Der Sonderermittler. Hans Becker

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Der Sonderermittler - Hans Becker

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der Eröffnung der Parteiversammlung wurde bekannt, dass gegen den Autobastler, also Oberleutnant S., wegen nichtsozialistischen Verhaltens sowie des Versuchs der Restaurierung des Kapitalismus ein Parteiverfahren durchgeführt wird, mit dem Ziel, ihn aus der Partei auszuschließen und aus den Reihen der Volkspolizei auszustoßen. Alle waren verwundert, niemand wusste, was mit dem Vorwurf gemeint sein könnte. Das wurde erst in der Diskussion klar, die eigentlich keine war, weil vorbestimmte Redner nur immer den Vorwurf wiederholten.

      Der Teilnehmerkreis dieser Versammlung umfasste auch andere Abteilungen des VPKA, und so waren es fünfzig bis sechzig Anwesende. Nachdem der Ausschluss aus der Partei und der Ausstoß aus der Volkspolizei gefordert waren, meldete sich »Glöckchen« zu Wort. »Glöckchen« war bei uns in der Untersuchungsabteilung tätig. Alle wussten, dass er zwölf Jahre Haft und Konzentrationslager hinter sich hatte. Er war in der Zeit des Faschismus als Mitarbeiter der Halleschen Zeitung Die Freiheit im Untergrund tätig, und »Glöckchen« war sein Deckname. Er begann mit den Worten: »Nachdem nun lange genug Holz auf dem Rücken des Genossen S. gehackt wurde, will ich euch etwas erzählen, was offensichtlich auch bei der Stadtleitung nicht bekannt ist«: Und mit einer Tonart, die ich als drohend empfand, fuhr er fort: »Euch, die ihr im Krieg wart, will ich nicht fragen, was ihr im Krieg gemacht habt. Aber, was er gemacht hat, das will ich euch jetzt erzählen.«

      Im Saal war es ganz still. »Oberleutnant S. war als 18-Jähriger in die faschistische Wehrmacht eingezogen worden und hatte, als in der Sowjetunion noch gesiegt wurde, wenige Tage Heimaturlaub bekommen. In seinem Heimatdorf sah er eine Kolonne weiblicher Häftlinge zur Arbeit in einen Tagebau schlurfen. Er beschloss, eines dieser Mädchen zu befreien. Er schaffte das auch und seine Eltern versteckten das Mädchen bis zum Kriegsende. Welche Strafen seitens der Nazis für seine Eltern und für ihn zu erwarten waren, wisst ihr alle selbst.« Und er wiederholte: »Was ihr Alten im Krieg gemacht habt, das will ich euch nicht fragen, aber was er gemacht hat, habe ich euch jetzt noch nicht zu Ende erzählt. Nach dem Krieg und nach der Heimkehr aus der Gefangenschaft fand er dieses Mädchen noch bei seinen Eltern vor, heiratete sie, hat mit ihr drei Kinder. Wenn ihr ihn nun immer noch aus der Partei ausschließen wollt, könnt ihr gleich abstimmen. Ich stimme dagegen und wenn ich der einzige bin.« Es wurde nicht abgestimmt, auch der bereits gestellte Antrag nicht aufgehoben. Die Versammlung löste sich plötzlich ohne Schlusswort auf.

      Und nicht erst heute, wo ich nun weit über das 80. Lebensjahr bin, schäme ich mich dafür, dass ich mit für den Ausschluss dieses mutigen Mannes aus der Volkspolizei gestimmt hätte. Ich war, wie viele der anderen Kriminalisten, politisch zu unerfahren und wohl auch zu ängstlich, dem Antrag zu widersprechen, und noch immer bin ich sicher, dass wenn »Glöckchen« an diesem Tag gefehlt hätte, alle für den erhobenen Antrag gestimmt hätten.

      Nach dieser Versammlung wurde nicht mehr öffentlich darüber gesprochen, und wenn, dann nur mit den engsten Freunden. Heute kann jeder sich fragen, was diese Versammlung zum Ziel hatte. Ging es um exemplarische Erziehung wegen des Autos, was er sich aufgebaut hatte und was nun als Rückkehr zum Kapitalismus verurteilt wurde? Sollte allen anderen die eventuell vorhandene Hoffnung auf ein Auto als parteifeindliche Handlung begreiflich werden oder war es Ausdruck der allgemeinen Linie der SED im Kampf gegen kapitalistische Anwandlungen zum Privatbesitz von irgendwelchen Gegenständen? Oder war es eine Warnung an alle anderen oder einfach nur eine überzogene Parteimaßnahme? Es fand keinerlei öffentliche Diskussion statt.

      Und der Bastler, Oberleutnant S., wusste wohl auch nicht so richtig, was das alles sollte. Ich möchte auch heute noch annehmen, dass es eine Protesthaltung war, was er in den nächsten Wochen und Monaten tat. Ich glaubte damals und glaube es auch noch heute, dass die Bastelei an diesem alten Auto ihm einfach so eine Art Bedürfnis war. Ihn als Parteifeind einzuschätzen, war auch aus heutiger Sicht einfach Unsinn. Er begann nämlich wieder mit seinen nächtlichen Bastelausflügen in die VP-Bereitschaft. Und es funktionierte problemlos wie vor dieser Versammlung.

      Als er irgendwann gefragt wurde, was er nun dort mache, kam die Antwort: »Ich baue einen Panzer«. Das rief nur allgemeines Unverständnis hervor. So fuhr er wieder monatelang zu seinem Panzer. Und so war es wirklich nicht verwunderlich, dass so mancher, wenn die Rede auf den Panzer kam, einen Finger an die Stirn führte. Wir alle glaubten nicht an den Bau eines Panzers, wir stritten aber auch nicht mit ihm herum.

      Nach mehreren Monaten zeigte er von sich aus, ohne dass wir ihn provoziert hatten, ein Bild von einem Panzer. Das Bild hatte die Größe einer Postkarte und zeigte wirklich einen richtigen Panzer, mit Laufketten, einem Turm mit Kanone, eben einen richtigen Panzer. Er sah aus wie ein T-34, den wir ja alle irgendwo schon einmal gesehen hatten. Da aber außer dem Panzer nichts weiter abgebildet war, konnten wir uns keine Vorstellung von der Größe des Fahrzeugs machen. Die Meinungen gingen auseinander. Manche führten wieder den Finger an die Stirn und andere versuchten durch ein Fachgespräch weitere technische Dinge zu erfragen. Seine Antwort war aber immer: »Ich werde ihn mitbringen. Ich muss nur noch einen Lkw auftreiben, dann könnt ihr ihn anfassen«. Solche Gespräche endeten aber meist mit einem wehleidigen Lächeln.

      Eines Tages kam ich vor Dienstbeginn über den Hallmarkt in Richtung des Präsidiums (unser Dienstgebäude hieß Präsidium, nicht VPKA) und sah vor dem Haupteingang etwas fünfzig bis hundert Menschen stehen. Sie bildeten eine richtige Traube und standen um einen kleinen Panzer herum. Alle diskutierten, manch einer rief: »Das gibt es doch gar nicht!« Aber es war Tatsache, der Panzer war zwar kleiner als der T-34. Ich drängelte mich nach vorn und sah nun unseren Panzerbauer, Oberleutnant S., dort stehen und irgendetwas erklären. Um ihn herum mehrere junge Männer in drillichfarbenen Kombinationen, und ich begriff, dass das sein Panzer war. Es war irgendwie verrückt, diesen kleinen T-34 zu sehen, es war aber unstrittig ein Panzer. Der Panzerbauer sah mich dann in der Menge und warf mir einen triumphierenden Blick zu. In unserem Dienstzimmer wurde an diesem Tag nicht gearbeitet, sondern nur diskutiert. Er ging in den Zimmern herum und genoss seinen Triumph.

      Diese Geschichte ereignete sich 1958. In diesem Jahr fand in Halle eine Pionierparade statt und der Panzer fuhr im Demonstrationszug der Pioniere mit, auf seinen eigenen Ketten, und die Jungs von S. waren die Besatzung – einer war der Fahrer, die anderen beiden mussten laufen.

      1961 wurde ich auf die Offiziersschule des MdI nach Aschersleben delegiert. Nach dem hektischen Dienst war das geregelte Leben in einer kasernierten Schule doch sehr erholsam, obwohl uns im Unterricht nichts geschenkt wurde. Warum auch sollte uns der Dienstplan, der uns quer durch die Kriminalistik führte, etwas schenken? Wir hatten alle schon mehrere Jahre Diensterfahrung in den unterschiedlichen Bereichen der Kriminalpolizei gesammelt, waren aber nicht zu alt. Die meisten waren in meinem Alter.

      Ich hatte noch eine besondere Vergünstigung, um welche mich alle beneideten: Ich war immer noch Torwart in der Handballmannschaft von Dynamo Halle und wurde des Öfteren mit dem Mannschaftsbus abgeholt und wiedergebracht. So hatte ich mehr Freizeit als die anderen Studenten. Mit dem Eintritt in die Kriminalpolizei war ich seinerzeit auch zu Dynamo Halle gewechselt.

      Wenige Wochen nur vor Beendigung des Lehrganges wurde mir angeboten, in die Morduntersuchungskommission der Bezirksbehörde Halle der Deutschen Volkspolizei zu wechseln. Ich war sehr erfreut über dieses Angebot. Damals war die Arbeit in einer Morduntersuchungskommission (MUK) von hohem Ansehen begleitet und die Arbeit in der MUK die Sehnsucht vieler Kriminalisten. Natürlich wusste ich nicht, was auf mich zukäme. Aber ich hatte das Angebot, den Traum aller Kriminalisten zu verwirklichen. Selbstverständlich sagte ich zu und begann am 1. März 1962 meinen Dienst in der MUK.

      Das Leben in der MUK war ungleich schwieriger als die Tätigkeit im Präsidium. Die MUK bestand damals aus dem Leiter, mir als Sachbearbeiter, einem Kriminaltechniker und einem Kraftfahrer. Uns stand ein Pkw zur Verfügung, für welchen wir monatlich 3.000 Kilometer Benzindeputat hatten. Das zwang uns oftmals irgendwo weitab von unseren Familien zu übernachten, um nicht kostbare Kilometer für die Heimfahrt zu vergeuden. Durch Ermittlungsarbeit z.B. in Zeitz oder auch in Quedlinburg waren wir oft am Rande des Limits. Dieses ließ sich aber umgehen,

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