Sophienlust Box 15 – Familienroman. Patricia Vandenberg
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»Das wäre geschafft«, seufzte Corinna erleichtert auf und ließ den Rucksack von ihrem Rücken gleiten.
Jochen nahm beide Gepäckstücke und trug sie in die Hütte. Sie war noch leer. Manchmal kam es vor, dass sich bereits andere Bergsteiger einquartiert hatten. Dann musste man sich gemeinsam arrangieren, so gut es eben ging. Doch hier waren sie allein.
Als Jochen wieder aus der Hütte trat, sah er Corinna unbeweglich dastehen, versunken in den Anblick der untergehenden Sonne. »Ein überwältigendes Bild«, flüsterte sie, als er neben sie trat.
Die Sonne war bereits hinter den hohen Felszacken verschwunden. Ihr Licht aber war noch vorhanden und ließ die schroffen Felsen in einem rotgoldenen Schein erglühen. Es war eine verzauberte Stimmung.
Ohne sich dessen bewusst zu werden, legte Jochen seinen Arm um Corinnas Schulter. Und sie ließ es geschehen.
Als das Leuchten um die Bergkuppe schwächer wurde, gingen sie in die Hütte. Corinna begann das Abendessen vorzubereiten. »Gemütlich ist es hier«, meinte sie, während sie die mitgebrachten Nahrungsmittel auspackte.
Jochen stimmte ihr zu. Nicht jede Hütte ist so sauber und so hübsch eingerichtet.
Obwohl die Einrichtung der Hütte nur aus rohem Holz gezimmert war, strahlte sie doch eine Behaglichkeit aus, die vielen eleganten und modernen Wohnungen fehlte. Die Decke des einzigen großen Raumes war niedrig und bestand ebenfalls aus Balken. Während der vordere Teil als Küche und Wohnzimmer galt, waren in der hinteren Nische des Raumes zwei Stockbetten aufgestellt. Es war das Schema, nach dem alle Berghütten eingerichtet waren.
Schon unzählige Male hatte Corinna in solchen Berghütten übernachtet. Aber das war meistens mit ihrem Mann gewesen. Mit Jochen geschah es zum ersten Mal. Aber keinen Moment lang hätte sie das komisch gefunden. Das war einfach unter Bergsteigern so üblich.
Als das Wasser kochte, legte Corinna eine karierte Leinendecke auf den derben Tisch und holte aus einem kleinen Wandschrank Geschirr und Bestecke. Diese Dinge befanden sich in jeder Hütte zum allgemeinen Gebrauch.
Bald stand eine Platte mit belegten Broten auf dem Tisch. Corinna goß nun frischen Tee auf, während Jochen aus seinem Rucksack eine Flasche Rum holte, von dem in jede Tasse ein paar Spritzer zur Geschmacksaufbesserung kamen.
»Du bist eine großartige Hausfrau«, lobte er sie, während er sich die Brote schmecken ließ.
Corinna musste lachen. »Um ein paar belegte Brote herrichten zu können, braucht man wirklich kein hausfrauliches Können.«
»Sag das nicht«, wehrte er ab. »Du hättest ja auch so wichtige Dinge wie Brot oder Butter im Tal vergessen können. Und der Tee schmeckt großartig.«
»Dafür bin nicht ich verantwortlich, sondern dein Rum«, neckte sie ihn. »Du hast nämlich in die zweite Tasse die doppelte Menge hineingetan.«
»Wirklich?«, tat er erstaunt. »Das ist mir gar nicht aufgefallen.«
»Schwindler! Du hast es absichtlich getan.«
Er ging auf ihren ausgelassenen Ton ein. »Wenn du mich ärgerst, werde ich mich nach dem Essen auf die faule Bärenhaut legen und dir nicht beim Abspülen helfen«, drohte er.
»Das möchte ich mir auch verbitten, dass du mir hilfst. Du würdest ohnehin mehr zerschlagen als abtrocknen.« Sie stand auf und räumte mit ein paar raschen Handgriffen den Tisch ab.
Um sie zu necken, streckte sich Jochen demonstrativ auf der langen Holzbank aus und zündete sich seine Pfeife an. Dann entkorkte er eine Flasche des in dieser Gegend häufig getrunkenen, herben Südtiroler Landweines. Als er dann aufstand, um Corinna wenigstens beim Abtrocknen oder Einräumen zu helfen, war sie bereits fertig. »Du bist aber wirklich flink wie ein Wiesel«, staunte er ehrlich. »Jetzt hast du dir redlich ein Gläschen Wein verdient.« Er holte zwei Tonbecher aus dem Schrank und schenkte ein. Dann stießen sie miteinander an.
Als es draußen allmählich Nacht wurde, zündete Jochen die Petroleumlampe an. Denn elektrisches Licht gab es hier nicht. Der schwache Schein der Lampe zauberte eine heimelige Stimmung in den niedrigen Raum.
Da erhob sich Corinna. »Ich möchte in das nächtliche Tal hinunterblicken«, sagte sie und trat vor die Tür.
Jochen folgte ihr. Tief unten im Tal blinkten die Lichter des kleinen Dörfchens wie Glühwürmchen. Und auf den gegenüberliegenden Berghängen blitzte ab und zu das Licht eines Almgasthofes oder einer Hütte auf.
»Ist das nicht eine zauberhafte Stimmung?« Corinna blickte mit leuchtenden Augen zu Jochen empor.
Er nickte begeistert. Selten hatte er Corinna in einer so heiteren und gelösten Stimmung gesehen. Als sie ein wenig fröstelte, zog er seinen Janker aus und legte ihn ihr um die Schultern. Dabei blieb sein Arm auf ihrer Schulter ruhen. Auch zog er sie noch ein wenig an sich, um sie besser vor dem kühlen Nachtwind zu schützen.
Corinna wehrte sich nicht dagegen. Sie ließ es geschehen und lehnte sich vertrauensvoll wie ein kleines Mädchen an seine Brust.
Jochen spürte, wie sein Herz schneller schlug. Da neigte er seinen Kopf und hauchte einen raschen Kuss in ihr Haar. Sie rührte sich nicht. Hatte sie es bemerkt? Doch als sie sich plötzlich umdrehte und ihm in die Augen blickte, wusste er, dass sie seine Liebkosung gespürt haben musste. Aber sie tadelte ihn nicht. Es schien ihm sogar, als leuchte ihm aus ihren Augen eine wortlose Zustimmung entgegen. Doch die Beleuchtung war zu ungewiss.
Corinna wandte sich nun ab und ging zurück in die Hütte. Jochen folgte ihr ein wenig benommen. Immer, wenn er ihr so nahe war wie eben, stieg ein geradezu unsinniges Verlangen nach ihrer Liebe und ihren Zärtlichkeiten in ihm auf.
Sie saß bereits wieder am Tisch und trank den letzten Schluck Wein aus dem kleinen Tonbecher. Ihr Körper schien entspannt, ihr Mund lächelte ein wenig.
Als Jochen die Flasche zur Hand nahm, um ihren Becher frisch zu füllen, bemerkte er, dass seine Hand zitterte. Auch Corinna sah es. Als er die Weinflasche absetzte, legte sie ihm sekundenlang ihre schlanken Finger auf die Hand. Doch Jochen ergriff ihre Finger und hielt sie fest.
»Wenn du meine Hand festhältst, kann ich nicht trinken«, sagte sie schmunzelnd und entzog ihm ihre Finger. Dann hob sie den Becher. »Auf unsere Bergtour, Jochen.«
Doch er schüttelte schweigend den Kopf. »Auf uns, Corinna?« In seinen Augen stand eine Frage.
Sie blickten sich lange an. Dann wurde Corinna ein wenig ernster und nickte kaum merklich. »Auf uns, Jochen.« Sie trank einen tiefen Schluck. Als sie den Becher wieder absetzte, stand in ihren Augen ein Ausdruck, den er darin noch nie gesehen hatte.
Plötzlich wurde er sich ihrer körperlichen Gegenwart fast schmerzlich bewusst. Er hätte sie am liebsten in die Arme geschlossen und für immer festgehalten. Weil er das nicht durfte, steigerte sich seine Sehnsucht nach ihr ins Unerträgliche. Wie schön sie war! Diese samtene goldbraune Haut und die großen Augen mit den dichten schwarzen Wimpern … Normalerweise waren graue Augen nichts Besonderes. Doch Corinnas Augen waren von einer Schönheit und Ausdruckskraft, die ihn immer wieder beeindruckten, sobald er sie anblickte.
Sie erwiderte seinen Blick. »Warum schaust du mich so an?«, hauchte sie.
»Weil du schön bist.« Und weil ich dich liebe,