Vanadis. Isolde Kurz

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Vanadis - Isolde Kurz

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ihr Tun, so unzweckmäßig es an sich war, nunmehr doch als ganz unentbehrlich erschien; denn wenn sie fehlte, stand gleich das ganze Getriebe still. Fuhr sie dann wieder darein, so schrillte und rasselte die Maschine, daß Professor Folkwang sich auf sein Zimmer flüchtete und sein Töchterchen auf seinen Baum. Bis die gute Fee vom oberen Stockwerk herunterkam, mit ihren schön gepflegten, ringgeschmückten Händen, und mit ein paar geschickten Griffen die Ordnung wiederherstellte.

      Noch ein anderes Auge wachte über der Kindheit des kleinen Mädchens: das war ein Jugendfreund des Vaters, Baron Solmar, der Vanadis aus der Taufe gehoben hatte und bei groß und klein im Haus der Pate hieß oder auch schlechtweg mit seinem Vornamen Egon genannt wurde, weil das sonst in diesem Fall gebräuchliche Wort Onkel seinem empfindlichen Ohr ein Greuel war. Die Kinder duzten ihn, aber es bestand keine Gefahr, daß bei dieser Vertraulichkeit jemals einer der wilden Jungen die Ehrerbietung verletzt hätte. Baron Solmar verbreitete eine Luft um sich, in der man sich ganz von selbst taktvoll und zurückhaltend betrug, man konnte gar nicht anders. Der ehemalige Diplomat war zwar ein stiller Gelehrter geworden wie Heinrich Folkwang, doch sah er sehr vornehm aus und wurde mit seinem schmalen bartlosen Gesicht und dem sehr gepflegten Äußern, über das sein Kammerdiener Carlo wachte, von den Kindern für bedeutend jünger gehalten als ihr Vater. Er ging aufrecht und federnd, eine Folge gewissenhafter täglicher Körperübungen, während Professor Folkwang, der seit dem Tode der blühenden Gattin alle äußeren Ansprüche aufgegeben hatte, seinen mit frühem Grau gesprenkelten Bart wachsen ließ und mit seiner langen schwanken Gestalt im Gehen vornüber hing. Baron Solmar verbrachte alljährlich ein paar Wochen im Folkwangschen Hause. Das war Heinrich Folkwangs beste Zeit, in der er aus seiner langen, tiefen Schweigsamkeit heraustrat; denn mit dem weit gewanderten Freunde, der an seinen Studien teilnahm und die nähere Kenntnis der Örtlichkeiten hinzubrachte, konnte er alles, was ihn innerlich beschäftigte, durchsprechen.

      In diesen Wochen lebte auch die kleine Vanadis ein erhöhtes Leben. Die Jungen waren alsdann zahm und belästigten sie nicht, Fanny dämpfte ihre Stimme, durch das ganze Haus ging eine Welle von Freudigkeit und Erhebung. Das Kind wußte es immer so einzurichten, daß sie sich ins Zimmer schmuggelte, wo Egon mit den Hausgenossen und den von auswärts Geladenen beisammen saß. Dann streckten sich gleich alle Arme aus, um das ziervolle Ding mit den großen Augen und den schmiegsamen Gliedern zu sich heranzuziehen, und es bedurfte aller Geschmeidigkeit und Klugheit des Kindes, um sich an den andern vorbeizuwinden, ohne sie zu kränken, bis sie den Stuhl erreicht hatte, wo Egon saß, und die Ärmchen um seinen Hals legen konnte. Er hob sie alsdann auf seinen Schoß, von wo sie befriedigt um sich sah, als habe sie einen Thron erstiegen. Der verherrlichte Freund hatte nur eine anfechtbare Seite: daß er der Vater des schrecklichen Roderich war und diesen ins Haus gebracht hatte, damit er mit ihren Brüdern gemeinsam die Schule besuchte. Roderich war der einzige, der Baron Solmars Erscheinen ohne Freude begrüßte; er brachte seinem Erzeuger eine scheue Zurückhaltung entgegen, hinter der verborgene Widersetzlichkeit schlummerte. Vanadis fand ihn einmal, wie er mit Kohle auf die innere Wand eines Schuppens ein verfratztes Geckenbild zeichnete, das unter der Verzerrung die vornehme Gestalt und weltmännische Haltung des Baron Solmar leicht erkennen ließ. Dieser Knabe hatte von der Natur einen unförmigen Kopf mit groben und häßlichen Zügen empfangen und führte mit seiner dämonischen Kohle, die ein frühes ungewöhnliches Talent verriet, einen Verfolgungskrieg gegen alles Schöne und Anmutige. Die kleine Vanadis hatte an jenem Tage mit Zornestränen das Zerrbild weggewischt und gedroht, den Urheber zu verklagen, aber dieser hatte nur gelacht, er wußte wohl, daß sie dazu nicht fähig war.

      Egon war stolz auf den Vorzug, den er bei der Kleinen seit ihren frühesten Tagen genoß, und liebte sie mit Anbetung. Da sie kein Naschwerk wollte, zerbrach er sich unablässig den Kopf, womit er sie beschenken konnte. Einen ganzen Schrank voll Märchen- und Bilderbüchern hatte er ihr schon zusammengekauft. Als er von dem tragischen Untergang der Lumbell vernahm, meinte er seine Sache gutzumachen, indem er dem Kinde eine Auswahl der herrlichsten Puppen von der Reise mitbrachte. Aber er hatte fehlgegriffen. Beim Anblick dieser fremdländischen Kunstgebilde, an die sie kein Zug des Herzens band, schluchzte das Kind und lief mit stürzenden Tränen ins Freie, um unter der großen Zeder im Garten Immerschön, den sie seit dem Unglückstag nicht mehr betreten hatte, ihren neuerwachten Schmerz um die Verlorene auszuweinen.

      Egon stand am Fenster des großen Gastzimmers und sah dem kleinen Mädchen zu, wie es auf der blühenden Wiese saß, als wäre sie eine da herausgewachsene Blume, und mit spitzigen Fingerchen aus einer Perlenschachtel in ihrem Schoß kleine Ringe und lange Ketten anfertigte. Mit den Ringen schmückte sie die Zehen ihrer nackten kleinen Füße, und die Ketten wand sie um ihre Knöchel. Durch das Geschenk der Perlenschachtel und eine Kinderausgabe von Tausendundeiner Nacht hatte Egon seinen Mißgriff gutgemacht. Das Kind hatte die Lumbell vergessen und befand sich mitten in den Arabischen Nächten. Mit den beweglichen Füßchen führte sie sich selbst ein ganzes Schauspiel auf. Den rechten hatte sie reicher bedacht, er war der Sultan, den linken nannte sie Scheherazade. Und Scheherazade kniete bei dem Sultan und reichte ihm Sorbett in silberner Schale und redete, redete immerzu von Edelsteingärten, Zauberpferden und Wunderlampen, denn solange sie redete, konnte er sie nicht töten. Der Mann aber am Fenster folgte den Bewegungen des kleinen Mädchens und dachte: Es ist etwas einziges um dieses Kind. Wo sie erscheint, wird ihr die Umgebung zum Rahmen, aus dem man sie nicht wegdenken kann. Wie sie da in der Bodenfalte sitzt, zwischen den hohen Gräsern, gehört sie so natürlich dazu wie die blühende Spiräa über ihrem Kopf. Und wie sie das Hälschen biegt und mit dem innigen Ernst der Kindheit diese drolligen, kleinen Spielkameraden schmückt, das ist einfach zum Vergöttern. Ich muß wegsehen, daß ich nicht hinunterstürze und sie mit Küssen überschütte. Das Kind macht mich zum Narren. Ich liebe sie nicht nur, ich bin verliebt in sie, mehr als jemals in eine Frau, ihre herrliche Mutter nicht ausgenommen, es ist ein Anmutsreiz, wie ihn keine Erwachsene mehr besitzen kann.

      Während er sich vom Fenster zurückzog, aus Furcht, das Kind könnte ihn erblicken und sich in seinen Heimlichkeiten belauscht fühlen, wurde das Schauspiel, das die zwei kleinen Füßchen miteinander aufführten, von einer anderen Seite unterbrochen. Auf der Nachbarmauer tauchte ein dunkler Knabenkopf auf, und eine gut gezielte Nelke fiel mitten in die Arabischen Nächte hinein.

      „Vanadis, viens jouer avec nous – Du werden sein Kutschèr, wir sein ’ferd.“

      Ein zweiter hellerer Kopf erschien auf der Mauer und wiederholte die Einladung.

      Zwei kleine Franzosen aus Nancy weilten seit einigen Wochen mit Mutter und Bonne in dem Nachbarhaus, dem erstere entstammte. Vanadis hatte von der Großmutter die Erlaubnis, mit ihnen zu spielen, und es war eingetreten, was diese voraussah, daß die äußerst sprachbegabte Kleine im Zeitraum weniger Wochen ganz von selbst den fremden Gästen so viel von ihrer Sprache ablernte, daß sie sich natürlich darin bewegte. Dieses schien der Großmutter, die selber nach dem damaligen Brauch adliger Familien noch eine ganz französische Erziehung genossen hatte, das A und O aller feineren Bildung zu sein. Da die Mittel ihres Schwiegersohnes nicht zu einer französischen Erzieherin ausreichten, wie sie selber und wie ihre Tochter eine besessen hatten, kam ihr diese Gelegenheit erwünscht, dem französischen Unterricht, den sie der Enkelin erteilte, durch die fremden Kinder spielend nachgeholfen zu sehen.

      Und Vanadis spielte gerne mit den kleinen Franzosen, die besser angezogen waren und daher hübscher aussahen als ihre Brüder, auch immer schön gekämmt und mit rein gewaschenen Händen gingen, was man von diesen nicht sagen konnte. André, der Ältere, ein feines kränkliches Kind, war ihr stiller Verehrer; er brachte ihr zuweilen Süßigkeiten von seinem Nachtisch herüber oder eine Blume aus dem wohlgepflegten Garten seiner deutschen Verwandten. Aber der Jüngere, Gaston, erregte die Bewunderung des kleinen Mädchens durch seine katzenhafte Geschicklichkeit im Klettern und den Übermut, womit er auf den schon hochgeführten Balken eines Neubaus hin und zurück lief. Sie war einmal zugegen gewesen, wie das deutsche Fräulein, das die Knaben behütete, den Älteren in die Arme nahm und sagte: „André, du bist mein Liebling!“ – und wie sich da Gaston mit der Schulter dazwischenbohrte: „Und ich – ich bin dein Bösling, Fräulein!“ – worauf diese ihn wegschiebend sagte: „Jawohl, das bist du.“

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