Die Gentlemen-Gangster. Manfred Bomm

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Die Gentlemen-Gangster - Manfred Bomm

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zu der nahen Tür ins Treppenhaus, das wie ein halbrunder Turm in die Fassade des mächtigen Gebäudes integriert war. Er stellte erleichtert fest, dass sich auch dort niemand aufhielt. Er hastete nach unten, gefolgt von den beiden Kidnappern, deren Schritte auf den Steinstufen von hinten an sein Ohr hallten. Noch immer waren keine anderen Personen aufgetaucht. Die Aufschrift »Tiefgarage U2« an der Betonwand verhieß für einen Augenblick Entspannung. Er öffnete nacheinander zwei schwere Metalltüren, dann standen sie in der mit Leuchtstoffröhren erhellten Tiefgarage, aus der die Gangster vor über eineinhalb Stunden gekommen waren. Für einen Moment hielten sie inne, um an der Reihe der geparkten Autos entlangzuschauen, doch auch hier schien niemand zu sein. Der Uniformierte stürmte voraus zu Seifritz’ Mercedes, entriegelte die Türen und setzte sich hinters Steuer, während Lackner neben ihm Platz nehmen musste und der Gangster sich mit der Geldtasche dahinter in den Fond zwängte.

      »Wo wollen Sie denn hin?«, fragte Lackner vorsichtig.

      »Nur ein paar Minuten noch«, bekam er von dem falschen Polizisten zur Antwort, der den Motor startete und den Rückwärtsgang einlegte, um den Mercedes aus der Parkbucht heraus zu rangieren. Kaum hatte sich der Wagen für ein paar Meter in Bewegung gesetzt, trat der Geiselnehmer beim Blick nach hinten heftig auf die Bremse. Rote Lichter. Die drei Männer in Alarmstimmung. »Hinter uns fährt auch einer rückwärts raus«, stellte der hinten sitzende Räuber verärgert fest.

      Lackner spürte zum wiederholten Male an diesem Tag den Schock in allen Gliedern. Also doch Polizei. Wollte jetzt ein Spezialkommando die Ausfahrt blockieren? Ohne Rücksicht darauf, dass er noch in der Gewalt der Gangster war? Augenblicke eisigen Schweigens. Die Rücklichter des anderen Autos verrieten, dass es sich nicht bewegte.

      »Wer ist das?«, fauchte der Uniformierte so unfreundlich wie bisher noch nie.

      »Ein Wagen des Vorstands«, presste Lackner hervor. »Lassen Sie ihn raus.«

      Die Köpfe aller drei Männer waren nach hinten gerichtet. Offenbar wartete der Fahrer des anderen Autos, bis er sicher sein konnte, dass es zu keiner Karambolage kommen würde. Zwei, drei Sekunden später rangierte er rückwärts heraus und verließ dann vorwärts mit einem kurzen Seitenblick auf Seifritz’ Auto die Tiefgarage über die sanft ansteigende Rampe zur Ausfahrt in Richtung Bahnhofsvorplatz.

      Lackner atmete auf, die beiden Gangster schwiegen. Der Uniformierte setzte das abrupt gestoppte Ausparken fort, griff zu der Parkkarte, die Seifritz am frühen Morgen in die Mittelkonsole gelegt hatte, und ließ den Mercedes zur Schranke rollen. Als sie sich öffnete und der Wagen ans Tageslicht gelangte, schloss Lackner erschöpft die Augen. Sie hatten es geschafft. Offenbar war die Polizei noch nicht eingeschaltet worden. Es sei denn, es wurde bereits unauffällig observiert. Womöglich vom Bahnhof aus. Wenn dies so war, dann konnte es bei einem etwaigen Zugriff noch gefährlich werden.

      8

      Marion fror. Obwohl sie in eine Decke gehüllt war und sich auf der hölzernen Bank in eine Ecke kauern konnte, spürte sie die Kälte des Märzvormittags am ganzen Körper. Ihre Hände waren gefesselt, die Beine an den Knöcheln mit Klebeband fixiert. Die durchwachte Nacht, der Schock und das pure Entsetzen ließen sie keinen klaren Gedanken mehr fassen. Dazu die Angst um ihren Vater, um dessen Gesundheitszustand sie sich Sorgen machte. Außerdem schmerzten inzwischen ihre Handgelenke, die noch immer in den metallischen Schließen steckten. Der Mann, der sie seit Stunden bewachte, saß ihr schräg gegenüber auf einem Stuhl, schwieg beharrlich und sah nur hin und wieder auf seine Armbanduhr.

      Obwohl es draußen längst hell war und durch die morschen Holzwände der Hütte das Frühkonzert der Vögel drang, herrschte in dem muffigen Raum nur gedämpftes Licht. Vor das kleine und einzige Fenster waren vergilbte und zerfetzte Vorhänge gezogen, an den Wänden lehnten Gartengeräte, die gewiss seit Jahrzehnten nicht mehr benutzt worden waren. Marion hatte es inzwischen aufgegeben, ihren maskierten Bewacher nach dem weiteren Fortgang des Verbrechens zu fragen. Er schwieg beharrlich.

      Irgendwann hatte sie es erschöpft aufgegeben, weitere Fragen zu stellen. Unter dem Handtuch, mit dem er ihren Kopf abgedeckt hatte, konnte sie ihn nur durch einen winzigen Spalt hindurch sehen. Er schien an ihrem Schicksal gänzlich uninteressiert zu sein und nur seinen Auftrag erledigen zu wollen, der da hieß, sie zu bewachen.

      Nicht einmal auf die Frage nach der Uhrzeit wollte er eingehen. Doch Marion schien es inzwischen, als seien mehrere Stunden vergangen. Sie lauschte angestrengt in die Stille, um herausfinden zu können, wo sie sich befand. In der Ferne waren Autogeräusche zu hören und seit dem Morgengrauen häufig auch Flugzeuge. Dies konnte darauf hindeuten, dass sie tatsächlich irgendwo ins Remstal verschleppt worden war, wo an- und abfliegende Flugzeuge des nahen Stuttgarter Flughafens erfahrungsgemäß sehr tief flogen.

      Nachdem der Gangster immer häufiger auf seine Armbanduhr geschaut hatte, nervös und zunehmend unruhiger, erhob er sich schließlich und sagte: »Okay.« Als habe ihm jemand ein Zeichen gegeben. Doch da war niemand gewesen. Er verließ die Hütte und verriegelte sie von außen.

      Marion verharrte noch für ein paar Sekunden, versuchte, von draußen ein Geräusch wahrzunehmen, aber alles blieb still. Kein Auto. Nichts. Vielleicht, so überlegte sie, hatte sich der Räuber mit einem Fahrrad davongemacht.

      Jetzt wollte sie schnell handeln. Mit den gefesselten Händen schob sie die Decke beiseite, sodass auch das Handtuch auf den Boden fiel, und begann umständlich, das Klebeband zu lösen, das seit Stunden ihre Knöchel zusammenpresste. Es dauerte einige Minuten, bis sie sich tatsächlich davon befreien konnte. Doch ihre Beine schmerzten, sodass sie sich nur mühsam erheben konnte, um zur Tür zu gehen. Die sich aber trotz heftigen Rüttelns nicht öffnen ließ.

      Das Fenster. Natürlich. Es musste ein Leichtes sein, dort hinauszusteigen. Sie schob die Vorhänge beiseite und erkannte zufrieden, dass nicht nur eine fest eingebaute Glasscheibe zum Vorschein kam, sondern ein Fensterflügel, den man öffnen konnte.

      Weil ihre Hände nicht auf den Rücken, sondern an der Körpervorderseite gefesselt waren, konnte sie mit ein paar Verrenkungen immerhin erfolgreich den Griff erreichen. Der morsche Fensterrahmen ließ sich nach innen schwenken, und die Öffnung ins Freie war groß genug, um die Hütte verlassen zu können – trotz der Handschellen, denn Marion war schlank und sportlich, vor allem aber jetzt motiviert genug, um ihrem Gefängnis auf diese Weise zu entkommen.

      9

      Der Uniformierte war vorsichtig aus der Tiefgarage herausgefahren, um, wie es die Fahrtrichtung vorschrieb, nach links abzubiegen, vorbei am Hauptpostamt. An der Fußgängerampel wartete ein halbes Dutzend Passanten, ohne zu ahnen, wer da gerade vorbeifuhr.

      »Wo wollen Sie denn hin?«, wollte Lackner zum wiederholten Male zaghaft wissen und sah sich nach allen Seiten um.

      »Nicht weit. Sie dürfen gleich raus«, brummte der Mann hinterm Steuer und fuhr langsam die Gartenstraße entlang, folgte dann aber nicht der abknickenden Vorfahrt nach links zur Schützenstraße, sondern behielt die Geradeausrichtung bei – in einen eher abgelegenen Bereich. Lackner beschlich wieder ein bitteres Unbehagen. Denn hier, abseits des belebten Zentrums, würde es keine Zeugen geben, falls die Verbrecher ihm etwas antun wollten. Ein Wechselbad der Gefühle überflutete ihn: Einerseits wünschte er sich nichts sehnlicher, als dass dieser Albtraum nun ein Ende nahm, andererseits jedoch könnte sich beim Auftauchen eines Streifenwagens die Situation sofort verschärfen und außer Kontrolle geraten.

      Tief von diesen Gedanken ergriffen, holte ihn die Stimme neben ihm in die Realität zurück: »Sie können jetzt aussteigen«, sagte der Uniformierte völlig unerwartet und stoppte den Wagen kurz vor der Einmündung Betzstraße. Lackner war sich der Tragweite des Gesagten in diesem Moment nicht bewusst. Aussteigen. Hatte der Gangster

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