Sophienlust Box 15 – Familienroman. Patricia Vandenberg
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Die Beherrschtheit, mit der sie ihre Anweisungen gab, sollte über die Tragweite dieses schweren Entschlusses hinwegtäuschen. Doch Denise ließ sich nicht von Anja Freys äußerer Ruhe täuschen. Sie wusste, was es für die junge Ärztin bedeuten musste, sich von ihrem Ehemann, den sie gerade erst geheiratet hatte, und von Felicitas zu trennen. Ganz abgesehen davon, dass sie auch ihre Praxis, die sie mit ihrem Mann gemeinsam führte, für die Zeit ihres Aufenthaltes in Sophienlust ihm allein überlassen musste.
»Ich nehme an, Sie haben sich diesen Entschluss gründlich überlegt, Frau Dr. Frey«, sagte Denise behutsam. Sie wollte nicht, dass sich die junge Ärztin zu viel zumutete.
Anja Frey verstand die Mahnung. Sie erwiderte schlicht: »Der Fall ist zu ernst und zu gefährlich, als dass ich die Pflege einem anderen überlassen könnte. Meine Familie wird verstehen, dass ich mich in diesem Fall für meine ärztliche Pflicht entscheiden muss. Sie wissen ja, dass eine alte Tante von mir, Elise Karsten, bei uns im Haus lebt. Sie wird die Führung des Haushalts für mich übernehmen. In der Praxis muss mich mein Mann vertreten.«
Denise nickte nur. Der Entschluss der jungen Ärztin war bewundernswert. Da gab es nichts mehr hinzuzufügen.
Um ganz sicherzugehen, dass Bärbel mit niemandem mehr in Berührung kam, sprachen sie nun alle technischen Einzelheiten der Isolierung durch. Jede Maßnahme, die sie treffen mussten, wurde gründlich geprüft.
Fast zwei Stunden lang wurden hinter geschlossenen Türen alle notwendigen Maßnahmen besprochen. Denise hatte zwei Zimmer im Erdgeschoß ausgewählt, in denen sich Frau Dr. Frey für die Dauer der Isolation mit der Kranken aufhalten sollte. Ein großer Raum sollte ihr als Wohn-, Schlaf- und Arbeitszimmer dienen, ein Raum als Krankenzimmer für Bärbel. Dann gab es noch einen winzigen Nebenraum, der als Medikamenten- und Behandlungsraum geeignet erschien.
Nachdem diese Einzelheiten feststanden, erhob sich Frau Rennert. »Wenn es Ihnen recht ist, kümmere ich mich jetzt darum, dass die Zimmer hergerichtet werden«, wandte sie sich an Denise und Anja gleichzeitig.
Beide nickten.
Dann ging Frau Rennert, um alles Nötige zu veranlassen.
Denise und Anja blieben allein zurück. »Natürlich wird es sich nicht vermeiden lassen, dass Bärbels Krankheit auf Sophienlust und Schoeneich bekannt wird«, meinte Denise.
»Das wird sich kaum vermeiden lassen«, bestätigte Anja. »Wir können nur versuchen, den Namen der Krankheit vor den jüngeren Kindern zu verbergen. Doch die Isolation allein zeigt ja schon deutlich genug den Grad der Gefährdung.«
Damit waren sie bei der Frage angelangt, die sie beide am meisten ängstigte. Die Ansteckungsgefahr.
»Es ist also ohne weiteres möglich, dass Bärbel in den zwei Tagen bereits andere Kinder angesteckt hat?«, erkundigte sich Denise und versuchte, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken.
Anja konnte nicht anders, als es bestätigen. »Es ist sogar wahrscheinlich, dass Bärbel die Kinder, mit denen sie in näheren Kontakt gekommen ist, angesteckt hat. Aber es kann einige Tage dauern, bis die Krankheit bei den angesteckten Kindern ausbricht.« Die Ärztin wusste, wie grausam die Wahrheit klang. Doch sie musste Denise von Schoenecker darüber informieren.
Denise spürte, wie die Last der Verantwortung ihre Brust zu sprengen drohte. Aber es war ein Kampf, den sie alle durchstehen mussten. »Leider ist Bärbel mit fast allen Kindern in Berührung gekommen«, sagte sie leise und blickte Dr. Frey an. »Sie wissen ja, wie das ist, wenn Kinder spielen.«
Anja nickte. »Trotzdem ist es unwahrscheinlich, dass Bärbel alle Kinder angesteckt hat. Diesbezüglich glaube ich Sie beruhigen zu können. Meist sind es ein oder zwei Kinder, die besonders anfällig sind. Und wenn wir sehr großes Glück haben, hat Bärbel niemanden angesteckt.«
Glück, dachte Denise, das ist es, worum wir jetzt beten müssen. »Ab wann wollen Sie sich selbst isolieren?«, erkundigte sie sich.
»Noch heute«, erklärte Anja. »Ich muss nur noch mit meinem Mann alles Notwendige besprechen und Verbindung zu den Ärzten des Maibacher Krankenhauses aufnehmen. Ich werde ihre Ratschäge benötigen.«
Damit hatte Denise gerechnet. Sie erklärte sich auch bereit, jeden Botengang und jede Besorgung, die Anjas Mann zu viel wurden, zu übernehmen.
Dann verließ Anja Sophienlust. Sie fuhr nach Hause, um sich von ihrem Mann und ihrem Töchterchen zu verabschieden. Sie wusste, dass es ihr nicht leichtfallen würde, doch ihr Entschluss stand fest.
In der Zwischenzeit überwachte Denise persönlich Bärbels Umlegung in die kleine Isolierstation im Erdgeschoss. Die Nachricht, dass Bärbel schwer krank war und isoliert werden musste, verbreitete sich mit Windeseile. Noch vor dem Mittagessen wussten es sämtliche Kinder und ganz Schoeneich.
Doch zu diesem Zeitpunkt lag das kranke Kind bereits allein in dem großen Zimmer im Erdgeschoss. Schwester Regine wachte streng darüber, dass niemand diese Räume betrat. Auch ihr selbst war es nicht erlaubt, hineinzugehen. Sie hoffte nur, dass Dr. Anja Frey bald zurückkehren würde, da das kranke Kind sonst zu lange ohne Aufsicht blieb.
»Tante Isi, Tante Isi!« Mit tränenerstickter Stimme kam die kleine Heidi vor dem Essen zu Denise gelaufen. »Bärbel ist weg. Die Kinder sagen, sie ist so krank, dass sie ganz allein sein muss. Muss sie jetzt sterben, Tante Isi?«
»Aber nein, Heidilein.« Denise nahm das in Tränen aufgelöste Mädchen auf den Arm. »Ganz bestimmt nicht. Sie braucht nur sehr viel Ruhe. Deswegen ist sie allein.«
Heidi beruhigte sich wieder. Wenn Tante Isi das sagte, dann musste es stimmen.
Viel schwerer war es für Felicitas, einzusehen, dass sie sich für längere Zeit von der geliebten Mutti trennen musste. Sie schluchzte herzzerreißend, und Anja durfte sie nicht einmal in die Arme nehmen, um sie zu trösten.
»Kannst du mich nicht mitnehmen, Mutti?«, bettelte sie wieder und wieder. Der offensichtliche Schmerz des Kindes brach Anja fast das Herz.
Stefan nahm seine Tochter auf den Arm und redete tröstend auf sie ein. »Warum bleibst du nicht hier bei Filzchen und führst die Praxis und lässt mich die kranke Bärbel pflegen?«, schlug er Anja vor.
Ein liebevoller Blick ihrer schönen dunklen Augen traf Stefan für dieses Angebot. Trotzdem lehnte Anja ab. »Nein, Stefan, so weh es mir auch tut, mich von dir und Filzchen trennen zu müssen –?es sind meine Kinder in Sophienlust. Die brauchen mich jetzt. Ich kann nicht anders, ich muss jetzt zu ihnen stehen.«
Stefan nickte. Er hatte nichts anderes erwartet. Trotzdem hätte er ihr diese schwere Aufgabe gern abgenommen. Aber Anjas Entschluss stand fest. Das erkannte er an ihrem Gesichtsausdruck.
Mit einem Seufzer, den er zu unterdrücken suchte, wandte er sich an seine kleine Tochter. »Da wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben, als sehr tapfer zu sein, Filzchen. Wir wollen doch, dass Mutti stolz auf uns ist. Hm?«
Schnüffelnd wischte Felicitas ihre Tränen weg und nickte. Anja aber streckte zitternd die Hand aus und fuhr dem Kind übers Haar. »Nicht traurig sein, Filzchen. Mutti kommt ja bald wieder. Vielleicht dauert es gar nicht so lange.«
*
Corinna Saller blieb stehen und legte die Hand schützend