Der Steuerprüfer. Johannes Horn

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Der Steuerprüfer - Johannes Horn

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stimmig, unzweifelhaft und unwiderlegbar, hier der spürbare Drang, Einfluss zu nehmen, Wandel zu bewirken und Umwälzung herbeizuführen, anklagend, protestierend und fordernd. Dort die leblose, aktenmäßige Beständigkeit faktischer Gegebenheiten, hier der beherzt engagierte Versuch der Veränderung hinsichtlich der gesellschaftlichen Lebensbedingungen. In solche Gedanken vertieft und schwankend bei der Suche nach Orientierung wurde er unvermittelt von einem jungen Mann angesprochen: „Du bist neu hier?“. Ganz spontan bejahte er dies. „Du willst mitmachen?“. Diese Frage verwirrte ihn. „Was gibt es zu tun?“ und etwas zögernd fügte er hinzu: „Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, worum es geht. Die Plakate dort haben mich angesprochen, sie machten mich neugierig und nun bin ich hier.“

      Der junge Mann, etwas ungepflegt gekleidet, mit langem Haar nach hinten gekämmt und zu einem Zopf gebündelt, hatte auffallend lebendige Augen; seine Sprache war direkt aber nicht weniger gewandt. Der schnelle Redefluss verbunden mit einer weitläufigen, politischen Sachkenntnis beeindruckte ihn. Er wurde gefragt, was er so beruflich mache. Mit kurzen Sätzen, wie er es gewohnt war, erzählte er von seiner Tätigkeit. Er wurde auf das Plakat angesprochen mit der Frage, was ihn dabei so bewegt habe. Was sollte er da sagen, wie seine Beweggründe erklären, wo er sie doch selbst nicht hinterfragt hatte und nur einem unbestimmten inneren Drang gefolgt war. „Das Plakat sprach mich an; ich kann eigentlich nicht erklären warum“, sagte er etwas verunsichert und suchte nach weiteren Erklärungen, doch dazu kam es nicht. „Hier ist einer, der dir unser politisches Programm genau erklären kann.“ Er deutete auf einen anderen jungen Mann aus der Gruppe der um den runden Tisch stehenden und immer noch diskutierenden Personen. Er trug eine olivfarbene Feldjacke und etwas ausgebeulte Jeans; am Revers fiel ihm ein Abzeichen auf mit den Buchstaben, die er bereits vom Plakat her kannte. Mit den Worten „das ist ein Neuer“ wurde er ihm vorgestellt. „Also du bist neu hier und du interessierst dich für unsere Partei.“ Noch bevor er etwas erwidern konnte, fühlte er sich vereinnahmt von einer imperativen Redensart, wie er sie so weder gekannt noch erwartet hat.

      „Wir sind eine kleine kampfstarke Truppe, die sich das Ziel gesetzt hat, die Strukturen unserer Gesellschaft von Grund auf zu erneuern. Wir können nicht hinnehmen, dass die vielen Fremden in unserem Land die Oberhand gewinnen; wir müssen das Volk aufrütteln, wir müssen die Gesellschaft vor Überfremdung schützen und ihr wieder ein Leben ermöglichen, das dem deutschen Wesen entspricht.“ Von hinten wurde ihm ein Glas Bier in die Hand gedrückt; dabei hatte er noch nie Bier getrunken. Doch, abgelenkt durch die gedankliche Beschäftigung mit den programmatisch vorgetragenen Postulaten, trank er, das Glas fest in der Hand haltend. Er trank, als würde es ihm dadurch gelingen, Abstand zu gewinnen und Klarheit zu schaffen in der sich überstürzenden Flut von Gedanken. Mit sich verlangsamender Aufmerksamkeit hörte er weiter zu und es schien ihm als wiederholten sich die Begriffe, die sich in seinem Inneren einprägten. Er merkte nicht, dass sein Glas bald schon leer war und auch das zweite Glas, das man ihm anbot, trank er, ohne dass es ihm bewusst wurde. Er stand nun allein am runden Tisch mit dem Anführer in olivfarbener Feldjacke und dem Abzeichen am Revers; die anderen waren entweder bereits gegangen oder hatten sich anderen Gruppen zugewandt. Obwohl schon gedanklich abwesend, waren es doch einige Begriffe, die ihn nicht mehr losließen, die sich wie feurige Fanale in seinem Inneren festsetzten: „das Fremde“, „die Disziplin“, „der Mut“ und immer wieder „das Volk“, „die Gesellschaft“ und – wie eingebrannt – das „NICHT WEITER SO!“.

      Es war spät geworden und viele der Anwesenden waren schon gegangen. Mit dem Versprechen, wiederzukommen, verabschiedete er sich. Er folgte dem langen dunklen Gang nach draußen. Auf der Straße war es ruhig geworden. Er atmete tief durch und langsam ging er die Straße entlang. Seine Gedanken geisterten wie entzügelt hin und her. Die karge Beleuchtung der Straßenlaternen schien ihm der einzig verlässliche Begleiter auf dem langen Weg zurück zur Straßenbahn. Am Schreibwarengeschäft blieb er stehen; er sah in der Dunkelheit die gerade noch zu erkennenden Zigarettenwerbungen und die Zeitungsangebote in türkischer Sprache. Sie kamen ihm fremd vor und er sagte sich, dass er das wohl meinte, als er von „Fremdem“ sprach. Von nun an entwickelte er ein feines Gespür für das „Fremde“. Allerdings fragte er sich nicht, wer denn berechtigt sei, festzulegen, was als fremd zu gelten habe, immerhin sah er es ja: Die fremde Schrift, die unverständlichen Worte; sie gehörten einfach nicht hierher. Er ging weiter und war überzeugt, etwas Wichtiges verstanden zu haben.

      Die Eltern waren noch wach, als er nach Hause kam. Sie wunderten sich nicht nur über seine ungewöhnlich späte Heimkehr, viel mehr über sein Verhalten: Er war auffallend erregt, ja geradezu beflügelt, zugleich aber äußerst wortkarg und verschlossen. Zielstrebig ging er in sein Zimmer. Die Eltern blickten sich erstaunt und ratlos an. So war er doch nie, sagten sich beide und gingen schließlich auch zu Bett.

      Äußerlich vergingen die folgenden Tage wie immer. Allerdings fiel den Eltern bei aller Wortkargheit, die ihnen schon vertraut war, eine gewisse Unruhe ja Fahrigkeit auf. So ließ er das Frühstück mitunter unberührt stehen, vergaß den Hausschlüssel oder die am Abend bereits zurechtgelegten Unterlagen. Auch mit der Zeit nahm er es nicht mehr so genau. Nicht selten verspätete er sich und erreichte das Büro zu einer Zeit, in der schon emsige Betriebsamkeit herrschte. Auch den Kollegen fiel auf, dass er nicht mehr so konzentriert bei der Sache war, wie sie es bei ihm kannten. Immer wieder verließ er seinen Schreibtisch, machte sich am neben der Tür hängenden Mantel zu schaffen, ging unruhig hin und her und hielt sich längere Zeit an den Schränken auf, in denen die Akten lagerten. Er sprach kaum etwas, wie eben sonst auch. Nur seine Auswärtstermine nahm er gewissenhaft wahr; immerhin waren sie ihm eine willkommene Gelegenheit, am Leben teilzunehmen. Er beobachte und registrierte alles sehr genau. Es war ihm nicht bewusst, dass ihn jede Wahrnehmung und jeder Eindruck sogleich zu einer taxierenden Wertung veranlasste. Mit besonderer Aufmerksamkeit musterte er das, was ihm befremdlich erschien und das Fremde erkannte er nicht nur bei Passanten sondern auch bei einigen Geschäften mit ihren exotisch anmutenden Auslagen und immer wieder beim Anblick dunkler und heruntergekommener Häuserfassaden. Auf dem Weg nach Hause scheute er keine Mühe, jenen Ort noch einmal aufzusuchen, an dem er das Plakat zum ersten Mal gesehen hatte. Immer wieder blickte er gebannt auf die roten Schriftzeichen und die drei Buchstaben, die ihm ein Gefühl der Zugehörigkeit gaben.

      So vergingen die Tage und bald schon saß er wieder in der Straßenbahn, die ihn seinem Ziel näher brachte. Er ging mit verhaltener Ungeduld die ihm fast schon vertraute Kriegbaumstraße entlang, am Schreibwarengeschäft mit den türkischen Zeitungen vorbei, bis er endlich das Lokal „Zur Rose“ erreicht hatte. Fast unbeschwert ging er durch den dunklen Gang hin zur Gaststube, immerhin kannte er ja bereits die Atmosphäre der kämpferischen und entschlossenen Willensbekundungen und schließlich war er überzeugt, dass etwas geschehen müsse. Mit dem entschiedenen Vorsatz „NICHT WEITER SO“ betrat er den Raum. Die Diskussionen an den Tischen erschienen ihm noch heftiger, streitbarer und fordernder. Die Bedienung, ein junges unscheinbares, etwas ungepflegtes Mädchen, drückte ihm ein Glas in die Hand. Seine Ankunft war offenbar schon erwartet worden, denn der junge Mann mit der olivfarbenen Feldjacke kam auf ihn zu: „Na, da bist du ja; wir sind schon dabei, die nächsten Aktionen zu besprechen; wir rechnen mit dir!“ Kaum, dass er sich’s versah, war er umringt von einer Gruppe recht gleich aussehender kräftiger junger Männer von ungepflegtem Äußeren und zum Teil martialischen Tätowierungen an den Armen. Da war ein Herbert, ein Erwin, ein Rudolf; er konnte sich die Namen nicht alle merken, zumal Hermann mit der Feldjacke und dem Parteiabzeichen am Revers immer wieder das Wort ergriff und sich als der eigentliche Wortführer hervortat. Es war jedoch nicht zu vermeiden, dass in dem mitunter entstehenden Sprachgewirr nicht alles verstanden werden konnte. Doch er hörte zu und er versuchte, einzelne markante Sätze in sich aufzunehmen. So hörte er, dass von der Politik nichts zu erwarten wäre, dass man die Dinge in die Hand nehmen müsse, um wirkliche Veränderungen herbeizuführen. Man müsse Zeichen setzen und durch geeignete Aktionen das Volk wachrütteln. Das Fremde müsse rigoros bekämpft, die Heimat geschützt werden; es sei schließlich das Fremde, das zu den vielen Problemen in unserer Gesellschaft führen würde, es seien die Fremden, die Unglück über das Volk brächten. „Bist du nicht auch der Meinung?“ wurde er von verschiedener Seite gefragt und er nickte zustimmend.

      Er

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