Der Steuerprüfer. Johannes Horn

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Der Steuerprüfer - Johannes Horn

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einer organisierten Schlägerbande gehört zu haben, andere wiederum gehen eher von einer beiläufigen Keilerei aus, in die auch ein Ausländer verwickelt gewesen sein soll. Ganz vereinzelt sind Stimmen zu vernehmen, die sich mit der Notwendigkeit zu ergreifender Maßnahmen beschäftigen, obwohl noch keiner zu diesem Zeitpunkt gesicherte Kenntnisse über den genauen Hergang haben konnte. Und doch geben einige zu bedenken, dass Ausländer doch eine größere Gewaltbereitschaft an den Tag legten, so dass man sie strenger beobachten müsse. Immerhin gälte es doch, die eigenen Bürger zu schützen. Solche Meinungen bleiben nicht unbeantwortet und so kommt es, dass die Diskussion mit immer größerer Heftigkeit, ja mit lautstarker Empörung geführt wird. Mit anhaltender Erregung und aufgewühlten Gefühlen geht schließlich jeder in seine Amtsstube zurück.

      Am Nachmittag trifft man sich im Sitzungssaal. Der Bürgermeister hat die Referatsleitungen zu einer Aussprache gebeten. Dem Kreis seiner vertrauten Mitarbeiter bringt er das Schreiben zur Kenntnis, mit dem um die Genehmigung einer Demonstration gebeten wird. Trotz aller Unterschiede hinsichtlich der Beurteilung der Sachlage ist man sich schnell einig, dass keine rechtliche Handhabe für ein Verbot dieser Veranstaltung geltend gemacht werden könne. Man bespricht die Maßnahmen, die es zu ergreifen gilt. Es müsse genügend Polizei vor Ort sein, um möglichen Ausschreitungen von vorn herein Einhalt zu gebieten. Man müsse Herr der Lage sein, zumal auch mit Gegendemonstrationen zu rechnen sei. Die Situation sei sehr ernst, immerhin sei schon ein Todesfall zu beklagen. Man erinnerte an den hinterhältigen Mord vor nicht geraumer Zeit. Der Getötete sei ein Ausländer gewesen, betonte einer der Anwesenden; es gälte, auf alles vorbereitet zu sein. Der örtliche Polizeichef erwiderte daraufhin: „Das zeigt immerhin, dass Ausländer immer wieder in gewalttätige Auseinandersetzungen involviert seien. Es muss für den Schutz der Bürger Sorge getragen werden.“ „Welche Bürger meinen Sie denn?“ fragt der Bürgermeister. „Die Eigenen!“ betonte der Polizeichef mit wehrhafter Überzeugung.

      Samstagnachmittag. Die Teilnehmer der Demonstration versammeln sich vor dem Rathaus. Die Polizei, mit großem Aufgebot präsent, hat vor den kommunalen Gebäuden Stellung bezogen. Noch stehen die Demonstranten in launiger Runde beisammen, laut, bunt, mit entschlossener Geste. Erst sind es nur wenige, doch es werden mehr und bald schon füllen sie die Straßen. Niemand hatte mit einer so großen Menge Demonstrierender und Protestierender gerechnet. Und dann, mit einem Mal setzt sich der Pulk mit großem Getöse in Bewegung. Plakate und Spruchbänder werden hoch gehalten und deren Inhalte in lautstarken, sich ständig wiederholenden Schlagworten hinaus posaunt: „Nicht weiter so!“, „Ausländer raus!“, „Wir nehmen die Sache in die Hand!“. Wie ein schwerfälliges Ungetier zieht der nicht enden wollende Protest ohrenbetäubend durch die Straßen. Langsam schiebt sich der Tross unduldsamer und aufgebrachter Akteure an den ungläubig an die Seite gedrängten, aufgeschreckten Zuschauern vorbei und lange noch ist der Widerhall einhämmernder Parolen von der sich immer weiter entfernenden Protestmaschinerie zu hören: „Nicht weiter so!“.

      Am nächsten Tag ist in den Zeitungen zu lesen, dass eine Gruppe gewaltbereiter Randalierer während der Nachtstunden in zwei türkische Geschäfte eingedrungen sei und die Räumlichkeiten in unvorstellbarer Weise verwüstet hätte. Personen seien nicht zu Schaden gekommen; man fahnde nach den Tätern, heißt es. Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Nachricht bis in die letzten Winkel der Stadt. Schaulustige haben sich vor den Geschäften eingefunden; es herrschen Entsetzen und eine allgemeine Ratlosigkeit. Was ist nur in dieser Stadt los? Fragen sich die Menschen, die in den Straßen heftig diskutierend stehen bleiben und in dem wenigen Wissen, das sie über die Motive und den genauen Hergang haben, ganz unterschiedliche Meinungen vertreten. Es werden Schuldzuweisungen laut gegenüber der Stadt, die ihrer Ordnungspflicht nicht nachkomme, gegenüber einer zu beklagenden Zunahme einer allgemeinen Gewaltbereitschaft, immer wieder aber auch gegenüber Ausländern, die nicht bereit seien, sich dem gängigen Rechts- und Lebensverständnis unterzuordnen, ja mehr noch, dass ihnen ein wesentlicher Anteil an der Arbeitslosigkeit unter den einheimischen Bürgern anzulasten sei. Die allgemeine Empörung ist groß und es scheint, dass der Gemeinsinn plötzlich abhandengekommen ist und dass sich die Wahrnehmung des Trennenden immer größeren Raum verschafft.

      Die Vorgänge der vorausgegangenen Tage sind das alles beherrschende Thema in der Stadtratssitzung. Es dauert einige Zeit, bis sich die aufgewühlte Gefühlslage beruhigt hat und mit der eigentlichen Aussprache begonnen werden kann. Der Schriftführer verweist auf zahlreiche Wortmeldungen. Zunächst aber berichtet die Polizei über den Stand der Ermittlungen und über Einzelheiten der verur­sachten Schäden. Es sei der schnellen Polizeipräsenz vor Ort zu verdanken, dass der Versuch der zusätzlichen Brandstiftung vereitelt werden konnte. Die Täter, noch immer auf freiem Fuß, seien mit größter Brutalität vorgegangen; der Schaden sei immens. Die ersten Redner loben die Polizeiarbeit. Sie sind sich einig in der Forderung nach einer deutlichen Verstärkung der Polizeikräfte. Auch die Verbesserung deren Ausrüstung wird angesprochen. Die einzige Möglichkeit, der zunehmenden Gewalt Einhalt zu gebieten, liege ihrer Meinung nach darin, den aufkeimenden Aggressionen mit aller Härte entgegenzutreten. Dies gälte im Übrigen auch für den Eventualfall weiterer Demonstrationen. So sprechen die Einen.

      Es meldet sich ein Abgeordneter aus dem bürgerlichen Lager zu Wort; er redet mit ruhigen, gesetzten Worten, so, wie man es von ihm gewohnt ist: „Das gesellschaftliche Zusammenleben in unserer Stadt war bisher geprägt von Friedfertigkeit, von Toleranz und gegenseitigem Respekt. Wir müssen nun feststellen, dass sich anfangs flüchtige Ideen Einzelner, Weniger zu einer dumpfen, gewaltbereiten Leidenschaft verdichtet haben. Auf der Suche nach einem Grund für ihre Unzufriedenheit, für ihren eintönig erlebten Alltag und auf der Suche nach geeigneten Projektionsfeldern zur Bestätigung ihres Selbstwertes haben sie begonnen, Zwietracht zu säen und das gesellschaftliche Zusammenleben in Frage zu stellen, indem sie die Menschen aufteilen in „fremd“ und „dazugehörig“, in Graduierungen unterschiedlicher Wertigkeit. Unsere Aufgabe muss nun darin bestehen, nicht das gewaltbereite Handwerkzeug ihrer schnöden Gesinnung zu bekämpfen, sondern sie aufzusuchen und sie von einem Besseren zu überzeugen. Wir müssen uns mit den Wurzeln des Übels beschäftigen! Mit dem Gespräch können wir Einfluss nehmen auf die Niedertracht ihrer verwegenen Zielsetzungen. Mit der hier geforderten Demonstration staatlicher Macht erreichen wir hingegen nichts anderes als diesen, ins Abseits geratenen Irrlichtern Bedeutung und Gewicht zu verschaffen. Fangen wir an, diese verirrten Menschen wieder ins Boot zu holen bevor sie die Tragfähigkeit des Bootes mutwillig aufs Spiel setzen!“.

      Ein weiterer Redner meldet sich zu Wort. Man kennt ihn als Heißsporn, zwar lange Zeit von schweigender Zurückhaltung, doch in der Herausforderung um eine streitbare Auseinandersetzung nicht verlegen: „Es ist hier die Rede von „gewaltbereiten Randfiguren“. Gemessen an dem, was geschehen ist, stellt dieser Begriff doch eine nicht nachvollziehbare Verharmlosung dar. Glauben Sie wirklich, Herr Kollege, dass Langeweile und Trübsinn eine solche zerstörerische Vorgehensweise erklären können? Nehmen Sie doch zur Kenntnis, dass bei allen Vorkommnissen der vergangenen Tage Ausländer involviert waren, entweder ging von ihnen Gewalt aus oder aber sie gaben Anlass für ein entschiedenes Vorgehen gegen sie. Stellen Sie sich für einen Moment vor, es gäbe sie nicht, diese Ausländer, dann wäre das gewährleistet, was Sie, Herr Kollege, zu Recht als Merkmal unserer Gesellschaft hervorheben: Friedfertigkeit, Respekt und Toleranz. So einfach ist das! Wir müssen diejenigen unterstützen, die den Mut haben, das Übel bei der Wurzel zu packen! Ich fordere Sie auf zu einer klaren und konsequenten Haltung gegenüber den unsere Gesellschaft verfremdenden Elementen!“. Selbstzufrieden geht der Abgeordnete zurück an seinen Platz in den hinteren Reihen des Sitzungssaales. Es scheint ihm eine eindeutige und kaum zu widerlegende Analyse der derzeitigen Sachlage gelungen zu sein.

      Es folgen weitere Redner; je kürzer die Beiträge, desto lauter und heftiger die Entschiedenheit, mit der die Ansichten vorgetragen werden. Jede der verschiedenen Meinungen verfängt sich schließlich im Gestrüpp eigenwilliger Rechthaberei. Bald schon gleicht die Stimmung im Sitzungssaal der aufgeheizten Atmosphäre in der Öffentlichkeit. Mit gegenseitigen Vorwürfen wird versucht, die eigene Vorbildlichkeit gegenüber unlauteren Gesinnungen zu betonen und dem Anderen das Recht abzusprechen, sich für Freiheit und Frieden einzusetzen. Angesichts einer zunehmenden Feindseligkeit

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