Die Frau am Dienstag. Massimo Carlotto

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Die Frau am Dienstag - Massimo Carlotto Transfer Bibliothek

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informiert hatte, als sie wie jeden Dienstag dort aufgetaucht war. Und weil er ihr nicht traute, hatte er ihr gewaltig Angst gemacht.

      „Signor Fanzago geht es sehr, sehr schlecht, er fragt ständig nach Ihnen. Ich würde an Ihrer Stelle lieber mal ins Krankenhaus gehen und diesen armen Mann ein wenig zu trösten versuchen.“

      Er selbst besuchte ihn jeden Tag, in männlicher Ausführung. Er trug Jackett und Krawatte, dazu hoch sitzende Hosen, wie sie alte Männer trugen. Lediglich wenn man ihn genauer anschaute, erkannte man einen Hauch Make-up im Gesicht, den er vergessen hatte wegzuwischen.

      „Ist das Ihr Vater?“, fragten die Krankenschwestern, die den komischen Typ mochten, der ihnen sonntags immer Süßigkeiten mitbrachte.

      „Um Gottes willen, das ist mein bester Freund“, antwortete Bonamente.

      Zu gut erinnerte er sich noch daran, wie er das erste Mal die Pension Lisbona betreten hatte, die ihm von einer Maskenbildnerin empfohlen worden war.

      Alfredo hatte eine verführerische Pin-up-Pose eingenommen und gesagt: „Hier nennen mich alle Signor Alfredo, aber wie du siehst, bin ich eine schöne Frau und möchte auch als solche behandelt werden.“

      In diesem Moment hatte Bonamente gewusst, dass das der richtige Ort für ihn war.

      Der Pensionsbesitzer hasste die Dienstagsfrau abgrundtief. Vor allem konnte er nicht ertragen, dass sie ihn nie eines Blickes würdigte. Dabei zog er extra für sie seine raffiniertesten Looks an. Egal, was er trug, sie tat so, als ob die Rezeption verwaist sei, und marschierte direkt auf Zimmer drei. Signor Alfredo, der sich mit dieser Kränkung nicht abfinden wollte, wurde nicht müde, Bonamente die immer gleiche alberne Behauptung vorzutragen.

      „Nach all den Jahren kann sie sich einfach nicht damit abfinden, dass ich eleganter bin als sie.“

      Sobald aber Bonamente Signor Alfredo in seine Liebespein mit einbinden wollte, brummte dieser nur:

      „Diese Frau ist eine Schlampe. Es macht ihr Spaß, dich leiden zu sehen. Ihr werdet nie ein Paar werden, gib dich damit zufrieden, mit ihr ins Bett zu gehen und dich dafür bezahlen zu lassen.“ Wenn er darauf keine Antwort bekam, legte er nach. „Und da wir beim Thema sind: Sei einmal ein Mann und lass dich nicht so ausnehmen. Erhöhe deinen Tarif, sie zahlt bestimmt seit Jahren das Gleiche.“

      Signor Alfredo war ein Original. Mit Nachnamen hieß er Guastini und war vor mehr als dreißig Jahren aus dem Nichts im Viertel aufgetaucht. Niemand kannte ihn.

      Seiner eigenen Auskunft nach hatte er lange in Lissabon gelebt, einer Stadt, mit der er ganz besondere Erinnerungen verbinden musste, denn jedes Mal, wenn er über sie sprach, und das kam nicht selten vor, seufzte er sehnsüchtig.

      „Ach, Lissabon. Diese Sonnenuntergänge, diese Leidenschaft, diese Liebe, einfach verrückt“, sagte er immer wieder mit träumerischem Gesichtsausdruck.

      Innerhalb der Pension zeigte Alfredo sich ausschließlich in Frauenkleidern, und über seine kurzen, schwarz gefärbten Haare stülpte er eine Perücke. Besonders liebte er ein Modell aus aschblonden, mehr als einen halben Meter langen Locken, das wie ein Wasserfall aussah und zu einem Vamp gepasst hätte.

      Haare waren seine Leidenschaft. Er wechselte an einem einzigen Morgen dreimal die Perücke und war Stammkunde bei einer Modistin, die sich beruflich seit Längerem zurückgezogen hatte, aber immer noch mit goldenen Händen punktete.

      Bonamente mochte ihn, warum, wusste er nicht so genau. Er erinnerte ihn an eine Tante, die er als Kind sehr gerngehabt hatte. Wie auch immer. Sein Vermieter war in seinen Augen wunderbar, sensibel und ausgesprochen freundlich. Die Pension Lisbona war sein Reich, das er höchst ungern verließ, weil er außerhalb der schützenden Mauern Männerkleider tragen musste.

      „Ich habe Angst, einer Wahrheit ins Auge zu sehen, die ich seit jeher in mir trage. Nur kann ich mich heute nicht mehr wehren, nicht mal mit Worten.“

      Bonamente verstand ihn. Toleriert wurde ein Transvestit höchstens dann, wenn er jung genug war, für eine Frau gehalten zu werden, mit der man erotische Fantasien verband. Unmöglich bei einem alten Mann in Rock und High Heels. Früher, als Alfredo noch „die Schöne“ genannt worden war, waren die Zimmer immer belegt gewesen. Da waren die Zimmer ausgebucht gewesen, vor allem mit Handlungsreisenden. Und er selbst hatte sich hingebungsvoll um seine Gäste gekümmert und sogar hin und wieder eine Nacht mit dem einen oder anderen verbracht. Nicht gegen Bezahlung, sondern aus echter Leidenschaft, versteht sich.

      Seit mehr als fünfzehn Jahren wohnte der ehemalige Pornostar in Zimmer drei. Er hatte das langsame, stetige Ausbleiben der Gäste hautnah miterlebt. Allein Professor Federico Bassi aus Neapel, ein kluger Mann mit Sinn für Ironie, hielt der Pension die Treue. Er hatte Spanisch an der Universität unterrichtet und war häufig wegen beruflicher Verpflichtungen in die Stadt gekommen. Seit er allerdings in den Ruhestand getreten war, kam er bedeutend seltener in den Norden. Angeblich, weil seine Kinder keine Notwendigkeit darin sahen.

      Dennoch bestand zwischen Bassi und Alfredo weiterhin eine tiefe Verbindung. Bonamente sah es an den leuchtenden Augen, wenn sich die beiden im Salon der Pension gegenübersaßen und sich leise unterhielten, und beneidete sie um diese Vertrautheit, die er sich mit der Dienstagsfrau selbst so sehr wünschte.

      Erstaunlicherweise beschwerte sich Signor Alfredo nie über die leeren Zimmer. Ganz offensichtlich hatte er keine finanziellen Sorgen, wobei Bonamente absolut nicht wusste, woher das Geld kam, das immer wieder in die Räume investiert wurde.

      Es handelte sich um sechs Zimmer, die auf zwei große Wohnungen in einem eleganten Palazzo auf der Piazza Risorgimento verteilt waren. Groß und geschmackvoll eingerichtet, verfügte jedes über ein King-Size-Bett. Am häufigsten war das Zimmer seines Dauergastes Bonamente renoviert worden, und zwar ganz nach dessen eigenen Vorstellungen und Wünschen.

      „Wichtig ist, dass du bei mir bleibst, sonst findet dich deine Signora nicht wieder“, hielt er ihm immer wieder vor, als würde er fürchten, der jüngere Mann könnte sich etwas Eigenes suchen.

      Dabei wäre Bonamente nicht im Traum auf die Idee gekommen, Alfredo zu verlassen. Nachdem er aus dem Elternhaus ausgezogen war, hatte er immer in Pensionen gelebt. Für ihn waren das Umgebungen, in denen er keinerlei Verpflichtungen hatte, außer dass er die Rechnung bezahlen musste.

      Keine Mahlzeiten im Kreis der Familie, keine Familienfeiern, keine Geburtstage, keine Gedenktage. Die Idee, allein unter Unbekannten zu leben, gefiel ihm. Mit Menschen, die womöglich interessant waren, aber keinerlei Spuren in seiner Existenz hinterlassen würden. Wirklich wichtig waren für ihn einzig und allein Signor Alfredo und die Dienstagsfrau. Ohne sie konnte er nicht leben.

      Die Nächte waren manchmal schlimm. Da suchten ihn nach wie vor die Schatten der Vergangenheit aus seiner frühen Jugend heim, zuerst die Gesichter, dann zusätzlich die Möbel und Gegenstände aus dem Haus, in dem er aufgewachsen war. Der Streit um das Erbe sowie die Abtreibungen zahlreicher, unschuldiger Zimmermädchen hatten die Familie gespalten. Selbst ein Lächeln oder eine unschuldige Umarmung hatten zu Schwierigkeiten führen und Bestrafungen nach sich ziehen können. Da hatte keine Rolle gespielt, dass er noch ein Kind gewesen war.

      Als Bonamente in der Pension ankam, traf er an der Tür Signora Erminia. Sie hielt die Zimmer in Ordnung, ihr Mann Rolando war der Hausmeister.

      „Beeil dich, Guastini hat gerade das Risotto fertig“, sagte sie lächelnd. Sie nannte Signor Alfredo immer beim Nachnamen.

      Als noch mehr Gäste die Pension besuchten, hatte es zusätzlich

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