Die Frauen von Janowka. Helmut Exner
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Читать онлайн книгу Die Frauen von Janowka - Helmut Exner страница 5
»So, Friedrich, do hast du dei Moos far dem Monat«, sagte Salomon und zählte ihm den Betrag ruhig und bedächtig auf den kleinen Tisch, den er neben seinem Wagen aufgestellt hatte. Dann machte er einen Vermerk in seinem Kassenbuch und ließ Friedrich unterschreiben. Salomon hatte seinen Zweispanner vor der Scheune eines Bauernhofs in Solomiak stehen, so wie jeden Donnerstag.
»Wos hert sich nais?«
»Es gibt nichts Neues. Viel Arbeit, wie immer.«
»Host du schoin hert, dass die Schindels izt auch farkoifn hobn?«
»Was?« rief Friedrich völlig entrüstet. »Aber wo wollen sie denn hin? Im deutschen Reich ist es ja auch kein Honigschlecken.«
»Wer redn von Deitschland?« entgegnete Salomon. »Kanada! Dos is ein grois Land in Amerika, nördlich der Verainikt Staaten. Es gehert der englischen Kinign, und die is offenbar dankbar far jedn naie Imigrant, der die Wildnis do in geratn Ackerland macht. Man derzailt sich richtik Wunderzach von Kanada. Die winik Briten, die da lebn, fartrogn die Kalt im Winter nit, und mit de Hitzn im Zumer kumn se auch nit zurekt. Ober far ingl Leit wie dich, die es gewohnt sind, Erd zu rode, bei brien Hitzn auf dem Feld zu ackern und im eisik Winter Holz zu schlake, is es genau das richtik.«
»Aber man kann doch nicht alles liegen und stehen lassen und wieder von vorne anfangen.«
»Besser so, als eines Tags gar niks dafür zu krign und sich obendrein auch noch in der Armee vom Zar toitschisn losn. Sieh dir die Mennonite an. Erscht wurde ihnen versprochen, dass ma se nit zu die Soldaten holt, und dann hat ma all Jingls holt. Viele von si sind derweil auch in Kanada. Sie habn da sogar a Schtot oifschtelnt: Steinbach. Und was ich so derhern, soll es ihnen da woil ergehen.«
Schweigen breitete sich aus, das von Salomon unterbrochen wurde: »Der Zar will alles russifizieren. Mein Foter erinnert sich noch daran, als das Dorf, in dem du woinst, Johannesdorf hieß. Und wie heißt es heute? Janowka! In die deitsche und polnische und ukainische Schul soll Russisch lernt werden, alle sollen dine in de russisch Armee. Wer nit tut, was wird verlongt, dem wird der Pachtkontrakt aufkündigt oder er bekommt kein Kredit mehr von der Bank. Entweder ma werdet russischer als die Russen oder ma wird orem und kann sich als Knecht dingen.«
»Bis jetzt ist weder deine Familie noch meine verarmt. Butter wird immer gegessen«, entgegnete Friedrich mit einem Lächeln.
»Solange ma se sich noch kann fraginen. Denk einfach mal drüber noch. Ich here so manches, und das merste is nit gut. In Europa braut sich was zusam. Meine Kusins reisen von der Schwarzmeerküste bis nach Ungarn, von Polen bis ins Deitsche. Den Kaisern in Estreich und Deitschland geht’s einzik um Macht. Wie es dem Poier geht, dem Arbeter oder gar dem Jid, kümmert se genauso wenig wie den Zar.«
In diesem Moment kam eine Bäuerin mit der nächsten Butterlieferung, und die Plauderei war zu Ende. Friedrich verabschiedete sich, bestieg sein Pferd und rief »Bis zur nächsten Woche«, während Salomon ihm hinterherrief: »Griß dei Eltern von mir!« Dann wandte er sich lächelnd der Bäuerin zu.
- Kapitel 3 -
»Du bist heute so nachdenklich, Friedrich. Haben dir die Piroggen nicht geschmeckt?« fragte Karl, der Vater der Familie, nachdem die Mutter und die beiden Mädchen sich bereits vom Abendbrottisch entfernt hatten.
»Ich denke darüber nach, was Salomon heute erzählt hat.«
»Ach, der Salomon, der ist genauso wie sein Alter. Geht die Welt mal wieder unter? Oder hat der Blitz sein Lokus getroffen?«
»Es ist meistens was dran, wenn der Salomon was erzählt«, mischte sich die Mutter vom anderen Ende der Küche ein.
»Er sagt, dass die Schindels jetzt auch verkauft haben und nach Kanada auswandern«, sagte Friedrich.
»Was?« schoss es gleichzeitig aus Karls und Christines Mund.
»Natürlich sind die Zeiten schwierig, aber so war es fast immer«, sagte Karl in einer Mischung aus Aufgeregtheit, Trotz und Trauer.
In den letzten Jahren hatten viele deutsche, aber auch polnische und ukrainische Bauern in der Region ihr Hab und Gut verkauft. Etliche Deutsche waren nach Ostpreußen gezogen, viele aber auch nach Übersee. Seit ein paar Jahren hörte man immer mehr von Kanada. In Kostopol und Tuczyn gab es sogar Plakate in verschiedenen Sprachen, mit denen für eine Auswanderung nach Kanada geworben wurde.
»Trotzdem kann man nicht alles einfach im Stich lassen, was man sich mühselig aufgebaut hat«, sagte Karl. »Wir sind erst vor ein paar Jahren von Kopan hierher gezogen, weil es hier mehr und besseres Land für uns gibt. In ein paar Jahren kannst du dein eigener Herr sein und Gottlieb auch. Was meinst du, wie es da war, wo der Vater deiner Mutter herkommt? Er hat in Posen gelebt, hat sich da mühsam etwas aufgebaut, so wie sein Vater und sein Großvater vorher. Aber weil die Deutschen nicht mitgemacht haben beim polnischen Volksaufstand, ist es immer schwieriger geworden. Die wollten da einfach keine Deutschen mehr haben, vor allem keine Protestanten. Es ist immer wieder zu Gewalt gekommen, und schließlich hat mein Schwiegervater, ebenso wie viele andere, den Wagen vollgepackt und ist mit der gesamten Familie hierher gekommen, nach Wolhynien. Natürlich war es hier auch nicht leicht. Du weißt ja, dass unser Land in Kopan die größer werdende Familie nicht mehr richtig ernährt hat. Deshalb sind wir ja hierher gezogen. Und es geht uns doch hier richtig gut, oder nicht? Und dein Onkel Robert hat aus der kleinen Weberei deines Großvaters eine angesehene Tuchfabrik gemacht.«
»Natürlich, es ist wunderbar hier«, entgegnete Friedrich, der sich von seinem Vater ernst genommen fühlte, wenn dieser wie jetzt mit ihm redete. »Ich habe ja auch nur gesagt, was der Salomon erzählt hat. Aber irgendwie hat er trotzdem Recht. Und die Schindels haben auch Recht, wenn sie sich entschlossen haben, nach Kanada zu gehen. Seit einiger Zeit werden immer mehr Deutsche in die Armee des Zaren gesteckt. Vier, fünf Jahre müssen sie da dienen. Viele bekommen von der Bank kein Darlehen mehr, um Land zu kaufen, Pachtverträge werden nicht verlängert. Ich habe manchmal den Eindruck, als ob man uns aus diesem Land rausekeln will.«
»Dummes Zeug!« brüllte Karl. »Wolhynien, die ganze Ukraine, ja das gesamte Zarenreich ist doch angewiesen auf uns. Katharina die Große hat die Deutschen mit Kusshand ins Reich geholt. Und auch wir, obwohl wir viel später gekommen sind, haben etwas geleistet und dafür viele Freiheiten bekommen. Und so wird es auch bleiben. Wir haben unsere