Die Frau am Dienstag. Massimo Carlotto

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Die Frau am Dienstag - Massimo Carlotto Transfer Bibliothek

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Leben fragen. In diesem jedenfalls haben wir darüber nicht gesprochen. Mit meinem ältesten Sohn Luigi wollte ich eigentlich darüber reden, doch er war schockiert und bat mich, das Thema nicht mehr zu erwähnen. Deshalb erzähle ich es Ihnen, Sie haben ja keinerlei Vorbehalte, sonst hätten Sie es nie so lange in der Pension Lisbona ausgehalten.“

      Einmal mehr fühlte sich Bonamente in seiner Überzeugung bestätigt, dass Familienbande eine teuflische Falle waren. Sie verboten es den Menschen, sich frei auszuleben, zwangen sie sogar zur Lüge, zu Ausflüchten und Betrug. So wie der Professor sein Leben verbracht hatte, wollte er seines nicht verbringen.

      Bassi riss ihn aus seinen Gedanken, indem er ihm auf den Arm tippte, damit er ihm weiter zuhörte.

      „Mein ganzes Leben lang haben meine Freunde und die Experten, die ich dafür bezahlte, Ordnung in mein Sexualleben zu bringen versucht, mir gesagt, ich sei verwirrt wegen meiner Bisexualität. Vielleicht hatten sie damit nicht unrecht, nur bin ich inzwischen davon überzeugt, dass man das Recht hat, in sexueller Hinsicht verwirrt zu sein. Niemand sollte etwas dagegen sagen oder es ändern wollen. Meinen Sie nicht?“

      Bonamente zuckte mit den Schultern. Er hatte zu diesem Thema keine feste Meinung. Zwar gab er dem Professor instinktiv recht, fürchtete allerdings, dass er in komplizierte Diskussionen verwickelt würde, darum stand er auf und ging unter dem Protest Bassis zur Kassa und beglich die Rechnung.

      Am Montagmorgen erschien der Professor elegant gekleidet zum Frühstück und begrüßte Bonamente flüchtig, der gerade Getreideflocken in eine Tasse Mandelmilch schüttete.

      Signor Alfredo strich ihm über die Schulter: „Alles gut, Frederico?“

      „Ich muss mit dir reden“, sagte Bassi und starrte betreten zu Boden, während Alfredo ahnungsvoll zusammenzuckte, als hätte ihm jemand in die Rippen geboxt.

      Auch der Mieter begriff, dass Ungemach bevorstand, und erhob sich schnell, um in der nächsten Bar ein angenehmeres Frühstück zu sich zu nehmen.

      „Ich werde nicht mehr kommen“, flüsterte der Professor mit brüchiger Stimme, nachdem sie allein waren.

      „Wegen der Kinder?“

      Bassi nickte. „Wenn sie klein sind, sind sie von dir abhängig, sobald sie dann erwachsen sind, übernehmen sie die Kontrolle über dein Leben. Und wenn du alt geworden bist, liegt dein Schicksal ganz in ihrer Hand. Sie lassen dich für alles bezahlen, was du in der Jugend bei ihnen falsch gemacht hast, und im Namen der Gesundheit und des angeblichen Wohlbefindens nehmen sie dir noch die letzten Freuden. Auf diese Weise lebst du länger, bist dafür unglücklicher.“

      „Du hättest dich deinem Sohn vielleicht nicht anvertrauen sollen.“

      „Ich habe gehofft, dass er mich versteht und mich dabei unterstützt, hierher zu dir zu ziehen. Jetzt hat er nichts als Angst, dass ich mich und damit ihn lächerlich mache.“

      Als sein langjähriger Liebhaber in sein Zimmer zurückgekehrt war, um zu packen, ließ Signor Alfredo seinen Tränen freien Lauf und folgte Federico nach einer Weile. Lange hielten sie sich im Arm, küssten sich und flüsterten letzte Worte der Liebe.

      „Ich muss gehen, meine Königin“, verabschiedete sich der Professor, während Alfredo in sein Zimmer zurückkehrte, sich einschloss und es Erminia überließ, Bassi zur Tür zu begleiten. Es war nicht der erste Abschied, den sie in der Pension Lisbona erlebte, sie war sich indes ziemlich sicher, dass es der letzte sein würde.

      Als Bonamente zurückkehrte, lag eine drückende Stille über der Pension. Als wäre jemand gestorben. Fluchtartig verließ er den traurigen Ort, streifte unschlüssig durch die Straßen und landete schließlich in der Bingohalle, in die er öfter ging. Selbst am Morgen war sie bereits gut gefüllt. Wie immer setzte er sich an den Tisch mit den Chinesen, die seiner Meinung nach Glück brachten.

      Er nahm sich vor, besonders auf die Spieler zu achten, die „Bingo“ riefen, ihre Freude rührte ihn. Einmal hatte ihn ihr Erfolg so sehr bewegt, dass er eine halbe Stunde weinend auf der Toilette gesessen hatte, bevor er sich wieder beruhigt hatte.

      Signor Alfredo hatte sich in seinem Zimmer verbarrikadiert. Er blieb dort, bis es Nacht wurde und sein einziger Gast schlief. Er wollte nicht in seiner Verzweiflung gesehen werden. Im Nachthemd begab er sich schließlich in die Küche, machte sich etwas Milch warm und aß den restlichen Kuchen, den er für seinen König gebacken hatte.

      In den vergangenen Jahren hatte er so sehr darauf gehofft, dass sein König eines Tages zu ihm in die Pension ziehen würde. Alles allerdings einfach gottergeben hinzunehmen, dazu war er nicht bereit. Zu sehr haderte er mit dem Schicksal, das zwei alte Männer trennen wollte, die sich liebten. Ihm fehlten die Zeit und die Energie, sich die Zukunft neu zu erfinden. Der Einzige, an den er sich klammern konnte, war Bonamente. Resigniert betrachtete er seinen alten Körper im Spiegel. Egal, um ihn würde er mit dem Schicksal kämpfen.

      Am Dienstag kam die Dienstagsfrau pünktlich um drei. Sie hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, an dem Besitzer der Pension vorbeizugehen, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, und direkt auf Bonamentes Zimmer zuzusteuern.

      An diesem Nachmittag hingegen packte Signor Alfredo, der einen grünen Hut mit einem Schleier in gleicher Farbe trug, um seine rot geweinten Augen zu verbergen, die hochnäsige Dame am Arm.

      „Sorgen Sie dafür, dass er nicht in diesem Film mitspielt“, forderte er sie entschlossen auf.

      Sie verdrehte die Augen. „Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen. Es interessiert mich nicht und geht mich zudem nichts an.“

      „Ach nein? Dann sollten Sie sich langsam fragen, ob Sie an den Trauerfeierlichkeiten für Ihren Lieblingsgigolo teilnehmen wollen oder nicht. Es dürfte eine interessante Erfahrung werden, die Sie Ihren neugierigen Freundinnen erzählen können.“

      Die Dame war empört. Eine Stunde Vergnügen in der Woche, und selbst das nicht mal regelmäßig, wenn man die Feiertage, den Urlaub und unvorhergesehene Ereignisse abzog, und diese alte Transe vergeudete ihre kostbare Zeit. Ganz davon abgesehen, dass er ihre erotischen Fantasien störte.

      „In Ordnung, ich werde darüber nachdenken, ob ich an der Trauerfeier teilnehmen werde.“

      Alfredo verstand die Welt nicht mehr. Da richtete er das Wort an sie, weil er sich ernsthafte Sorgen machte, und dann eine solche Antwort.

      „Der arme Bonamente kann es sich nicht erlauben, irgendwelche Medikamente zu nehmen, damit er eine fürs Kino passende Erektion hat, und ich fürchte, dass er bei Ihnen auch diesen Unsinn treibt, damit er Sie als Kundin nicht verliert.“

      „Schluss, er ist ein erwachsener Mann und kann jederzeit auf mein Geld verzichten, wenn ihm danach ist“, sagte die Dienstagsfrau in noch eisigerem Ton und entfernte sich raschen Schrittes.

      Alfredo schaute ihr hinterher und überlegte, ob er es falsch angepackt hatte. Nein, diese Frau war einfach eine blöde Kuh, und mit ihrem Verhalten würde sie die Situation noch schlimmer machen.

      Der Junge hatte etwas Besseres verdient. Dem Transvestiten war seit Langem klar, dass er von Frauen überhaupt nichts verstand. Und von Männern desgleichen nicht, wenn man mal ehrlich war. Er war ein wunderbarer Mensch, dem man auf die Sprünge helfen musste, weil er sich mit den praktischen Dingen des Lebens einfach nicht auskannte oder sie nicht beherrschte. Für ihn war er wie ein eigener Sohn und er war ihm ein verlässlicher Partner, darum verstand er nicht, was diese Frau im Leben eines Gigolos bedeuten konnte.

      Obwohl

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