Wer nur auf die Löcher starrt, verpasst den Käse. Sabine Zinkernagel

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Wer nur auf die Löcher starrt, verpasst den Käse - Sabine Zinkernagel

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normalen Kinder.

      Ich habe nicht einmal eine normale Küchenschublade! Ausgerechnet die, aus der ich eine Stoffwindel holen wollte, um sie anzufeuchten und Jacobs Beule damit zu kühlen, klemmte. Als ich sie endlich mit roher Gewalt aufgezerrt hatte, gab es einen leisen Knacks, und die Schubladenfront fiel mir vor die Füße.

      Was soll man da noch machen? Ruhig reagieren, ein Problem nach dem anderen lösen?

      Aber ich bin nicht »man«, ich kann das nicht! Jedenfalls nicht, wenn sich das Leben als solches, zwei Kinder und dann auch noch eine Küchenschublade gegen mich verschwören!

      Ich habe Cornelius einfach schreiend in seine Wiege verfrachtet, Jacob das feuchte Tuch auf die Stirn gepackt und mich dann auf mein eigenes Bett geschmissen. Mir die Decke über den Kopf gezogen und meine Verzweiflung in die Matratze getrommelt. Tränen, Flüche inklusive.

      Als Martin nach Hause kam, war Cornelius eingeschlafen. Jacob lag friedlich auf dem Fußboden. Aber Martin sah die Schublade, er sah meine Bettdecke, und er wusste, dass ich wieder einmal »soweit war«.

      Diesmal war es aber keine der üblichen schreiend komischen Geschichten, sondern eine sehr nachdenkliche:

      Hocke ich wirklich gerade so auf deinem Schoß? Enttäuscht, verzweifelt, wütend schreie dich an und versuche mit meinen eingeschränkten Möglichkeiten, dem Herrn dieser Welt weh zu tun? Damit er merkt, wie viel Schmerz zu viel er mir zugeteilt hat?

      Nein, ich werde jetzt nicht ganz brav christlich davon reden, dass dieser Herr der Welt selbst unendlich gelitten hat, und dass er heute noch leidet an all dem Bösen, das auf dieser Welt geschieht, dass er auch mit mir mitleidet. Das wissen wir beide doch sowieso. Ich sehe nur nicht, wie mir das in irgendeiner Weise helfen könnte.

      Nein, mir ist an dieser Geschichte von Adrian Plass etwas anderes wichtiger: Ich bin jetzt noch überzeugter davon, dass du mein Rebellieren gegen dich aushältst. Du kannst nicht nur Sonnensysteme erschaffen und auf dem Wasser gehen, du kannst auch das Trommeln meiner kleinen geballten Fäuste auf deiner Brust ertragen. Du lässt mich trotzdem nicht los. Auch wenn ich gerade nicht allzu viel mit dir anfangen kann, wenn ich dich gerade einfach nicht verstehe – dieses Wissen tut irgendwie gut.

      Und ich verspreche dir: Ich werde mir keinen anderen Gott suchen, um mich bei ihm auszuheulen. Ich bleibe bei dir. Und sei es eben, indem ich gegen dich tobe, dich beschimpfe und deine Offenbarung in die Zimmerecke schmeiße.

      Jetzt ist es raus. Das, was ich unbewusst die ganze Zeit gewusst habe: Ich bleibe bei dir.

      Das heißt nicht, dass ich dich wieder so einfach lieben, deinen Weg mit mir akzeptieren würde! Es heißt nur, dass ich mich nicht von dir lossagen werde. Dass ich irgendwie nicht loskomme von dir.

      Denn was hätte ich eigentlich davon, wenn ich meinen Glauben an den Nagel hängen würde? Ich müsste die letzten fünfzehn Jahre meines Lebens als Irrtum abhaken. Alles vergessen oder uminterpretieren, was ich mit dir erlebt habe. Alles leugnen, was ich jemals über dich gesagt habe. Ich müsste die restlichen Jahre meines Lebens mit einem Mann verbringen, der schon rein berufsmäßig weiterhin glauben muss.

      Ich könnte statt dir irgendein blindes Schicksal anklagen, das Leben an sich, die Natur oder sonst irgendetwas. Das wäre wohl kaum erleichternder, als dich anzuschreien.

      Und meine Kinder heilen würde es definitiv nicht.

      Es lohnt sich also einfach nicht, dir den Laufpass zu geben.

      Bei dir weiß ich wenigstens, dass du mein Schreien hörst.

      Und vielleicht werde ich dich eines Tages wieder brauchen. Wenn ich wieder empfänglich bin für das, was du mir vielleicht doch einmal wieder zukommen lassen willst: Deine Hilfe. Deinen Trost. Deine Nähe. Deine Liebe.

      Wie gesagt: Vielleicht.

      2 Adrian Plass, Tagebuch eines frommen Chaoten, Brendow Verlag 1990.

      3 Adrian Plass, Die rastlosen Reisen des frommen Chaoten, Brendow Verlag 1996, S. 54–63.

      Krabbelgruppe

       Juli 1998

      Ich muss zugeben, ich hatte etwas Bauchschmerzen vor der ersten Mutter-Kind-Stunde, die ich in unserem Ort anbiete. Immerhin kamen mir vor einem halben Jahr noch regelmäßig die Tränen, wenn vor unserem Fenster ein Kind in Jacobs Alter vorbeihüpfte, während mein Ältester gerade übte, sich zum Stehen hochzuziehen.

      Aber ich kann und will mich nicht mehr den ganzen Tag nur um die Behinderung meiner Kinder drehen. Ich brauche wieder eine Aufgabe, die mich herausfordert, ohne mich zu überfordern. Deshalb habe ich es gewagt, mit Cornelius eine Krabbelgruppe ins Leben zu rufen. Er ist jetzt etwas über ein Jahr alt, und der Kontakt mit anderen Kindern wird ihm gut tun. Mal sehen, was da sonst noch so auf mich zukommt.

      Als erstes kommen fünf Mütter mit sechs Kindern auf mich zu. Clara ist acht Monate alt, Tobias fast drei. Tom, Lisa und Cornelius trennen gerade mal sechs Tage Altersunterschied. Eine Gruppe, mit der sich einiges anfangen lässt.

      Nach der Vorstellungsrunde nehme ich den Spiegel und singe jedem Kind mein Begrüßungslied auf die Melodie von »Bruder Jakob«: »Guten Morgen, Lisa, Gott schuf dich, er hat dich sehr schön gemacht. Gott liebt dich.«

      Hilfe! Auf Lisa trifft dieser Text natürlich vollkommen zu – aber auf Cornelius? Kann ich ihm wirklich zusingen, dass Gott ihn perfekt gemacht hat? Inklusive Wasserkopf und Knick-Senk-Füßen? Warum habe ich da nicht früher dran gedacht? Jetzt ist alles zu spät, ich werde es singen müssen.

      Erst mal ist Clara dran. Auf ihrer Wange prangt ein dicker Leberfleck, und sie schielt deutlich. Ihre Mutter schaut mich schon vorher skeptisch an. Hat Gott Clara schön gemacht? Ich knie mich vor Clara hin, halte ihr den Spiegel vors Gesicht. Soll ich jetzt einfach singen? Nein, ich streiche ihr kurz über den Kopf und sage ein paar bewundernde Worte über ihre dichten schwarzen Locken. Die Mutter schenkt mir ein dankbares Lächeln. Ja, Claras Haare sind schön.

      Tobias scheint mir überhaupt nicht zuzuhören. Während ich singe, rutscht er auf seinem Stuhl hin und her und bemalt gleichzeitig den Spiegel mit Spucke. Garantiert wird seine Mutter ihn demnächst wegen ADHS zur Ergotherapie kutschieren.

      Jetzt zu Cornelius. Zwei braune Strahleaugen, hellblonde Haare, ein Babylachen, das jeden dahinschmelzen lässt. Würde man adoptionswilligen Eltern nur Fotos von

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