Tobinos Insel. Eva Rechlin

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Tobinos Insel - Eva Rechlin

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hörten, daß draußen wenigstens noch alles funktionierte, auch der Lift.

      Tobino atmete auf, als hätte er zum erstenmal im Leben eine Heldentat vollbracht. Durch den finsteren Raum tastete er sich zu Spirito auf die Rundbank. »Und jetzt«, sagte er, »müssen Sie mir das Wunderbare zeigen.«

      »Ich weiß nicht«, meinte Spirito, »ich zweifle daran, daß es für dich ein Ersatz für deine abendlichen Kinovorführungen ist.«

      »Ach, Sie wissen ja nicht, wie langweilig es ist, jeden Tag ins Kino zu gehen. Ich schlafe oft dabei ein.«

      »Das ist nicht die übelste Wirkung«, sagte Spirito, »obwohl es mich heute kränken würde, wenn du einschliefest. Es würde mich im Namen der Sterne kränken.«

      »Wollen Sie mir etwa Sterne zeigen?« fragte Tobino enttäuscht, »ich weiß doch, wie sie aussehen: leuchten wie Taschenlampen und haben spitze Zacken.«

      »Das sagst du, ohne zu ihnen aufzublicken?«

      Tobino legte den Kopf zurück und blickte durch die gläserne Kuppel hinaus. Nach allen Richtungen sah er den wolkenlosen Nachthimmel, der im Osten um den aufgehenden Mond hell schimmerte.

      »Die Japaner bauen sich in ihre Häuser oft ein Mondfenster«, erzählte Spirito, »von dort aus können sie besonders gut den Mondaufgang verfolgen. Manchmal laden sie sich dazu Gäste ein, um sie an dem Schauspiel teilnehmen zu lassen. Dann sitzen sie schweigend am Fenster, trinken Tee, um ihre Sinne zu schärfen und blicken nach Osten, wie jetzt wir beide. Siehst du, wie schnell er kommt? Schau hinab in den Park. Das steigende Mondlicht verwandelt ihn von Sekunde zu Sekunde. Aus Büschen und Bäumen wachsen lange Schatten. Soll ich still sein, damit du es besser betrachten kannst?«

      »Kann man es denn hören?«

      Spirito mußte lächeln. Er schwieg.

      »Man hört nichts«, sagte Tobino, »nur im Garten übt jemand auf einer Geige immer denselben Ton.«

      »Das sind Grillen.«

      »Was sind Grillen. Sind es Drähte?«

      »Tiere sind es! Kleine Insekten, die an Sommerabenden im Gras zirpen. Was hast du bloß in deinen Unterrichtsstunden bisher gelernt?«

      »Ich mußte rechnen, immer rechnen. Die Erzieher behaupteten, es sei das einzig Wichtige für mich, weil ich später Papas ganzes Geld bekomme. Am Anfang habe ich auch Lesen und Schreiben gelernt, aber sonst nur Rechnen. Ich mag es nicht, ich habe nie gut aufgepaßt …«

      »Da!« rief Spirito. »Eine Sternschnuppe!«

      Tobino sah sie noch und sprang auf. Sie stürzte wie ein Feuertropfen aus einem Sternbild und verglomm in der Nacht.

      »Was war das!« fragte Tobino aufgeregt. »Ist vielleicht ein Stern runtergefallen?«

      »So sah es aus. In Wirklichkeit sind es kleine Himmelskörper aus unserer Galaxie. Wenn sie die oberen Schichten unserer Lufthülle berühren, reiben sie sich daran heiß und leuchten auf.«

      »Und wohin fallen sie?«

      »Sie verbrennen oder verlassen den Rand unserer Lufthülle wieder, setzen draußen im Weltraum ihre Bahn fort. Und manche fallen auch auf die Erde.«

      »Kann auch einer zu uns fallen? O, Herr Spirito, ich möchte, daß ein Stern zu mir fällt!«

      »Es sind Sternschnuppen – steinartige oder eisenhaltige Gebilde. Übrigens würde ich mir das nicht wünschen, es ist gefährlich. Vor achtzig Jahren stürzte ein Meteor, wie sie auch heißen, in Sibirien auf die Erde. Er verwüstete beinahe hundert Quadratkilometer Wald. Natürlich gibt es auch winzige Meteore …«

      »Jetzt ist der Mond halb über dem Erdrand!« rief Tobino, »ich hätte nie gedacht, daß man es beobachten kann. Ich dachte immer, er ist eben einfach da.«

      »Siehst du den breiten Sternenstreifen quer über dem Himmel? Das ist die Milchstraße. Ein Band aus zahllosen Sternen. Es gibt viele, viele Milchstraßensysteme im Weltraum …«

      Spirito erhob sich von der Bank und fuhr fort: »Ich zeige dir jetzt einige Sternbilder, von denen du sicher schon gehört hast. Als erstes den Großen Bären mit dem Polarstern, damit du lernst, nachts die Himmelsrichtungen zu finden. Der Polarstern macht dir das leicht, man nennt ihn auch Nordstern …«

      Sie standen in der Mitte des Raumes. Spirito legte den linken Arm um Tobinos Schulter und deutete mit der rechten Hand von Stern zu Stern, bis Tobino die Bilder erkannte: Perseus und Giraffe, Kassiopeia, den Drachen, den Adler und die Schlange, die Jagdhunde und beide Bären, das Bild der Jungfrau und des Bootes, Schwan und Schlangenträger. Tobino wurde nicht müde. Er stellte viele Fragen.

      »Ich dachte«, sagte er schließlich, »in dieser Gegend gebe es nichts Schöneres als Schloß Vivato.«

      »Nun ja«, meinte Spirito, »du hast alles an der Pracht von Schloß Vivato gemessen. Und da wußtest du nichts von der Schönheit der Nacht.«

      »Wer hat sie gemacht, die Nacht?« fragte Tobino, »es muß eine große Arbeit gewesen sein.«

      »Das ist ein guter Einfall für unsere erste Schulstunde, Tobino. Ich erzähle dir morgen, wie Himmel und Erde erschaffen wurden.«

      »Bitte, bitte erzählen Sie es mir gleich!«

      Spirito freute sich insgeheim, daß Tobino, der bisher nur befohlen hatte, so eindringlich bat. »Weißt du«, sagte er und gähnte, »wir gehen schlafen. Ich bin müde.«

      »Ich nicht«, sagte Tobino, »ich bin endlich einmal richtig wach.«

      Die geschenkte Welt

      Beim Frühstück schlug Herr Spirito vor, Tobino nicht im Schulzimmer zu unterrichten, sondern lieber in der gläsernen Kuppel und besonders im Garten. »Wir können auch in die Umgebung wandern«, schloß er.

      Tobino legte rasch einen Zeigefinger auf die Lippen und deutete mit einer Kopfbewegung zum Diener, der ihnen Kakao, Brote, Eier und Schinken, Honig, Ananasgelee und Schlagsahne, Pfirsiche, Süßkirschen und Erdbeeren servierte. Verständnislos blickte Spirito von einem zum andern. Tobino rief dem Diener zu: »Gehen Sie mal für fünf Minuten hinaus auf den Gang!«

      Kaum hatte der Diener sich entfernt, flüsterte Tobino: »Ich gebe Ihnen hundert Mark, wenn Sie es fertigbringen, mich unbemerkt aus dem Schloßpark zu schmuggeln!«

      »Was soll das? Ich schlage dir einen harmlosen Ausflug vor, und du willst mich zu zwielichtigem Treiben aufwiegeln?«

      »Das ist nämlich so: Ich darf nicht in die Umgebung wandern. Papa hat ständig Angst um mich. Ich könnte auf ungepflegten Wegen stolpern und mir den Hals brechen …«

      »Dann doch wohl eher auf den blanken Böden hier!«

      »Das ist ja noch nicht alles«, fuhr Tobino fort, »ich könnte von Schlangen oder tollwütigen Hunden gebissen werden oder erfrieren oder in Gräben fallen oder überfahren werden oder – was Papa am meisten fürchtet: ich könnte gestohlen werden!«

      »Ge-stoh-len? Welcher Dieb hätte einen so ausgefallenen Geschmack?«

      »Wissen

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