Wahrheit oder Sylt. Jacob Walden

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Wahrheit oder Sylt - Jacob Walden

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spürt, wie es in seinem Kopf heiß wird.

      »Ecstasy, Kokain, Marihuana?«, schlägt Waldmann vor.

      »Nein«, flüstert er. »Selbstverständlich nicht.«

      »So selbstverständlich ist das überhaupt nicht«, sagt der Arzt und sieht sehr skeptisch aus. »Auf Sylt ist so einiges im Umlauf, vor allem in der Saison. Aber jetzt, da Sie wieder aufgewacht sind, ist es eigentlich auch egal. Zumindest aus medizinischer …«

      »Wer noch?«, unterbricht er den Arzt. »Wer war der andere … an der Bushaltestelle?«

      »Hmmm«, macht der Arzt nachdenklich, »das darf ich Ihnen nicht sagen. Schweigepflicht, Sie wissen schon.«

      »Dann fragen Sie ihn!«, versucht er zu rufen, aber seine Stimme kommt noch immer nicht über ein heiseres Krächzen hinaus. »Sie können ihm von mir erzählen.«

      »Ihr«, sagt der Arzt ruhig. »Es ist eine Frau. Und sie ist noch nicht wieder aufgewacht.«

      »Wer ist es? Sagen Sie es mir!«

      »Wir wissen von ihr genauso wenig wie von Ihnen. Sie hatten beide keine Papiere, keine Handys und auch sonst nichts dabei. Nur die Kleider, die Sie anhatten, und das waren, wie gesagt, auch nicht viele.«

      »Wie sieht sie aus?«

      »Wenn Ihnen dann ihr Name einfällt, verraten Sie ihn mir dann?«

      »Ja. Natürlich.«

      »Groß, schlank, etwa Mitte 20. Am auffälligsten sind ihre langen, welligen blonden Haare. Eine richtige Löwenmähne. Und … wie soll ich das jetzt sagen?« Er lacht verlegen. »Ziemlich große Brüste.«

      Ein Bild, mehr nicht, das aber deutlich. Kein Name. Nur Gesicht. Gestalt. Er schweigt und zuckt lediglich mit den Schultern.

      »Schade«, sagt der Arzt. »Was ist gestern Abend wirklich passiert? Was haben Sie sich alles reingezogen?«

      »Ich habe keine Ahnung. Ehrlich!«

      Waldmann seufzt und wendet sich zum Gehen.

      »Wie geht’s denn jetzt weiter?«, krächzt er dem Arzt hinterher.

      »Erst einmal müssen Sie hier bleiben. Aber da Sie jetzt wach sind, können Sie im Laufe des Tages auf die normale Station umziehen. Die Schwester wird Sie vorher vom Vitaldatenmonitor nehmen und Ihnen den Blasenkatheter ziehen. Morgen müssen ein paar Untersuchungen durchgeführt werden. Wenn alles okay ist, werden Sie in zwei, maximal drei Tagen draußen sein. Bis dahin werden sich sicher auch Ihre Freunde gemeldet haben. Dann werden wir bestimmt erfahren, wer Sie überhaupt sind.«

      Es sollte beruhigend klingen, doch bewirkt das Gegenteil. Der Arzt lässt die Glastür hinter sich offen. Vom Flur ist ein Murmeln zu hören, leise Stimmen, unverständlich, doch irgendwie bedrohlich. Er ist sich sicher, dass die Stimmen über ihn reden.

      5

      Ein gebeugtes, hageres Männchen manövriert ihn in seinem Bett durch Gänge, in denen er sofort die Orientierung verliert.

      Fahrstuhl. Mehr Gänge. Türen. Eine davon öffnet das Männchen, schiebt ein leeres, mit Plastikfolie überzogenes Bett hinaus und ihn hinein.

      »Schwester kommt gleich. Alles Gute.« Das Männchen nimmt eine graue Mappe vom Fußende des Bettes und geht. Die Tür schließt sich, absolute Stille.

      Auf einem Tisch in Reichweite eine Flasche Mineralwasser, ein eingeschweißter Plastikbecher. Begrüßungsritual, denkt er, wobei ihn eine Woge aus Angst überspült. Das abstrakte Aquarell über dem Tisch scheint auf ihn zuzukommen. Billiger Druck, schmuckloser weißer Rahmen. Blau und Orange verschwimmen zu undefinierbaren Formen und Figuren. Das Orange flackert. Das Orange droht. Das Orange schreit ihn an.

      Er stöhnt und muss aufstoßen. Ein widerlich süß-saurer Geschmack flutet seinen Mund. Und plötzlich fühlt er etwas, eine Ahnung von Erinnerung. Gleißende Sonne, schnelle Bewegungen, schrilles Lachen, ein Impuls, Ambivalenz. Und Angst, immer wieder Angst.

      6

      Er taucht durch ein violettes Meer, in dem orangefarbene Wellen pulsieren. Seine Haut ist so glatt, dass das Violett nicht ganz zu ihm vordringen kann, sondern Millimeterbruchteile über seiner Haut abperlt.

      Es ist angenehm in diesem Meer, ruhig und kühl.

      Er ist unantastbar.

      Unberührbar.

      Mittendrin und doch wie in einem Kokon vor allem und jedem geschützt.

      Aber hier gibt es sowieso nichts anderes als ihn und das pulsierende violett-orangefarbene Meer.

      Er schreckt hoch und merkt, dass er einige Stunden geschlafen haben muss. Das Licht vor dem Fenster hat sich verändert. Unter dem Aquarell steht ein Tablett mit verschiedenen abgedeckten Tellern.

      Dann erst bemerkt er den Mann. Er ist bullig wie ein Schwergewichtsboxer. Auf seiner Glatze glitzern Schweißperlen. Er steht neben dem Bett und blättert in einer Akte. Weiße unförmige Kleidung mit Namensschild, Blutdruckmanschette und Stethoskop um den Hals. Ein Pfleger.

      »Na, ausgeschlafen?«, fragt der Mann.

      Kopfschütteln. Das geht jetzt besser. Kein Dröhnen mehr. Doch sein Mund ist noch immer staubtrocken.

      »Durst«, flüstert er.

      Wortlos befreit der Mann den eingeschweißten Becher von der Plastikfolie, öffnet die Wasserflasche und gießt ihm ein. Mühsam rappelt er sich hoch und nimmt mit beiden Händen den Becher in Empfang. Gierig saugt er das Wasser ein.

      »Gut gefeiert gestern, was?«

      »Weiß nicht.«

      »Ganz schön hinüber biste gewesen, als wir dich heut Nacht eingesammelt haben.«

      Er starrt irritiert auf den spöttisch grinsenden Mund des Pflegers.

      »Ich war der eine Sani«, fährt dieser fort. »Nebenjob. Sonst reicht das Geld nicht für die Insel der Schönen und Reichen.« Er malt ein paar Anführungszeichen in die Luft. »Solche wie dich haben wir in der Saison fast jeden Tag hier. Aber Junge, Junge, du warst mehr tot als lebendig. Und deine Freundin auch. Was habt ihr euch nur reingepfiffen, um alles in der Welt?«

      »Ich weiß es nicht«, haucht er. »Ich kann mich an nichts erinnern.« Sani. Das Wort hallt in seinem Kopf nach. Sani, Sani, Sani.

      »Schade auch, hätte mich ja mal interessiert.« Der Pfleger lacht. »Übrigens: Deine Schwester ist da. Soll ich sie reinlassen?«

      7

      Er hat keine Schwester. Auch wenn er momentan nicht viel weiß, das weiß er. Doch der Duft ist angenehm, vertraut. Er weiß, dass es Aromen von Jasmin, Pfirsich und Sandelholz sind. Er hat es einmal gegoogelt, vor Jahren, verliebt, unglücklich. Ein Parfum. Sunflowers.

      Das Gesicht des Mädchens, das jetzt neben seinem Bett steht, kommt

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