Spreewaldkohle. Franziska Steinhauer

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Spreewaldkohle - Franziska Steinhauer

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Spaziergänger vorbeigekommen wäre. Hätte dann ein Rettungsteam …? Vielleicht war er noch eine ganze Weile ansprechbar.«

      »Nein. Die Stiche haben zu massiven Blutungen geführt. Arteriellen Blutungen, venösen Blutungen. Gerade arterielle Blutungen leeren den Körper ziemlich schnell. Bei den vielen Verletzungen wäre er nach etwa 20 Minuten tot. Keine Chance für ein Rettungsteam.«

      »Für mich stellen sich bei diesem Szenario viele Fragen«, begann Nachtigall gedehnt. »Eine wäre: Was hat der Täter gemacht, während sein Opfer langsam starb? Lief er weg? Hat er ihm eine Rede gehalten, um die Tat zu begründen?«

      »Und: Wir reden zwar der Einfachheit halber vom Täter, es könnte aber auch eine kräftige Frau solche Verletzungen setzen. Vielleicht waren es zwei Beteiligte, die den Toten zum Tagebau gebracht haben«, ergänzte Dr. Pankratz.

      Klapproth schüttelte ungeduldig mit dem Kopf. »Nur, damit ich es richtig verstehe: Das Opfer geht laufen. Irgendwo wartet der bewaffnete Täter.« Ihr Blick begegnete den Augen des Rechtsmediziners. »Okay, oder die bewaffnete Täterin. Woher demjenigen die Laufstrecke bekannt war, müssen wir noch ermitteln. Angeblich hat sich das Opfer immer spontan für einen Weg entschieden. An einer geeigneten Stelle kommt das Messer zum Einsatz. Der Täter oder ein weibliches Pendant sticht zu. Nachdem das Opfer zu Boden gegangen ist, folgen weitere Attacken gegen den Körper. Das Opfer will er/sie nicht zurücklassen, es lebt noch, könnte möglicherweise den Namen des Angreifers nennen. Lieber kein Risiko eingehen. Oder kannten sich die beiden gar nicht persönlich? Dann gab es kein privates Motiv, sondern eher einen abstrakten Mordauftrag.«

      »So was wie das Klima retten? Den Weltfrieden sichern? In der Art?«, hakte Nachtigall nach. »Ein Mord für alle Gleichgesinnten? Ein moralischer Auftrag, diesen Menschen zu töten. Es war dem Täter gleichgültig, dass er nah an sein Opfer herantreten musste. Man war Aug’ in Aug’ – beim Angriff wie beim Sterben.« Er konnte nicht vermeiden, dass er eine Gänsehaut bekam, die sich über den gesamten Körper zog.

      Klapproth nickte.

      »Dann geht es bei dieser Tat um ein Fanal gegen ein für den Täter falsches Ziel. Die Identität des Opfers ist in Wahrheit unwichtig, es geht um das, wofür sie steht. Und wenn es so ist, fühlte der Angreifer sich im Recht. Für ihn war es legitim, diesen Mann zu töten.«

      »Das gilt allerdings auch für ein starkes privates Motiv«, gab Nachtigall zu bedenken.

      »Sieht für euch nach schwierigen Ermittlungen aus.« Dr. Pankratz klopfte den beiden auf die Kittel.

      »Wir müssen los«, mahnte Klapproth. »Dr. März war vorhin schon sehr gereizt. Wir sollten ihn nicht zusätzlich durch Unpünktlichkeit provozieren.«

      »Wenn ihr nicht wissen wollt, was ich sonst noch entdeckt habe, könnt ihr ja jetzt gehen.« Der Rechtsmediziner wies auf den Gang zur Tür.

      Die beiden Ermittler warfen ihm einen verwunderten Blick zu.

      »Wenn du das so formulierst, hast du eine faustdicke Überraschung für uns.«

      Er lud sie zu einem Blick durchs Mikroskop ein.

      »Ist es das, was ich glaube?«

      »Ja. Sicher. Spermien. Sie leben noch – sexuelle Aktivität also kurz vor seinem Tod. Wenn es nötig wird, können wir sicher aus der Probe auch weitere DNA isolieren.«

      »Aha. Wir müssen …«

      »Wenn ihr euch beeilt, schafft ihr es locker rechtzeitig zur Pressekonferenz«, ermunterte der sehr zufriedene Dr. Pankratz die Davonstürmenden.

      »Tja. Es menschelt manchmal auch bei Verstorbenen. Haben wir alle Proben?«

      Der Sektionsassistent nickte.

      »Gut, dann machen Sie ihn fertig. Bei diesen Fällen aus Cottbus ist immer eins sicher: Es wird eine weitere Leiche geben.«

      13

      Silke Dreier sah überrascht auf.

      Die junge Frau war ausgesprochen auffällig in Habitus und Styling.

      Selbstbewusstsein pur.

      »Sie haben mich einbestellt. Um was genau mit mir zu besprechen?«

      »Sie haben heute erfahren, dass Ihr Parteifreund Patrick Stein getötet wurde.«

      »Ja. So was kommt vor. Manche Menschen greifen zu drastischeren Ausdrucksformen, wenn sie ihrem Ärger oder ihrer Enttäuschung Luft machen wollen. Politiker exponieren sich.«

      »Sie glauben, es gehört als Berufsrisiko zum Job?«, fragte Dreier ungläubig. »Das ist nicht Ihr Ernst!«

      Friederike Schultheiß lächelte spöttisch.

      »Ach, bei der Polizei arbeiten und dann die Augen vor der Realität fest zukneifen. Das lob ich mir!« Die Zeugin strich beinahe kosend über die rasierte Glatze.

      »Sie haben heute gesagt, endlich habe sich einer getraut. Das bezog sich auf die Tötung Ihres Parteifreundes.«

      »Parteikollegens«, korrigierte die Zeugin. »Freunde sind wir nie gewesen.«

      »Was an ihm war denn so unerträglich?«

      »Sein Auftreten, sein ganzes Benehmen. Er war nicht der Nabel der Welt – aber er glaubte, er sei genau das.«

      »Wie drückte sich das aus? Schiere Arroganz?«

      »Nein. Viel schlimmer!« Friederike Schultheiß pfriemelte ihr Handy aus der Jacke. »Ich habe ein Video von einer der ersten Wahlkampfveranstaltungen zur Landtagswahl. Sehen Sie mal, was da abgeht, als Patrick auf die Bühne kommt.« Sie startete die Wiedergabe.

      Ein voller Saal, große Kulisse, hoher Begeisterungspegel bei den Gästen. Transparente wurden geschwenkt, es ging um Klimaschutz und Kohleausstieg.

      Patrick Stein wurde vom Moderator angekündigt, der Jubel schwoll deutlich an. Der junge Politiker stürmte dynamisch über die Stufen auf die Bühne, frenetischer Beifall, Bravorufe. Er stellte sich nicht hinter das Rednerpult, sondern agierte frei, die gesamte Bühne nutzend. Sprach ohne Manuskript, hatte nur einen Stichwortzettel in der Hand.

      »Man erwartet eigentlich, dass er gleich anfängt zu singen, oder?«, fragte Frau Schultheiß wütend. »Er steht nur für sich, nicht für die Ziele der Partei! So, sehen Sie das?«

      Die Kamera schwenkte über das Publikum. Junge Frauen mit begeistertem Strahlen jubelten dem Mann auf der Bühne zu. Hochrote Wangen, leuchtende Augen. Und eine entrollte ein Transparent, auf dem stand: Patrick, ich will ein Kind von dir!

      »Sehen Sie dieses Plakat? Die spinnt doch! Das ist kein Popkonzert! Die glaubt wohl, das sei eine Fortpflanzungsshow.«

      »Nun, es ist sicher sehr ungewöhnlich. Vielleicht ein Witz.« Dreier klang ratlos.

      »Nein. Er bekommt auch solche Briefe ins Parteibüro. Einmal hatte er einen auf dem Schreibtisch vergessen, ich fand ihn, als ich beim Gehen überall das Licht löschte. Ich will ein Kind von dir, stand da. In Blockbuchstaben so hoch wie die der Titelseite der Boulevardpresse. Patrick ist verheiratet, hat zwei Kinder – und wer weiß, vielleicht scheut er

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