Heliosphere 2265 - Der komplette Fraktal-Zyklus. Andreas Suchanek
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»Wir konnten die Schrift bisher nicht entziffern.« Lu trat näher heran. Einen Schritt vor der Wand blieb er stehen. »Unsere Wissenschaftler arbeiten daran, die Übersetzungsdatei zu vervollständigen. Das ist jedoch nicht so leicht. Es scheint, als ob jedes der Symbole für ein komplettes Wort steht, nicht für einen Buchstaben. Das macht es deutlich schwerer.«
»Es ist eine Warnung«, flüsterte Jayden.
Die Rentalianer um ihn herum verstummten. Mit vor Verblüffung wackelnden Ohren blickten sie ihn an.
Jayden begriff selbst nicht, was gerade geschah. Die Worte an der Wand waberten, zerflossen und setzten sich in leicht verständlichem Solar wieder zusammen. Was geschah hier? Ihm wurde schwindelig und heiß. Das Atmen fiel ihm merkwürdig schwer. So ähnlich hatte er sich nach dem Erwachen auf dem Mars gefühlt.
»Sie können die Schrift lesen?« Lu war einen Schritt von ihm zurückgewichen. »Wie ist das möglich, Cross? Was steht dort?«
Jayden hatte so eine Ahnung, warum er die Symbole plötzlich entziffern konnte, doch das war jetzt bedeutungslos. Er streckte seine Arme aus und berührte ein von Strahlen umgebenes Halbrund. Der Stollen wurde in gleißendes Licht getaucht. Inmitten des Raumes erschienen schwebende Punkte, leuchtende Sonnensphären und Asteroiden. Er hatte eine Holosphäre aktiviert.
Die Rentalianer jaulten überrascht auf. Jayden war nicht minder verblüfft. Was immer hier vor sich ging: Er konnte nicht sagen, was er eigentlich tat. Er deutete auf einen spezifischen Stern, worauf ein Planetensystem herangezoomt wurde. In Jayden flammte das brennende Verlangen auf, den Stern aufzusuchen. Was war nur los mit ihm? Er wollte dorthin, wollte mit einem Schiff in dieses System fliegen, wollte den Stern … zerstören.
Krampfhaft schüttelte er den Kopf, schloss die Augen und taumelte zurück in den Gang. Er musste weg, dieser Suggestion entkommen.
Erst als die Kaverne hinter ihm lag, öffnete er die Augen. So schnell er konnte, rannte er zum Transmitterbogen, der noch immer in Betrieb war. Er hielt erst inne, als er wieder auf Asul stand.
»Was ist mit Ihnen?!« Lus aufgeregte Stimme holte ihn zurück in die Realität. Der Rentalianer trat gerade durch den Transmitterbogen. »Soll ich einen Heiler herbeiholen?«
Jayden riss sich zusammen. »Danke, aber nicht nötig. Es geht schon wieder.« Er richtete sich wieder auf. »Ich weiß, wohin Ihr Schiff fliegt.«
Lu legte den Kopf schief und die Ohren an. Sein Fell stellte sich auf.
»Kommen Sie, ich berichte Ihnen auf dem Weg. Wir müssen zum Großen Rudelführer. Und ich brauche sofort eine Phasenfunkverbindung in die Solare Union. Es gilt, schnell zu handeln.«
*
Raumstation SOL-22, Im Orbit um Neptun, 13. Januar 2266, 21:00 Uhr
»Ich hoffe, es ist verdammt noch mal wichtig!«, fluchte Admiral Santana Pendergast, als sie den Raum betrat.
Seine Kollegin wirkte zerzaust, was Björn unweigerlich schmunzeln ließ, war sie doch sonst immer wie aus dem Ei gepellt. »Ich fürchte, das ist es«, sagte er. »Es gibt beunruhigende Neuigkeiten von Captain Cross.«
Pendergast nahm Platz und strich sich die Uniform glatt. »Das ist in letzter Zeit recht häufig der Fall, wie mir scheint.«
Björn verzichtete auf eine Antwort. Die Admiralin mochte sich nach außen hin ruppig und skeptisch geben, doch momentan unterstützte sie seinen Kurs und damit die aktuelle Crew der HYPERION, was von unschätzbarer Bedeutung war. Weitaus bedeutender, als sie bisher ahnte.
Die Plätze um den Tisch füllten sich nach und nach. Einige Admiräle traten ein, andere materialisierten sich als Holo-Projektionen. Als einer der Letzten erschien auch Michalew.
Der Führer der Hardliner, und damit Björns erbitterter Gegner, wirkte seltsam abwesend. Tiefe Falten durchzogen das Gesicht des 56-jährigen. Sein braunes Haar war licht; die eisgrauen Augen strahlten nicht so energiegeladen wie sonst, sondern blickten trüb in die Runde.
An der Stirnseite des ovalen Tisches erschien das Hologramm von Admiral Zhang. Als dienstältester Admiral war er der offizielle Leiter der Space Navy und konferierte täglich mit der Präsidentin. Obwohl die meisten Fachentscheidungen von den jeweils zuständigen Admirälen getroffen wurden, kam es auch immer wieder zu demokratischen Abstimmungen. Gerade politisch wichtige Entscheidungen wurden so getroffen, da niemand alleine verantwortlich sein wollte.
Die Space Navy wird immer mehr zu einem politischen Organ, stellte Björn einmal mehr abfällig fest. Es blieb zu hoffen, dass diese Zusammenkunft nicht in eine stundenlange Diskussion ausartete.
»Admiral Sjöberg, Sie haben dieses Treffen einberufen. Sie haben das Wort.«
Björn erhob sich. »Danke, Admiral. Ich fasse mich kurz, da die Zeit drängt. Um 22:15 Solarer Standardzeit erhielt ich eine Nachricht von Captain Cross. Er befindet sich aktuell auf Rental IV, in Gesellschaft des Obersten Rudelführers der Rentalianer. Es stellte sich heraus, dass es im dortigen System in der Tat ein weiteres Artefakt gibt. Es wirkt auf die Rentalianer jedoch anders als auf uns Menschen. Es beeinflusste die Crew eines Schiffes, worauf diese eine Antimateriebombe stahl und davonflog.«
»Damit können die einen Planeten ausradieren!«, sagte Isa Jansen entsetzt. »Gibt es Hinweise auf ihr Ziel? Besteht Gefahr für die Solare Union?«
Björn schüttelte den Kopf. »Zweifellos werden sie sie einsetzen, doch ihr Vektor deutet nicht in unsere Richtung. Captain Cross ist es gelungen, das wahrscheinliche Ziel ausfindig zu machen.«
»Das da wäre?«, wollte Zhang wissen.
»Das Schiff hat Kurs auf den Parlidenraum gesetzt. Es steuert auf ein System zu, über das wir bisher kaum Aufklärungsdaten besitzen. Die HYPERION hat unter dem Kommando von Commander Noriko Ishida die Verfolgung aufgenommen.«
Er hatte sie gesagt, die magischen Worte. Admiral Michalews Kopf fuhr in die Höhe, den Blick auf Björn gerichtet wie ein Raubtier, das seine Beute taxierte. Doch überraschend schnell glättete sich Michalews Stirn und er wandte den Blick ab.
»Aktuell befindet sich die HYPERION noch im Raum der Rentalianer und damit innerhalb der Phasenfunk-Relaiskette«, sprach Björn weiter. »Doch in einigen Stunden wird dies nicht mehr der Fall sein. Wir müssen uns für ein Vorgehen entscheiden. Kommandantin Ishida benötigt klare Befehle.«
»Ihre Empfehlung, Admiral Sjöberg?« Zhang wirkte nach außen hin gelassen, doch das tat er immer. Björn hatte ihn als einen Mann schneller Entscheidungen und klarer Worte kennengelernt.
»Sie soll das Schiff verfolgen und vernichten, bevor es die Bombe einsetzen kann. Andernfalls werden die Parliden umgehend einen Vergeltungsschlag gegen die Rentalianer führen. Unser Beistandsabkommen würde uns in diesem Fall dazu verpflichten, den Rentalianern zu helfen. Ich muss nicht sagen, worauf das hinauslaufen könnte.«
»Und was ist, wenn die Parliden unsere Intervention nicht als Hilfe ansehen, sondern als Angriff?«, fragte Admiral Pendergast. Wie immer suchte sie die Schwachstelle der Empfehlung und hinterfragte das Vorgehen – sie spielte den Advocatus Diaboli. »Die HYPERION hat im Elnath-System vor wenigen Wochen drei ihrer Schiffe zerstört. Und genau dieses Raumschiff – für die Parliden ein rotes Tuch – kommt