Die Frau am Dienstag. Massimo Carlotto

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Die Frau am Dienstag - Massimo Carlotto Transfer Bibliothek

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verbarg.

      In der Pause war er von den anderen neugierig gefragt worden, was mit ihm los gewesen sei. Da er nicht die Wahrheit sagen konnte, hatte er die Geschichte eines an AIDS erkrankten Freundes erfunden, der nach jahrelangem, heroischem Kampf gegen das Virus am Vorabend gestorben sei. Damit war die Sache erledigt. Das Wort AIDS in den Mund zu nehmen hatte gereicht, um alle weiteren Nachfragen im Keim zu ersticken.

      Doch jetzt musste er dem Produzenten versichern, dass sich ein solcher Vorfall nicht wiederholen werde, denn sonst musste er mit Konsequenzen rechnen.

      Mit einundvierzig war die Konkurrenz immerhin groß, und er musste sich behaupten. Zum Glück wurden in solchen auf Ehe und Kirche basierenden Geschichten keine Rollen mit Schwarzen besetzt, die ansonsten immer häufiger in den Produktionen auftauchten, nicht zuletzt, weil sie weniger kosteten. Das Rotlichtmilieu war eben das genaue Abbild einer Gesellschaft, die von gleichen Rechten, Gesetzen und Gott faselte, aber ganz anders handelte.

      Die weißen Darsteller hingegen, besonders die aus Osteuropa, versuchten ihr Territorium mit den gleichen Argumenten zu verteidigen wie Politiker. Allerdings hielt er sich bewusst von diesen Diskussionen fern, da ihm längst klar geworden war, dass die Schwarzen im Pornobusiness genau wie im Sport bald die Mehrzahl stellen würden. Sie besaßen diese besondere Faszination, die man in der Branche negrame nannte, eine Bezeichnung, die aus dem kubanischen Spanisch stammte und besonders große, attraktive und leistungsfähige Schwänze beschrieb. Eine ursprüngliche, natürliche Manneskraft, die Begehren und Lust versprach. Die Weißen hatten all das verloren.

      Vor allem er.

      Und ob ihn in Zukunft die Sinnlichkeit einer Brustwarze oder das Lächeln einer Bühnenbildnerin ein weiteres Mal zu Tränen rühren würde, vermochte er weiß Gott nicht zu sagen.

      Das ganze Dilemma hatte mit seinem Schlaganfall begonnen. An einem kühlen und grauen Januarmorgen, wie er für die Poebene typisch war, hatte er in der Bar gefrühstückt und war anschließend zum Fitnessstudio aufgebrochen. Unvermittelt hatte er sich irgendwo am Boden liegend wiedergefunden, bis nach neunzehn langen Minuten der Krankenwagen gekommen war, was er eher vom Hörensagen wusste. Seine Erinnerungen jedenfalls waren verworren.

      Nach einem Hirnschlag könne plötzliches, völlig unmotiviertes Weinen auftreten, hatten ihm die Ärzte erklärt, als sie ihn über mögliche Folgen aufklärten, gesprochen hatte er mit niemandem darüber, sonst hätte er sich gar nicht mehr für eine Rolle zu bewerben brauchen. In seiner Branche musste man immer gut drauf sein, jede Krankheit war gleichbedeutend mit irgendeinem Übel, mit Ansteckung, mit Gefahr. Und das bedeutete, dass man nicht mehr als verlässlich galt. Aus diesem Grund sagte man lieber nichts.

      Trotzdem wusste er genau, dass es bloß eine Frage der Zeit war, bis er den Job an den Nagel hängen musste. Seit die Ärzte ihm gesagt hatten, dass er die Pillen und all die anderen Wundermittelchen für seine Potenz nicht mehr nehmen dürfe, wusste er, dass das Ende in Sicht war.

      „Ich habe allein dieses Arbeitsgerät, und das muss funktionieren“, hatte er gestammelt.

      „Versuchen Sie es mit Eiweißpräparaten“, war der Rat einer gut aussehenden Ärztin gewesen, der vom stellvertretenden Chefarzt sofort entkräftet wurde. „Das hilft höchstens bei einem morgendlichen Quickie.“

      Neben dem Wort Krankheit war die Bezeichnung Quickie in seiner Branche tabu. Sofern der Penis in der Größe nicht mit anderen Hengsten konkurrieren konnte, musste zumindest die Dauer der Erektion stimmen. Und die Fähigkeit, selbst bei häufigen Unterbrechungen beim Dreh sofort wieder einsatzbereit zu sein. Als er vor vielen Jahren mit dem Job begonnen hatte, waren chemische Hilfsmittel wenig verbreitet gewesen, doch ganz selten hatte ihm die nötige Standfestigkeit gefehlt, da ihm Sex Spaß machte. Wenn die Auftragslage beim Film schlecht war, hatte er deshalb nebenher als Gigolo gearbeitet.

      Am Tag stand er vor der Kamera, nachts ging er auf den Strich.

      Als man ihm das erste Mal angeboten hatte, als Gigolo zu arbeiten, war ihm eingefallen, mal gehört zu haben, dass die Bezeichnung für diesen Beruf vom französischen giguer, gigoter kam, was so viel wie tanzen oder strampeln bedeutete. Daraufhin wurde er Experte dafür, auf den Tanzflächen der Diskotheken in den umliegenden Badeorten herumzuwirbeln, während die kurenden Damen zwischen vierzig und fünfzig ihm begehrliche Blicke zuwarfen. Am Ende des Abends gab es immer eine, die für ihn bezahlte. Er wusste, was zu tun war, die Frauen vertrauten sich ihm an, und er tat alles, um ihnen ihre geheimsten Wünsche zu erfüllen. Mit Leidenschaft und Fantasie.

      Mittlerweile hatte er gerade mal eine einzige Kundin: die Dienstagsfrau.

      Sie war keine Bekanntschaft aus der Diskothek, sondern war zu ihm gekommen, nachdem ihr eine Bekannte, die er Ende Juli in Bellaria getroffen hatte, von ihm erzählt hatte. Und aufgrund der ausgesprochen positiven Beurteilung war sie zu ihm in die Pension Lisbona gekommen, in der er seit einer Ewigkeit wohnte.

      „Ich nehme nicht an, dass Sie ein Zimmer mieten wollen“, hatte Signor Alfredo, der Besitzer, sie an der Rezeption begrüßt.

      „Um Gottes willen, nein“, hatte sie schockiert geantwortet und ihn überrascht gemustert, weil ihr männliches Gegenüber Frauenkleidung trug. „Ich suche nach einem Herrn namens Bonamente Fanzago.“

      „Zimmer drei“, hatte Alfredo gesagt und seine Perücke geradegerückt.

      Eine Stunde später war sie sorgfältig gekleidet wieder herausgekommen und hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass sie wiederkommen werde, immer dienstags zwischen drei und vier.

      Seit neun Jahren tat sie das, begrüßte ihn, legte das Geld auf den Tisch, zog sich aus, faltete ordentlich ihre Kleider zusammen und glitt unter die Decke, nachdem sie vorher überprüft hatte, ob das Laken sauber war. Was den Sex betraf, verlangte sie nichts Extravagantes, einen klassischen Akt, bei dem sie den Rhythmus vorgab.

      Die ideale Kundin. Vielleicht ein wenig zu penibel. Einmal hatte sie missbilligend den Mülleimer betrachtet und ihm einen Vortrag über Mülltrennung gehalten. Für die Zukunft der Menschheit. Auf der Schwelle war ein weiterer Hinweis gefolgt.

      „Und das Präservativ bitte nicht ins Klo werfen!“

      „Das mache ich nie“, hatte er geantwortet, was natürlich eine glatte Lüge war.

      Im Grunde fand er sie etwas überkorrekt und war überzeugt, das einzige außerplanmäßige Detail in ihrem Leben zu sein. Er und das Treffen jeden Dienstag zwischen drei und vier.

      Im vierten Jahr schließlich hatte er sich in sie verliebt und zu Beginn des siebten Jahres den Fehler begangen, ihr seine Gefühle zu offenbaren.

      Zum ersten Mal in seinem Leben war er so von seinen Empfindungen übermannt worden, dass er nicht darauf achtete, was er sagte. Vielleicht hatte er sogar genau das Falsche von sich gegeben. Zumindest war sie daraufhin acht Monate lang nicht mehr aufgetaucht. Acht schreckliche Monate. Er wollte nach ihr suchen, bloß kannte er nicht einmal ihren Namen, so war das üblich für die Beziehung zwischen Kundin und Gigolo.

      Eines Dienstags dann war sie wieder da gewesen, als ob nichts passiert wäre, und hatte das Geld an die gewohnte Stelle gelegt. Er hatte sie voller Leidenschaft und Wärme geliebt, aber ihr stand der Sinn ausschließlich nach dem körperlichen Akt. Mit Vehemenz hatte sie auf einen zweiten Orgasmus gedrängt, um offenbar für die lange Zeit der Abstinenz entschädigt zu werden.

      Und nach dem Sex hatte sie sich außerdem nicht gleich wieder angezogen, sondern aus einer kleinen Ledertasche eine Flasche Whisky und zwei Gläser hervorgezogen, sie beide gefüllt und ihm

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