Spreewaldkohle. Franziska Steinhauer
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Spreewaldkohle - Franziska Steinhauer страница 12
»Oh weh, du hast eine junge Dame befragt? Deren Blick auf die Realität in Männerkörpern ist oft emotional vernebelt.«
»Maja! Nicht alle werden beim Anblick von Männern kritiklos«, beschwerte sich Silke. »Mein Denken bleibt klar.«
»Genau«, beendete Nachtigall entschlossen die Diskussion. »Wir sollten eine Friederike Schultheiß zu einem Gespräch herbitten. Ihr Kommentar zum Tode des Kollegen war überraschend. Endlich habe sich jemand getraut … Es interessiert mich sehr, wie sie das konkret gemeint hat.« Er nickte Silke zu, die eifrig mitschrieb.
»Klar. Ich bestelle sie ein. Soll sie heute noch …?«
Nachtigalls Handy störte.
Er warf einen Blick aufs Display. »Rechtsmedizin«, informierte er das Team knapp.
12
Dr. Pankratz schüttelte den Kopf.
So heftig, dass die OP-Haube verrutschte und sich das Licht der Lampe in seiner makellosen Glatze spiegelte.
Der zweite Obduzent unterdrückte hastig ein Lachen.
Seiner Meinung nach war die Haube auf der Glatze ohnehin sinnlos. Aber er wusste, es gab Dinge, die man besser nicht ansprach.
»Ungewöhnlich ist dieser Angriff durchaus … Psychisch kranke Menschen in den meisten Fällen. Sie haben krude Vorstellungen, hängen irrealen Theorien an, fühlen sich vom Opfer verfolgt, übergangen, ausgebootet. Sie sehen sich zum Beispiel als Rächer oder Befreier der gesamten Gesellschaft, suchen das Licht der Öffentlichkeit, möchten im Blitzlichtgewitter stehen, ihren Namen in der Zeitung auf der Titelseite lesen. Manche lassen sich direkt am Tatort überwältigen und verhaften. Aber hier? Patrick Stein. Der Täter lauerte ihm beim Joggen auf – also keine öffentliche, pressewirksame Aktion mit Täterfotos oder unscharfen Handyvideos und verstörten, weinenden Zeugen, keine große Bühne. Täter und Opfer waren unter sich. Die nun einsetzende Aufmerksamkeit wird der Tat gelten, nicht dem Täter.« Er sah auf, deutete auf eine Serie von Aufnahmen, die die Stichkanäle abbildeten. »Hier die sichtbaren Zeichen des Überfalls. Das war wohl der erste Stich. Als der gesetzt wurde, stand das Opfer noch.« Er trat an den Edelstahltisch zurück. »Die Wunde ist deutlich doppelt und doppelschwänzig. Der Täter hat zweimal diese Stelle angegriffen. Ich schätze, weil das Opfer nicht sofort zu Boden ging. Die weiteren Verletzungen wurden Stein beigebracht, als er bereits lag. Dabei sind mehrere Details bemerkenswert. Nachdem er vornübergefallen war, lag der Körper bei den weiteren Angriffen auf dem Rücken. Entweder schaffte das Opfer es selbst, sich umzudrehen oder der Täter hat das übernommen. Stein sollte unbedingt erkennen, wer ihn tötete? Keiner der Stiche war sofort tödlich. Möglicherweise war dem Täter die Anordnung der lebenswichtigen Organe nicht geläufig, er konnte die verletzbaren Bereiche nicht genau lokalisieren, entweder das Opfer bewegte sich heftig oder er verfehlte sie mit Absicht. Todesursache ist wahrscheinlich inneres und äußeres Verbluten. Hypovolämischer Schock.«
Nachtigall nickte fast unsichtbar.
Klapproth wirkte überrascht. »Könnte es sein, dass dem Angreifer gar nicht auffiel, dass sein Opfer nach dem Überfall nicht tot war? Er sich vom Tatort entfernte im festen Glauben, den Mann getötet zu haben?«
»Eher nicht«, überlegte Nachtigall laut. »Wir haben ihn schließlich nicht an dem Ort gefunden, an dem er angegriffen wurde, sondern in der Schaufel eines Kohlebaggers. Jemand hat ihn dorthin transportiert. Und er hat einen ziemlichen Aufwand betrieben, um uns den Toten so finden zu lassen, wie er geplant hat. Sehr unwahrscheinlich, dass zwei Personen unabhängig voneinander agiert haben sollen. Das würde ja bedeuten: Ein Spaziergänger, der zufällig einen Groll auf Patrick Stein hatte, stieß zufällig auf den Leichnam des Ermordeten und beschloss, ihn an einen anderen Ort zu transportieren und dort zu präsentieren. Der Gedanke daran, die Polizei zu verständigen, kam ihm zu keiner Zeit.«
»Okay. Klingt nicht sehr wahrscheinlich«, räumte Klapproth ein. »Zumal er dann auch noch zufällig einen Freund haben musste, der ihm beim Transport behilflich ist.«
»Na, dann wollen wir mal«, entschied der Rechtsmediziner und setzte das Skalpell unter dem Kinn an, zog einen tiefen Schnitt bis zum Schambein. »So!«
Nachtigall wusste genau, was nun folgen würde.
Und dennoch.
Nach all den Jahren konnte er es nicht unterdrücken.
Übelkeit stieg in ihm auf.
Da half es auch nicht, dass er sich immer wieder in Erinnerung rief, dass diese Untersuchung ihnen wichtige Informationen würde bieten können.
Wie durch Watte hörte er die Stimme des Rechtsmediziners.
»Männliches Opfer, Größe 182 cm, Gewicht 101 kg. Die äußere Inspektion hat zahlreiche Stichwunden ergeben, deren Kanäle stets in unmittelbarer Nähe lebenswichtiger Organe liegen. Um genauere Aussagen zu machen, präparieren wir einen der Stichkanäle.«
Nach und nach wanderte ein Organ nach dem anderen in eine eigene Schale, wurde gewogen und untersucht.
Dann trat Dr. Pankratz hinter den Kopf und setzte einen Schnitt entlang des Haaransatzes.
Der Assistent hatte eine Art Stütze unter den Schulterbereich geschoben, der Kopf fiel leicht nach hinten. Mit einer schwungvollen Geste klappte Dr. Pankratz den Skalp nach vorn über das Gesicht und griff nach einer speziellen Säge.
Damit trennte er den oberen Bereich des Schädels ab, legte das Hirn frei.
Nachtigall versuchte, nicht hinzusehen.
Besonders nicht, als das Organ in Scheiben geschnitten wurde.
Endlich waren sie fertig.
»So – und jetzt eine Zusammenfassung. Auffällig sind die blutleeren Organe. Deren Gewebe ist blass. Das haben wir bei Verbluten zu erwarten. Ansonsten war er gesund. Das hätte sich aber in der nächsten Zeit ändern können. Das Herz ist leicht verfettet, die Leber auch, Pankreas ist vergrößert. Er hatte viszerale Fettablagerungen. Mit gesunder Lebensführung hätte er dem Diabetes noch entgehen können, aber ich sehe bereits deutliche Zeichen von Schädigungen durch Hochdruck an den Gefäßen. Er wurde beim Laufen erstochen, also war er offensichtlich dabei mit Sport gegenzusteuern. Das Hirn ist unauffällig, lateral findet sich ein leichtes Aneurysma. Das hat ihm wahrscheinlich keine Probleme gemacht. Vielleicht wäre es dabei geblieben. Fazit: Er war gesund.«
»Toxikologie?«
»Wird gemacht. Ich glaube aber nicht, dass wir Drogen oder deren Abbauprodukte finden werden. Einstiche negativ, Atemwege frei, unauffällige Lunge. Er war kein Raucher.« Der Rechtsmediziner wies auf eine Wanne, die das Blut aus dem Bauchraum aufgenommen hatte. »Das ist wenig. Etwa zwei Liter. Bei einem Mann dieser Statur könnt ihr davon ausgehen, dass er etwa vier Liter am Ort des Angriffs verloren hat. Wurde er direkt nach der Tat in einem Fahrzeug transportiert, wird dort ebenfalls viel Blut gefunden werden können.«
»Du meinst, Hunde könnten den Ort des Überfalls finden? Sie haben ihn letzte Nacht auch nicht erschnüffelt.«
»Sie sollten nach einem Verletzten suchen. Nun sollen Hunde Zersetzung wahrnehmen. Einen Versuch