Der Steuerprüfer. Johannes Horn

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Der Steuerprüfer - Johannes Horn

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Verkehrsmitteln lästig, besonders das häufige Umsteigen und das umständliche Aufsuchen entfernt liegender Adressen. Im Zusammenhang mit einer der üblichen Steuerüberprüfungen hatte er sich in einer am Stadtrand gelegenen Anwaltskanzlei einzufinden. Der Termin der Prüfung war von der Behörde festgelegt und dem Rechtsanwalt schon vor geraumer Zeit mitgeteilt worden. Ein kurzes Antwortschreiben seitens der Kanzlei hatte den Termin bestätigt.

      Er nahm die notwendigen Unterlagen an sich und verstaute sie zusammen mit den farbigen Stiften in seiner notdürftig geflickten Aktentasche. Auch der graue Mantel, den er sich überzog, zeigte deutliche Spuren vom täglichen Gebrauch. Grußlos, in Gedanken versunken, verließ er das Zimmer. Er folgte dem umständlich erarbeiteten Wegeplan und stand schließlich vor einer verwirrend imposanten Fassade eines mächtig dastehenden Hauses; die Fenster umrahmt von Pilastern und Giebelwerk, Skulpturen zierten die hoch aufragenden Wandflächen, zwei kunstvolle Atlanten stützten die steinschwere Überdachung des Eingangs. Die dunkelbraune, mit Schnitzereien versehene massive Eichentüre hatte etwas Abweisendes, Einschüchterndes, Überhebliches. Er nahm nach nur kurzem Zögern seine Aktentasche fest unter den Arm und drückte den messingfarbenen Klingelknopf.

      Es dauerte lange, bis der Summton des Öffners die Türe frei gab. Nur mit Mühe gelang es ihm, den schweren Holzkoloss zu bewegen und sich Zutritt zu verschaffen. Die Weitläufigkeit des Treppenhauses irritierte ihn, doch ließ er sich nicht ablenken von Marmorstufen und Wandgemälden; zielstrebig folgte er einem breit ausgelegten Teppichläufer, der ihn zu einer nicht minder prächtigen Flügeltüre führte. Wieder klingelte er. Eine junge Dame, adrett gekleidet und von ansehnlichem Äußeren, begrüßte ihn mit höflicher Bestimmtheit. Er käme vom Finanzamt, sagte er und, kaum hörbar, sprach er seinen Namen. „Nehmen Sie doch bitte Platz, Herr von Guttmann spricht noch mit einem Klien­ten. Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“. Sich seines Auftrages bewusst, verneinte er diese Frage. „Darf ich Ihnen Ihren Mantel abnehmen?“ Durch eine abkehrende Bewegung entzog er sich dieser Frage; er setzte sich auf einen der Stühle, die Aktentasche fest an sich gedrückt. Sich selbst vergewissernd fühlte er das sperrige, ihm überaus vertraute Leder, während sein Blick wie von selbst über die an den Wänden hängenden Gemälde hinwegglitt. Es fühlte sich ganz offensichtlich nicht wohl in dieser Umgebung, doch blieb er ruhig sitzen in zurückgezogener Geschäftsmäßigkeit. Er zog seinen halb geöffneten Mantel fest an sich; schließlich hatte er einen Auftrag zu erfüllen.

      Die Aufgabe, die ihm aufgetragen war, bewirkte in ihm eine gewisse Entschlossenheit. Je länger er zu warten hatte, desto entschiedener und bedingungsloser spürte er in sich den Willen, sie ordnungsgemäß auszuführen. Ein Gemälde zog immer wieder seine Aufmerksamkeit auf sich, es war der „Schrei“ von Edvard Munch. Obwohl er immer wieder seinen Blick auf dieses Bild richtete, war es für ihn doch nicht mehr als ein Bild und schließlich blieb es Teil einer Welt, die nicht seine war. Die adrette Dame kam und sagte, es wäre soweit. Sie öffnete eine Türe und ließ ihn eintreten. Entschlossen betrat er den Raum, der sich großräumig und lichtüberflutet vor ihm auftat. Von der Decke hing ein ausladender Kristallleuchter, der die Lichtwirkung der hohen Fenster kraftvoll verstärkte. Ein breiter, in Blautönen changierender Teppich ebnete den Weg zu dem in wuchtiger Schönheit ruhenden Schreibtisch am Ende des Raumes. Von dem dahinterstehenden Stuhl war nur die hochragende Rückenlehne aus schwarzem Leder zu sehen.

      Noch bevor er alles in sich aufnehmen konnte, trat ein Herr ins Zimmer, kaum älter als er. Selbstsicher und mit zuvorkommender Freundlichkeit stellte er sich vor: „Guttmann, was kann ich für Sie tun?“. Kannte er den Beweggrund seines Besuches nicht, dachte er, während er den Mantel mit einer raschen Handbewegung glättete. „Wie war Ihr Name?“. Er stellte sich vor. „Ach Sie sind der Herr vom Finanzamt – kommen Sie!“. Er folgte dem schnellen, dynamischen Schritt in einen entfernt gelegenen Raum. Es war das Archiv, das, wie er sogleich erkannte, übersichtlich und mit einem bestechenden Sinn für Ordnung angelegt war. Sie gingen durch die Regalreihen bis Herr von Guttmann plötzlich stehen blieb: „Hier sind die Jahrgänge, die Sie benötigen. An diesem Tisch hier können Sie arbeiten! Papier und Schreibzeug liegen für Sie bereit! Wenn Sie etwas brauchen, wenden Sie sich an die Schreibdamen, vorn, gleich im ersten Zimmer.“ Der Ton war bestimmt aber keineswegs unfreundlich. Während Herr von Guttmann ging, blieb er am Tisch stehen und blickte auf die Ordner, ohne sie wirklich wahrzunehmen. Es war etwas, das sein Gleichgewicht gestört, sein Inneres in Unruhe versetzt hatte. Die Einheit von langjährig Gesichertem und augenblicklich Gefühltem war in ihm irgendwie ins Schwanken geraten. Er fühlte sich wie ein Tiger im Käfig, und es war ihm, als sähe er überall Stäbe, die ihn beengten. Es dauerte eine Zeit, bis er seinen Mantel auszog, seine bunten Stifte auf den Tisch legte und mit seiner Arbeit begann.

      Die Dokumente waren umfangreich, sämtliche Belege sorgfältig abgeheftet und mit Kommentaren versehen. Aufmerksam, sich immer wieder vergewissernd, studierte er die einzelnen Beträge und verglich sie mit der Buchführung und den jeweiligen Kontoständen. Er hatte gelernt, mit Zahlen umzugehen, sie zuzuordnen, sie hochzurechnen und sie auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen. Er hatte eine Spürnase für Unstimmigkeiten, für Fehlerhaftes und Ungerechtfertigtes. Schnell durchschaute er Zusammenhänge, errechnete Zwischenwerte und erstellte Bilanzen, überflog die Kolonnen und Zahlenreihen, addierte und subtrahierte. Zahlen waren seine Welt und in dieser Welt kannte er sich aus. Vertieft in seine Arbeit bemerkte er nicht, dass es Abend geworden war; die Schreibkräfte hatten schon längst das Büro verlassen. Herr von Guttmann war es, der ihn schließlich überreden konnte, seine Arbeit am nächsten Tag fortzusetzen.

      Es war dunkel, als er das Haus verließ. Die Fassade, die schon am Morgen einen starken Eindruck auf ihn gemacht hatte, wirkte im Schattenspiel der Straßenlaternen noch mächtiger, sie hatte etwas Unnahbares und Beherrschendes. Dieses Bild prägte sich ihm ein, wie auch die anderen Bilder dieses Tages, aber noch hatte er sich von der Welt der Zahlen nicht gelöst. Der Weg war nicht kurz, den er zu gehen hatte; er ging ihn ohne Eile. Ganz langsam begannen sich in seinen Gedanken Zahlen und Bilder zu mischen. Die vielen Daten und Zahlen, mit denen er es bisher täglich zu tun hatte, blieben stets das, was sie waren, sie blieben Zahlen, nichts weiter; Zahlen ohne Inhalte, nüchterne, leblose Zahlen. Heute aber mischte sich Farbe ein, nahmen die Zahlen Gestalt an, heute zeigten sie ihr Gesicht. Große Zahlen behandelte er bisher nicht anders als die kleinen; sie bedeuteten ihm nichts; sie hatten zu stimmen, mehr verlangte er nicht, mehr war nicht seine Aufgabe. Nie war ihm der Gedanke gekommen, einen Vergleich zu seinen begrenzten Möglichkeiten herzustellen, wo er doch die Eltern zu unterstützen und einen Großteil der Miete zu tragen hatte. Doch, die Zahlen waren seine Aufgabe und diese Aufgabe hatte er zu erfüllen.

      Heute nun konnte er sehen, was sich hinter großen Zahlen verbirgt. Die Zahlen wurden zu Bildern, während sich die Bilder immer konkreter aus Zahlen zusammensetzten. Wie zwei Elemente gingen Zahl und Bild eine untrennbare Verbindung ein. Es war ihm, als hätte sich die Welt verändert, als hätte er plötzlich Zutritt zu einer Welt, die ihm bisher verborgen geblieben war. Während er durch die Straßen ging, fing er an, jedes Haus zu taxieren, den Bildern Zahlenwerte zuzuordnen und sich Vorstellungen über ihr Inneres zu machen. Die Welt der kleinen Zahlen war ihm durch die tägliche häusliche Enge durchaus vertraut. Er kannte sie ja und immer besser gelang es ihm, zwischen dem Großen und dem Kleinen Abstufungen vorzunehmen und sie mit bestimmten Vorstellungen zu verbinden. Zu Hause angekommen, sah er lange auf die dunklen Fenster seiner Wohnung; er fühlte sich in dem bestätigt, was ihm auf dem langen Heimweg schon zu einer ganz unerwarteten Erfahrung geworden war.

      Pünktlich saß er am nächsten Morgen im Archiv. Die adrette Dame von gestern brachte ihm eine Tasse Kaffee. Er begann mit der Arbeit. Erst, als er seinen Rotstift das erste Mal zur Hand nahm, fiel ihm auf, dass er ihn gestern nicht ein einziges Mal gebraucht hatte. Sollte er bei der gest­rigen Prüfung etwas übersehen haben? Mit noch größerer Aufmerksamkeit musterte er die Belege, fragte nach Herkunft und Berechtigung, überprüfte die Echtheit, ordnete zu, zählte zusammen, rechnete nach, verglich. Einige Punkte weckten bei ihm Misstrauen, wiederum andere ließen sich nicht plausibel erklären, manches schien ihm lückenhaft. Immer häufiger kam sein Rotstift zur Anwendung. Die nach seinem Dafürhalten fehlenden Unterlagen notierte er ebenso wie die noch

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