Der Sonderermittler. Hans Becker

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Der Sonderermittler - Hans Becker

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gelaufen, um die Polizei zu verständigen. Der Freund ihrer Tochter habe weinend im Schlafzimmer gestanden.

      Sie weinte ununterbrochen. Ich ging zur Frauenklinik und forderte von dort einen Arzt, den Leichentransport und eine Krankenschwester zur Betreuung der Mutter an. Das Mobiltelefon war noch nicht erfunden und im Auto hatten wir kein Funkgerät. Der Tatort war schnell vermessen und fotografiert. Aus der Situation heraus gab es nicht viel zu tun.

      Am nächsten Tag ging ich früh ins Institut für Gerichtliche Medizin, um an der Leichenöffnung teilzunehmen. Auch ein Staatsanwalt war gekommen. Die Ärzte stellten fest, dass die Frau durch beiderseitiges Würgen mit Bruch des Kehlkopfes und des Zungenbeines zu Tode gekommen war. Sie zählten 113 Messerstiche, welche nicht todesursächlich waren. Diese waren ihr erst nach dem Eintritt des Todes beigebracht worden. Es gab keine Anzeichen für eine sexuelle Aggression.

      Die Vorgeschichte des Dramas: Lothar entstammte einer Schaustellerfamilie. Seien Eltern betrieben ein kleines mobiles Unternehmen, zu welchem auch sein Onkel gehörte. Sie hatten zwei Wohnwagen, einen Küchenwagen und einen Vorführwagen mit aufklappbarer Seitenwand, welcher die Bühne war. Sie waren Schausteller mit Handpuppen. Mehrere Monate vor dem Drama hatte die getötete Frau, welche zu dieser Zeit Studentin in Halle war, einer Schau beigewohnt, Lothar gesehen, sich Hals über Kopf in ihn verliebt und sofort ihr Studium in Halle aufgegeben. Sie war schon nach wenigen Tagen zu Lothar in dessen Wohn-Schlafwagen eingezogen. Seine Eltern und der Onkel waren im anderen Wohnwagen zusammengerückt.

      Die Schausteller tingelten im Land umher, es war Sommer. Lothar und Ingrid waren grenzenlos verliebt, und so war die kleine Welt in Ordnung. Trotz der nicht luxuriösen Lebensumstände waren alle mit ihrem Leben zufrieden. Ingrid war die sexuell erfahrene und die erste Sexualpartnerin von Lothar.

      Eines Tages hatte Lothar seine Geliebte in ihrem Wohnwagen mit dem Onkel im Bett angetroffen. Nach einer wüsten Schlägerei hatte sich alles zunächst scheinbar wieder beruhigt. Lothar war in den anderen Wohnwagen umgezogen und seine Geliebte schlief allein im Wohnwagen. So ging es einige Wochen. Sie trafen sich nur im Küchenwagen. Lothar war misstrauisch und argwöhnte, dass beide ihr Verhältnis fortsetzen könnten, was aber sicherlich nicht möglich war, da seine Eltern ja auch wussten, was geschehen war.

      Lothar versuchte mehrmals, seine verlorene Liebe zurückzugewinnen. Das jedoch lehnte Ingrid ab. Ob aus Scham über ihren Verrat oder ob sie doch den Onkel mehr liebte, der auch mehr sexuelle Erfahrungen hatte als der unerfahrene Lothar, konnten wir nicht klären.

      Am Tattag waren beide gemeinsam vom Standort der Wagen in Halle zu ihrer Mutter gelaufen um dort, vielleicht mit Hilfe der Mutter, wie er hoffte, wieder einen Versöhnungsversuch unternehmen zu können. Lothar hatte für Ingrids Mutter einen großen Rosenstrauß gekauft. Dann lief der Versöhnungsversuch jedoch völlig aus dem Ruder. Lothar erzählte uns, sie habe beim Onkel bleiben wollen. Dann hätte er sie erwürgt, mit dem Messer gestochen und die Rosen um sie gelegt. Er war ohne Ausflüchte geständig, erklärte auch, dass er schon vor diesem Tag beschlossen hatte, sie zu töten, wenn sie beim Onkel bleiben wolle. So weit konnten wir ihm als Morduntersucher folgen. Auf unsere Frage nach dem »Warum« erklärte er uns seine Motivation, der wir zunächst nicht folgen wollten. Wir konnten aber bis zur Gerichtsverhandlung kein anderes Motiv von ihm erfahren: Er meinte ein Recht zu haben, sie zu töten. Es sei seit Jahrhunderten bei Schaustellern üblich, dass der untreue Mensch vom verratenen Partner getötet werden darf. Wir hatten beide Mühe, unsere Mimik zu beherrschen. Auch bei sofortigem Nachhaken kam die gleiche Antwort: »Ich hatte das Recht, sie zu töten.«

      Es war für uns unvorstellbar. Aber wir waren keine Schausteller und hatten von einer solchen Gepflogenheit oder so einem »Recht« zur Tötung noch nichts gehört. Natürlich vernahmen wir auch die Eltern und den Onkel intensiv, um dem von ihm behaupteten Recht auf Tötung der untreuen Geliebten näher zu kommen. Alle sagten, sie wussten, dass es vor Jahrhunderten in den Schaustellerfamilien ein solches Recht gegeben habe. Aber keiner wusste, ob ein solches »Recht« in anderen Schaustellerfamilien schon einmal in Anwendung gekommen war. Sie betonten immer wieder, wenn überhaupt, habe es einen solchen Brauch vor Jahrhunderten gegeben. Wir befragten auch die Gerichtsmediziner. Auch sie wussten nichts von einem solchen Brauch.

      Mehrmals versuchten wir in den Vernehmungen, von Lothar Näheres zu erfahren. Gegendarstellungen, dass, wenn überhaupt, ein solches Gebaren vor Jahrhunderten vielleicht üblich gewesen sei, dass wir aber jetzt in einer völlig anderen Zeit leben, konnten ihn nicht beeinflussen. Wir ließen ihn auf seine Zurechnungsfähigkeit, auf seine Fähigkeit, sich zu steuern und sich entsprechend zu verhalten, durch psychiatrische Gutachter untersuchen. Auch dort beharrte er auf seinem Recht zur Tötung der untreuen Geliebten. Ansonsten war er voll zurechnungsfähig und wurde vom Bezirksgericht Halle zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

      Wir haben ihn nach der Verurteilung aus den Augen verloren. Wir hatten aber auch nie den Eindruck, dass Lothar sich mit seiner Behauptung eine Verbesserung seiner Lage als Häftling oder der zu erwartenden Strafe erreichen wollte. Er beharrte auf seiner »Rechtsauffassung« und nahm die Strafe inkauf. Was konnten wir anderes tun als ihn bei seiner Meinung zu belassen?

      Der »sprechende« Rucksack

      Anfang der sechziger Jahre war in Halle eine junge Studentin spurlos verschwunden. Sie wohnte als einziges Kind bei ihren Eltern in einer kleinen Siedlung am Stadtrand von Halle. Wie immer beim Verschwinden eines Menschen war zunächst die zuständige Kriminalpolizei mit dem Problem befasst. Als nach etwa einer Woche noch immer kein Hinweis auf den Verbleib der jungen Frau bekannt wurde, erfolgte der Einsatz unserer Morduntersuchungskommission.

      Nach etwa insgesamt drei Wochen wussten wir fast alles über die junge Frau, über ihr Verhältnis zu ihren Eltern, zum Verhältnis der Eltern untereinander, über ihr studentisches Leben. Wir glaubten zumindest alles zu wissen.

      Auffällig war, dass die Eltern ihre Tochter nie in Begleitung eines Mannes oder einer Frau gesehen hatten. Ihre Tochter sei morgens mit dem Fahrrad zur Universität gefahren und irgendwann zurückgekehrt. Sexuelle Interessen oder Interesse an entsprechenden Gesprächen oder Aktivitäten hatten beide Eltern nie wahrgenommen. Auch in der Universität hörten wir Ähnliches, einen Intimpartner konnten wir nicht ausfindig machen. Für eine junge Frau von etwa 20 Jahren war das eine Auffälligkeit.

      In ihrem Zimmer waren alle persönlichen Ausweise, auch der Studentenausweis, alle Bekleidung, außer der gerade getragenen, vorhanden. Es fehlte nur ein Rucksack. Dieser hatte zwei braune Lederriemen und konnte mit einer Schnur zusammengezogen werden. Es war ihr Rucksack, und ihre Eltern hatten keine Vorstellung, warum gerade er fehlte, wo doch alles andere vorhanden war.

      Wir suchten in der kleinen Siedlung und auf den angrenzenden Wiesen und Gärten. Doch alles war vergeblich. Die junge Frau blieb verschwunden.

      Mit Hilfe der Bezirksverwaltung (BV) für Staatssicherheit versuchten wir Hinweise zu erlangen, die auf ein ungesetzliches Verlassen der DDR hinwiesen. Die Eltern haben eine solche Möglichkeit immer ausgeschlossen, da es auch keine Verwandtschaft in der Bundesrepublik gab. Aber auch das MfS konnte keine Hinweise finden.

      Vier Wochen später wurde am Saaleufer eine bekleidete Frauenleiche aufgefunden, die einen Rucksack trug. Die Frau war durch den Rückgang des Saalewassers sichtbar geworden. Wir übernahmen sofort die weiteren Untersuchungen. Der Fundort war bereits durch Volkspolizisten gesichert, als wir dort ankamen. Die Leiche war aus dem schlammigen Uferbereich herausgezogen worden und lag etwas höher am Ufer. Es war ein trauriger Anblick, der sich uns bot.

      Um überhaupt Näheres sehen zu können, blieb uns nach den erforderlichen Aufnahmen zunächst nur übrig, die Leiche und den Rucksack vom anhaftenden Schlamm zu reinigen. Es gab aber keinen Zweifel, dass wir die verschwundene Studentin vor uns liegen hatten. Ihre Bekleidung stimmte mit den Angaben der Eltern überein, und da war ja auch noch der Rucksack.

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