Die Frauen von Janowka. Helmut Exner
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Aus Janowka gingen zu der Zeit etwa vierzig Kinder in die Schule, dazu gesellten sich noch einige aus der Kolonie Janowka, die sich an das Dorf anschloss und aus einer Handvoll Bauerngehöften bestand. Auch die Kinder aus der Kolonie Solomiak, die zwei Kilometer entfernt war, kamen ein paar Schüler. Es bestand eine sechsjährige Schulpflicht für alle evangelischen Kinder. So etwas gab es nur in Wolhynien und zum Teil noch bei den Mennoniten im Schwarzmeerbereich. Die meisten Menschen im russischen Riesenreich waren Analphabeten. Sommer- und Herbstferien waren allerdings sehr lang, da die Eltern auf die Hilfe der Kinder bei der Feldarbeit angewiesen waren. Ziel des Unterrichts war es, den Kindern Lesen und Schreiben beizubringen, damit sie in der Lage waren, die Heilige Schrift zu lesen. Dass man diese Kenntnisse auch für viele andere Belange gut gebrauchen konnte und darüber hinaus auch noch Rechnen lernte, und je nach Bildungsstand des Lehrers einiges darüber hinaus, verstand sich von selbst. Der Küster, der kein ausgebildeter Lehrer war, führte ein strenges Regiment in der Einraum-Schule mit vierzig bis fünfzig Kindern. In den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts war der evangelischen Kirche das Schulwesen aus den Händen genommen worden, und es sollte vor allem Russisch gelernt werden. Deutschunterricht war nur zwischen acht und neun Uhr morgens erlaubt. Da die russische Verwaltung aber nicht in der Lage war, Lehrer zu stellen, sah man das nicht so eng, jedenfalls in den Dörfern. Russisch lernte man ohnehin im praktischen Leben, dazu Ukrainisch, Polnisch und Jiddisch.
Es gab deutsche, ukrainische, polnische, russische, mennonitische und jüdische Dörfer. Und es gab größere Orte mit einer Mischung aus vielen Nationalitäten und Religionen. Alle standen miteinander in Kontakt, jeder respektierte die Eigenheiten der anderen.
Fast alle Einwohner waren Bauern, und viele übten nebenbei auch noch ein Handwerk aus. Es gab auch einige hauptberufliche Unternehmer wie den Schmied, den Müller und ein paar andere, die keine Landwirtschaft
betrieben. Zu jedem Wohnhaus gehörten Ställe und Scheunen sowie ein Garten für Obst- und Gemüseanbau. Die Kühe des Dorfes wurden morgens von einem Hirten abgeholt, tagsüber zentral auf einer Weide außerhalb des Dorfes beaufsichtigt und abends wieder in ihre heimischen Ställe gebracht, wobei jede Kuh ihren Weg selbst zurück fand. Die Felder lagen zum Teil weit außerhalb. Jede Familie arbeitete für sich, aber gegenseitige Hilfe war selbstverständlich. Einige Männer arbeiteten auch in den weiter entfernten Städten und kamen nur am Sonntag nach Hause. Wer gar in Shitomir arbeitete, konnte nur selten kommen, verdiente aber meist recht gut.
Viele Nutzflächen waren erst in den letzten Jahrzehnten der Natur abgerungen und der Landwirtschaft zugänglich gemacht worden. Neben Viehweiden, Kornfeldern und Kartoffeläckern gab es Obstbäume. Aus dem Überfluss an Obst, das man nicht konservieren konnte, wurde Obstwein hergestellt oder Schnaps gebrannt, was für viele eine zusätzliche Einnahmequelle darstellte, auch wenn es illegal war. Lizenzen zum Schnapsbrennen mussten teuer bezahlt werden. Man war Selbstversorger. Butter, Käse, Fleisch, Obst, Gemüse und das Mehl zum Brotbacken produzierte jeder selbst. Und wenn es an irgend etwas mangelte, konnte man mit Nachbarn tauschen. Die flache Landschaft, die Felder von Wald eingesäumt, könnte man als lieblich bezeichnen. Die Sommer waren heiß und manchmal auch trocken, die Winter konnten eisig kalt sein, wenn der Wind von Osten kam.
»Katlika, lass dich nicht von der Mutter erwischen«, rief Friedrich, als er von seinem Garten aus beobachtete, wie seine Schwester Mathilde, die jeder nur noch Katlika nannte, mit dem achtzehnjährigen Eduard Ehmke Richtung Fluss eilte.
Aber das sechzehnjährige Mädchen, das aufgrund ihrer Größe aussah wie eine Zwölfjährige, winkte nur fröhlich. Sie wusste genau, dass ihr großer Bruder nicht petzen würde. Natürlich hatte Mutter Christine ihr streng verboten, sich mit Jungen herumzutreiben. Das änderte aber nichts an der Tatsache, dass sie verliebt war. Das Flussufer mit seinem Schilf bot Liebespaaren die Möglichkeit, einmal ungestört vor den Blicken der anderen miteinander zu reden oder das zu tun, was Liebespaare sonst noch so zu tun pflegen.
Friedrich hatte vor einem halben Jahr Serafine geheiratet, die Tochter von Pauline und Karl Rattai, die im zwei Kilometer entffernten Solomiak wohnten. Mit ihrem blonden Haar bildete sie einen schönen Kontrast zu Friedrich, der, wie all seine Geschwister, volles dunkles Haar hatte und einen dunklen Teint. Serafine konnte wunderbar singen, war die Hilfsbereitschaft in Person und verstand sich nicht nur mit ihren Eltern und Geschwistern, sondern auch mit denen ihres Mannes. Friedrich hatte das Gefühl, das große Los gezogen zu haben. Serafines Vorfahren mütterlicherseits kamen ursprünglich aus Mecklenburg, hatten dann ab 1760 in Posen gelebt und kamen etwa 1860 nach Wolhynien, um hier ihr Glück zu versuchen, nachdem es für Deutsche unter der polnischen Mehrheit immer schwieriger wurde. Die Familie ihres Vaters war einst sorbisch, kam vor langer Zeit nach Posen und schließlich ebenfalls nach Wolhynien.
Friedrich hatte die Gelegenheit genutzt, Haus und Hof einer Familie zu übernehmen, die nach Königsberg gezogen war. Er hatte sich etwas Geld erspart, und sowohl seine Eltern als auch die von Serafine hatten alles zusammengelegt, um dem jungen Paar den Erwerb von Haus und Grund zu ermöglichen. Die Bank in Kostopol hatte
Anweisung von oben, keine Darlehen mehr an Deutsche zu geben, selbst wenn sie einen russischen Pass hatten. Aber man konnte natürlich keinem russischen Bürger verbieten, ein Haus zu kaufen, wenn er es bar bezahlen konnte. Friedrichs Eltern Christine und Karl wohnten nur ein paar Häuser weiter, und Gottlieb könnte dann später einmal deren Hof übernehmen. Die beiden Mädchen Katlika und Martha würde man sicher gut verheiraten können, so fleißig und geschickt wie sie sich anstellten. Sie waren zwar klein und dünn, hatten aber von der Mutter alles gelernt, was eine gute Hausfrau auf dem Bauenhof ausmacht. Außerdem waren sie schon jetzt hübscher als es den Eltern lieb war. Ständig musste man aufpassen, dass sie die jungen Männer nicht zu nah an sich ranließen.
»Ich fahr dann mal rüber nach Solomiak«, sagte Serafine, die gerade aus der Sommerküche kam, einem kleinen separaten Gebäude, das in der heißen Jahreszeit zum Kochen genutzt wurde.
»Ach ja, heute ist ja Donnerstag, der Salomon wartet auf die Butter«, entgegnete Friedrich.
»Und außerdem fahre ich noch bei den Eltern vorbei und bringe Brot mit. Mutter hat gestern gebacken.«
»Soll ich dir das Pferd einspannen?«, fragte Friedrich.
»Das kann ich schon selbst. Ich bin schließlich ein großes Mädchen«, antwortete Serafine lächelnd.
- Kapitel 6 -
Lieber Gott, lass mich schwanger sein, sagte Serafine halb zu sich und halb zu Gott, als sie ihren Einspanner gemächlich über die staubige Straße nach Solomiak führte. Bis jetzt war ihr Leben in ruhigen Bahnen verlaufen. Ihre Leidenschaften waren Singen und Lesen. Und als vor zwei Jahren ein junger Mann anfing, ständig nach Solomiak zu kommen und um sie herumstreunte wie die Katze um den heißen Brei, entdeckte sie eine dritte Leidenschaft: Friedrich. Sie trafen sich heimlich oder spielten den anderen vor, dass sie sich ganz zufällig begegnet wären. Natürlich merkten ihre Eltern, was hier lief. Aber warum auch nicht? dachte Mutter Pauline. Friedrich ist ein guter Junge aus einer ordentlichen Familie. Er wird mal seinen eigenen Hof haben, und Serafine wird sich zu einer guten Bäuerin entwickeln. Sie konnte zupacken, ohne sich zu beklagen. Schließlich wurde Friedrich eines Tages ganz