelt und oben in den Rucksack gelegt haben.«

      Diese Deutung überraschte mich. Ich hatte noch nie eine solche Interpretation der Fakten erlebt. Einmal hatte ich einen Film gesehen, wo aus der Deutung einer Zeichnung eines ermordeten Kindes die von ihm abgebildeten Igel als das Lockmittel ihres Mörders »Schokoladentrüffel« gedeutet worden waren. Der Film mit Gert Fröbe heißt Es geschah am helllichten Tag.

      Ich sagte ihm sofort, dass ich diese Deutung schlüssig fand. Auch der anwesende Staatsanwalt und der Assistenzarzt Dr. Bunk äußerten sofort Zustimmung. Wir besprachen noch mehrere Minuten diese Theorie und suchten nach anderen Varianten. Aber wir fanden keine andere Hypothese.

      Damit hatten wir die Vermisstensache als sehr wahrscheinlichen Suizid erkannt. Wir wussten aber nicht, warum ein junger Mensch ohne einen bisher von uns erkennbaren Grund aus dem Leben geschieden war. Deshalb beschlossen wir sofort, nochmals Ermittlungen in diese Richtung aufzunehmen. Jetzt gleich nach der Diskussion, buchstäblich noch an der Leiche der jungen Frau stehend.

      Nun hatten wir einen schweren Gang vor uns. Wir mussten die Eltern vom Auffinden ihres toten Kindes verständigen. Das waren immer sehr ergreifende, emotionsgeladene Gespräche, welche oft über Stunden verliefen. Wie sollten die Eltern begreifen, warum das alles geschehen war? Auf dieses Warum hatten auch wir keine Antwort. Obwohl wir schon mehrmals solche Gespräche mit Angehörigen in einem Selbsttötungsfall geführt hatten, waren wir auch diesmal wieder erschüttert von der Tatsache, dass etwas geschehen war, das keiner begreifen und verstehen konnte.

      Hauptmann Grothe und ich gingen, wenn es unsere berufliche Situation ermöglichte, immer gemeinsam mit dieser Nachricht zu den Angehörigen. Nie hat er mich als Vorgesetzter allein in eine solche schwierige Situation geschickt, wie er es durchaus auch gekonnt hätte. Wir untersuchten gemeinsam und gingen auch die schwierigen Schritte gemeinschaftlich.

      Nach langer Zeit unter Tränen und Fragen, die wir nicht beantworten konnten, sicherten wir den Eltern zu, ihre Tochter zu einer Verabschiedung vor der Beisetzung herrichten zu lassen und sie dann zu ihr zu begleiten. Eine persönliche Identifizierung der Leiche war aufgrund der Übereinstimmung der Bekleidung und des Rucksackes nicht nötig. Wir sicherten aber zu, sie auch beim Abschied von ihrem Kind zu begleiten und sie auch in dieser schweren Stunde nicht allein zu lassen. Dieses Versprechen gaben wir Angehörigen immer. Wir wussten, wie furchtbar es war, sich von Angehörigen zu verabschieden, egal ob sie durch Unfall, Suizid, natürlichen Tod oder Verbrechen zu Tode gekommen waren. Unsere Teilnahme an Verabschiedungen war ein Teil unseres schwierigen Berufes. Aber wir wussten auch, wie dankbar die Angehörigen waren, wenn wir sie in dieser schweren Stunde nicht allein ließen.

      Die Eltern waren fassungslos über die Erkenntnis, dass ihre Tochter freiwillig aus dem Leben gegangen war. Sie hatten keine Erklärung. Als wir in den folgenden Tagen, in der Zeit vor der Verabschiedung von ihrer Tochter, im studentischen Kreis wieder nach einem Hinweis auf ein Motiv forschten, begegnete uns nur Fassungslosigkeit. Keiner konnte einen Hinweis geben. Leider blieb es so bis zur Beisetzung, und auch danach kam nirgendwo eine Vermutung für den Grund des Geschehens auf. Das Geheimnis ihres Todes blieb ihr Geheimnis.

      In den vielen Jahren meiner Tätigkeit als Kriminalist habe ich nie wieder von einem vergleichbaren Phänomen gehört, gelesen oder gesehen. Vielleicht ist hier die uralte Erkenntnis, alles geschieht irgendwann und irgendwo zum ersten Mal, bestätigt worden.

      Doch

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