Der Steuerprüfer. Johannes Horn

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Der Steuerprüfer - Johannes Horn

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Bürgerwehren etabliert. Ohne jede rechtliche Befugnis beabsichtigen sie, auf den Straßen und Plätzen, vor allem in den Abend- und Nachtstunden Ruhe und Ordnung zu gewährleisten. In den Zeitungen war bereits davon zu lesen. Sie stimmen mir zu, dass mit diesem Anliegen die Staatsgewalt kompromittiert wird. Wir können das nicht zulassen.“. Einhellige Meinung besteht darin, die nächtliche Polizeipräsenz in den jeweils gefährdeten Stadtgebieten zu erhöhen. Darüber hinaus werden Maßnahmen zum Schutz öffentlicher und privater Einrichtungen im Zusammenhang zukünftiger Demonstrationen beschlossen. „Ich bitte Sie, sich Gedanken zu machen über Mittel und Wege, dieser unglückseligen Situation Herr zu werden. Die Polizei versucht mit allen ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, Licht ins Dunkel zu bringen und die Initiatoren der aufkeimenden Gewalt dingfest zu machen.“.

      Zwei Tage später, es ist Mittwoch, kurz vor Mitternacht. In der Kriegbaumstraße vor einem türkischen Kleinwarenhändler explodiert eine Bombe. Trotz eiligst herbeigerufener Feuerwehr konnte der dadurch entstandene Brand in dem kleinen Geschäft nicht verhindert werden. Auch die Polizei, insbesondere die Experten des Brandschutzes sind vor Ort. Die Bombe hat am Mauerwerk des Gebäudes und im Bereich der Straßendecke erheblichen Schaden angerichtet. Wenige Meter vom Bombenkrater entfernt liegt ein Toter, völlig entstellt von der Gewalt der Explosion mit ausgedehnten Verbrennungen und zerfetzten Kleidern. Es wird nach Möglichkeiten einer Identifizierung gesucht, Ausweispapiere wurden nicht gefunden, auch andere besondere Merkmale konnten bisher nicht festgestellt werden. Man findet nichts. Etwas weiter entfernt liegt eine alte, braune Ledertasche, verbeult und zerrissen. In dieser Tasche finden sich lediglich ein Lineal und zwei Rotstifte. Spezialkräfte beginnen mit den Untersuchungen. Auch die Öffentlichkeit wird um Mithilfe gebeten. „Wer kennt die Tasche?, wer kennt diesen Mann?“.

      Emil und die Kamera

      Es war eine Familie wie jede andere auch. Der Vater galt als streng, korrekt und stilbeflissen, was aber durch seinen Beruf als Gymnasiallehrer durchaus erklärt werden konnte und keineswegs als anstößig empfunden wurde. Die Mutter sorgte sich, neben ihrer Halbtagstätigkeit in einer angesehenen Privatbank um die Familie, die häuslichen Geschäfte, die unmittelbaren Alltäglichkeiten und sie sorgte sich um die vier Kinder.

      Drei von ihnen waren schon älter, während Emil das Schicksal eines Nachkömmlings zu tragen hatte. Er wuchs im Schatten der anderen auf, erregte nur wenig Aufsehen und erntete eine Aufmerksamkeit, die eher beiläufig, nur selten überschwänglich war. Die Zuwendungen, die er erfuhr, entsprachen seinem Alter und schon früh lernte er zu unterscheiden zwischen der Ernsthaftigkeit bei Auseinandersetzungen, wie er sie bei seinen Geschwistern erlebte und einer wohlwollenden Besänftigung, wie sie ihm gewöhnlich zuteil wurde. Durch eine Haushaltshilfe, die ihm in den Vormittagsstunden zur Seite stand, wurde das Gefühl der Sonderstellung und der Distanz zum Selbstverständnis der „Großen“ verstärkt.

      So durchlebte er seine Kinderjahre, zwar eingebettet in die Familie, jedoch immer wieder allein mit seinem Schicksal. Wie seine älteren Geschwister besuchte er schließlich das Gymnasium, endlich. Endlich hatte auch er den Status erreicht, die Distanz überwunden, die ihn von diesen immer schon großen Geschwistern getrennt hatte. Endlich Gymnasium, endlich selbst groß sein!

      Doch alle drei Großen hatten inzwischen mit dem Studium begonnen. Emil war Schüler. Seine Zeugnisse waren nicht mehr als durchschnittlich. Der Blick nach oben hatte ihn stets angespornt, hatte ihn stets gelähmt. So gab es Zeiten, in denen er sich sammelte mit allen Kräften; dann gab es Zeiten, in denen er sich gehen ließ, in denen er erschlaffte, träumend in sich gekehrt und sich nach einem Glück sehnte, das er nicht benennen konnte. In solchen Zeiten nahm er widerstandslos alles, was sich ihm bot: Fernsehen, Filme, Videos und Musik, letztere sich monoton wiederholend.

      An einem solchen Abend sah er einen Film über den mexikanischen Freiheitskämpfer Emilio Zapata. Kein gebildeter Mann, ein Bauer, der wie andere um sein Land kämpfte, der sich gegenüber der vereinnahmenden Fremdherrschaft zur Wehr setzte, der klug und besonnen Verhandlungen führte und wenn es sein musste, zur Waffe griff. Er, Emilio Zapata, war anerkannt und bewundert, als Anführer, als Leitbild, als Held.

      Mit ganzer Hingabe verfolgte Emil die Auftritte dieser strahlenden Lichtfigur und bewunderte die Angemessenheit seines Denkens und die Entschiedenheit seines Handelns. Er versuchte, sich in dem Bild dieses großen Mannes zu spiegeln und mehr und mehr verwischten sich die Grenzen zwischen dem bewunderten Emilio und dem von Anerkennung träumenden Emil.

      Schon der nächste Tag zwang Emil, sich wiederum seiner Wirklichkeit zu stellen. Mit der Klassenarbeit, die er unerwartet und unvorbereitet zu schreiben hatte, war er überfordert. Es fehlten ihm Denkvermögen und Konzentration; seine Gedanken blieben flüchtig.

      Sein Weg von der Schule nach Hause führte ihn vorbei an langen Häuserzeilen, an Vorgärten und schließlich einem brachliegenden Grundstück, an dessen Ende eine schmale Steintreppe zu einem höhergelegenen Platz aufstieg. Immer wieder kam es vor, dass ihm bei seinem mittäglichen Heimweg ein kleiner Junge, nicht älter als sechs Jahre, in Höhe dieser Stufen entgegenkam. An solchen Tagen, besonders dann, wenn er nagenden Frust in sich spürte, nutzte Emil die Enge der Treppe, diesem kleinen, verspielt über die Stufen tänzelnden Jungen, den Weg zu versperren. Emil merkte zwar, dass er diesen Jungen auf diese Weise verunsicherte und verängstigte, doch stärker war in ihm das Bedürfnis, vor sich und vor dem Jungen seine Überlegenheit zu demonstrieren. Erst nach Beendigung eines Liedes, das zu singen er von ihm abverlangte, ließ er ihn gehen und er schaute ihm nach, dem Kind, das die Leichtigkeit des Tänzelns verloren hatte. Nie hatte Emil irgendjemandem davon erzählt.

      Es vergingen drei Jahre, während ihm und seinen Eltern immer klarer wurde, dass er das Gymnasium nicht schaffen würde, zu unstet waren seine Leistungen, zu wenig ernst sein schulischer Wille.

      Er beschäftigte sich mit vielem, doch nichts konnte ihn zufrieden stellen, kaum gab es etwas, was ihn erfüllte. Das Wünschen war bei ihm stärker als die Bereitschaft zu wagen, die Ungeduld größer als die Beständigkeit der Hingabe.

      Das unstete, fahrige und insgesamt glücklose Leben von Emil gab den Eltern Anlass zur Sorge. Von ihren drei Großen waren sie anderes gewohnt und sie suchten nach Erklärungen für dieses befremdlich anmutende Verhalten von Emil. Aufmunterungen und gutmeinendes Zureden waren ebenso wenig hilfreich wie Ermahnungen und nachdrückliche Zurechtweisungen. Sie versuchten es mit Gaben und Belohnungen, die sie an Bedingungen knüpften, mit Versprechungen, die ihm die Pflichten schmackhafter machen sollten. Doch alles ohne den gewünschten Erfolg.

      Der von Emil schließlich übernommenen „Wenn-dann-Argumentation“ wussten die Eltern nichts Wirkungsvolles entgegenzusetzen. So kam es, dass Emil eines Tages glaubhaft versicherte, dass ihm eine Kamera dazu verhelfen würde, seine Freizeit nutzbringender und sinnvoller zu verbringen – wo er sich doch immer schon eine Kamera gewünscht hatte – und dass er sich dann um so intensiver und damit auch erfolgreicher um die Schulaufgaben kümmern würde. Der Wunsch nach einer Kamera wurde ihm erfüllt; unerfüllt hingegen blieben seine schulischen Vorsätze.

      So bestand bald schon Einigkeit darüber, dass die Fortsetzung der bangen Gymnasialzeit wenig Sinn mache, eine Auffassung, die vor allem der Vater nachdrücklich zu vertreten wusste. Die Gründe, die Emil bewogen, sich dieser Meinung anzuschließen, waren andere, kaum offen diskutierte. Zu weit hatte er sich schon von den familiären Vorbildern gelöst, als dass er diesen Schritt als Niederlage empfunden hätte. Irgendwie, dessen war er sich sicher, würde er auf seine Weise Anerkennung finden, irgendwie würde auch er Erfolg haben. Dennoch war es ein Schmerz für ihn, ohne dass er es hätte näher erklären können.

      Seinen Neigungen folgend begann er eine Ausbildung in einem Fotolabor. Das Erlernen der technischen Grundlagen sollte ihm helfen, in das Metier des Fotografierens intensiv und profund einzusteigen. In der Tat gelang es ihm zwei Jahre später, sich mit diesen Kenntnissen eine Anstellung bei einem Fotografen zu verschaffen. Er machte seine Arbeit gut und er nahm

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