Die Frauen von Janowka. Helmut Exner
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»Nicht nur.«
»So, was denn noch?«
»Tja, es gibt hier ein Mädchen, das mir besonders gut gefällt.«
»Aha, ein Mädchen. Darf man erfahren, wer dieses Mädchen ist?«
»Sie heißt Serafine und ist eure Tochter.«
»Na du bist mir einer; genau so ein Witzbold wie dein Vater. Aber gerade deshalb mag ich ihn ja. Anscheinend hast du einiges von ihm mitbekommen. Wenn du ebenso tüchtig bist wie dein Vater, habe ich nichts dagegen, wenn du mit Serafine über eine gemeinsame Zukunft nachdenkst. Es geht dir doch um die Zukunft? Oder denkst du nur an ein kurzes Vergnügen?«
»Nein, ich meine ja, natürlich geht es mir um die Zukunft.«
Schließlich wurde er nach einem Gespräch mit seinen Eltern als Verlobter in die Familie der Rattais aufgenommen. Und Serafine war seinen Eltern als Schwiegertochter auch willkommen. Als sie heiraten wollten, kamen beide Familien zusammen und verabredeten, dass jeder etwas dazugibt, damit das junge Paar den Hof eines Auswanderers übernehmen konnte. Beide Familien waren nicht arm, und die Höfe waren zur Zeit billig, weil zu viele zum Verkauf standen.
Alles, was Serafine jetzt noch zu ihrem Glück fehlte, war ein Kind. Wenn sie die Anzeichen richtig deutete, dann war sie tatsächlich schwanger. Das war ein prickelndes Gefühl. Sie war guter Stimmung, als sie Salomon wahrnahm, der an seinem Wagen hantierte.
»Na, Salomon, was gibt es Neues aus Kostopol zu berichten?« fragte Serafine, nachdem sie ihre Butter abgeliefert hatte.
»Die Zeiten wern immer mehr schlecht, wohin de auch kukn tust. Im Schtetl is das Elend größer worn und de Dorfer wern leidiker.«
»Ach, Salomon, dass du immer so schwarz sehen musst. Ich weiß, dass nicht alles zum besten steht. Es gehen immer mehr Leute weg.«
»Es schmeckt nach Kreig. Der deitsche Kaiser strotzt for Waffe. Der Estreicher hat Müh, sei Reich zusamm zu halten. De Zar holt stetik mehr ingl mansbils in sei Armee. Wenn i nikt misst sorgn für de Mischpoche, fir Foter, Mame un Mume, wird i gein nach Amerika.«
»Ach, Salomon, wir können doch nicht alle weggehen. Bleib uns ruhig erhalten. Wo sollen denn die Leute ihre Butter herkriegen?«
Serafine war heute nicht nach Salomons Schwarzmalerei zumute. Sie wollte sich ihre hoffnungsvollen Gedanken nicht kaputt machen lassen. Jetzt kam ihr Salomon auch noch mit Krieg. Um Gottes Willen. Blos schnell weg hier.
»Grüß deine Eltern, Salomon. Früher war ja dein Vater oft hier. Ich glaube, ich habe ihn schon seit Jahren nicht mehr gesehen.«
»Die Eltern sin alt wordn. Aber se schtein noch jede Tog im Laden von de Frimorgn bis in de Ownt.«
Serafine steuerte mit ihrem Wagen auf den Hof ihrer Eltern zu. Ihr Bruder Rudolf, ein junger Mann im heiratsfähigen Alter, kam gerade aus dem Schweinestall, winkte ihr zu und begleitete sie dann ins Haus, wo ihre Mutter Pauline sie in der Küche erwartete.
»Na, mein Mädchen, wie geht es dir? Bist du immer noch glücklich verheiratet? Lass dich mal anschauen.« Sie packte ihre Tochter bei den Schultern und schaute ihr ins Gesicht. »Gut siehst du aus. Ich denke, es wird ein Mädchen.«
»Aber Mutter, woher willst du denn wissen, was mit mir ist? Ich bin mir ja selbst noch nicht sicher.«
»Glaub mir, es ist so. Es wäre schon ein Wunder, wenn eine Frau aus unserer fruchtbaren Familie nach einem halben Jahr Ehe noch nicht schwanger wäre. Wenigstens mal etwas Erfreuliches. Ansonsten ist ja alles so schrecklich.«
»Was ist denn so schrecklich?«
Die Mutter holte einen Brief aus dem Küchenschrank, setzte sich an den Tisch und begann laut zu lesen, bis die Tränen ihre Stimme erstickten. Ihre älteste Tochter, die eine Tagesreise entfernt in einer anderen Kolonie lebte, war seit einiger Zeit krank. Dem Brief war zu entnehmen, dass es ihr immer schlechter ging. Serafine saß wie versteinert da, während die Mutter mit inzwischen wieder gefestigter Stimme sagte: »Ich muss auf jeden Fall zu ihr. Sie hat zwar eine gute Schwiegermutter, die ihr hilft, wo es nur geht, aber ich glaube, jetzt braucht sie mich. Ach Gott, was macht das Kind einem für Sorgen. Was ist nur los mit ihr?«
Serafines Freude, dass die Mutter sie in ihrer Annahme der Schwangerschaft bestätigt hatte, war dahin. Du meine Güte, Justina, warum gibst du mir kein Zeichen, wenn es dir so schlecht geht? Der Gedanke, dass etwas mit dir ist und ich dir nicht helfen kann, ist mir unerträglich. So nahe liegen also Glück und Unglück beieinander. Ziemlich betrübt trat sie den Heimweg an. Es hatte ihr weh getan, die Mutter weinen zu sehen. Und Justinas Krankheit lag ihr wie ein Stein auf dem Herzen. Serafine grübelte vor sich hin. Sie hatte ein ganz besonderes Verhältnis zu ihrer Schwester Justina. Die beiden konnten sich schon als kleine Mädchen verständigen, ohne zu sprechen. Oft hatten sie sich einen Spaß daraus gemacht, die Gedanken der anderen zu erraten. Später ging es so weit, dass die eine wusste, wenn die andere in Not war. Und als Justina dann heiratete und wegzog, vereinbarten die beiden Schwestern, dass sie sich »Bescheid geben« würden, wenn etwas »passiert«. Mehr Worte bedurfte es nicht. Es war beiden klar, wie das geschehen und dass es auch funktionieren würde.
Als sie zu Hause ankam, war Abendbrotzeit. Serafine schnitt das frische Brot, das ihre Mutter ihr mitgegeben hatte, stellte Schmalz, Wurst, Käse und Gurken auf den Tisch und rief Friedrich herein, der mit dem Melken fertig war.
Nach dem Tischgebet sagte Serafine: »Ich glaube, ich gehe heute ins Bethaus zur Chorprobe. Eigentlich habe ich gar keine Lust bei diesem herrlichen Wetter. Aber ich muss auf andere Gedanken kommen.«
»Warum, reicht es nicht, wenn du an mich denkst?«
»Ich fürchte, das reicht heute wirklich nicht. Meiner Schwester geht es schlechter. Ich habe ein ganz übles
Gefühl.«
»Dann geh mal singen. Ich genehmige mir ein Bad im Fluss, und hinterher probiere ich mal das Bier, das du gebraut hast.«
Angesichts des warmen Sommerabends, an dem sich normalerweise viele Leute lieber im Garten von der harten Arbeit des Tages ausruhten, war das Bethaus gut besucht. Etliche Frauen, aber nur ein paar Männer aus dem Dorf, zwei Frauen aus Solomiak und die junge Ukrainerin, die den Sommer über bei Nachbarn wohnte und arbeitete, waren da. Chorleiter war der Küster. Gesungen wurden deutsche, russische, ukrainische und polnische Volkslieder. Jeder Sänger hatte ein handgeschriebenes Liederbuch mit den Texten. Da nur wenige Noten lesen konnten, machte sich kaum jemand die Mühe, die Noten vom Blatt des Küsters zu übertragen.
Inzwischen hatte Gottlieb seinen Bruder Friedrich abgeholt, um mit ihm zum Fluss zu gehen. Um den Abend so richtig genießen zu können, hatte jeder zwei Flaschen von Serafines Bier mitgenommen.
»So lässt sich´s leben«, sagte Friedrich. Die beiden Männer saßen auf den großen Steinen am Fluss und hatten jeder bereits die zweite Flasche Bier in Angriff genommen. Ihre Kleidung hatten sie noch nicht wieder angelegt. Da nur selten Alkohol getrunken wurde, zeigte das Bier seine Wirkung. Die beiden wurden immer lustiger und leutseliger. Dann watete Gottlieb in den halb ausgetrockneten Fluss und bewarf Friedrich mit einer Handvoll Schlamm.
»Verflucht! Das kriegst du wieder!« Er rannte