Vanadis. Isolde Kurz

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Vanadis - Isolde Kurz

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sagte Herr Folkwang, indem er das Töchterchen auf sein Knie zog, was sich Egon neuerdings nicht mehr gestattete. Aber sie strebte gleich herunter und warf sich erschüttert in die Arme der Großmutter.

      Diese hatte zuerst etwas betreten geblickt zu dem Mißbrauch, der mit ihrem sorglich gehüteten Prunkstück getrieben wurde. Aber sie konnte diesem Kind nicht böse sein, sie umschlang sie mit zärtlichem Stolz und sagte:

      „Daß ich das erleben darf, unsere kleine Vanadis als Braut zu sehen.“

      Jedoch das kleine Idyll sollte einen traurigen und schrecklichen Ausgang nehmen.

      Als das Stubenmädchen dem alten Herrn van der Mühlen, der niemals an einer gemeinsamen Mahlzeit teilnahm, sondern auf seinem Zimmer bedient wurde, das Essen brachte, sagte sie scherzend:

      „Herr Baron, Sie sollten doch Ihre Enkelin sehen, die heute Braut ist, wie schön ihr der Hochzeitsschleier steht.“

      Der alte Herr, dem die Zeit- und Altersbegriffe mehr und mehr zu schwinden begannen, nahm den Scherz für Ernst und mochte sich vorstellen, daß Vanadis, die er am Morgen als Kind gesehen hatte, unterdessen erwachsen sei. Nun wollte er sie zu ihrem Brauttag beglückwünschen und tat, was er nie getan hatte. Sobald das Mädchen gegangen war, setzte er sein Mützchen auf und nahm einen Leuchter zur Hand, um sich in das untere Stockwerk hinabzubegeben. Wie es zuging, konnte man hernach nur vermuten. Aller Wahrscheinlichkeit nach blies ihm ein Luftzug von unten die Kerze aus, und er trat fehl. Mitten in die frohen Stimmen der Tischgesellschaft hinein erdröhnte plötzlich ein langandauerndes Gepolter auf der Treppe, dem ein Schrei und ein hartes Aufschlagen folgte, das klang, als ob ein Haufe Knochen ausgeschüttet würde. Der alte Herr war die Stufen herabgekollert und lag bewußtlos am Fuß der Treppe. In jämmerlichem Zustand, ganz zerstoßen und zerbeult, wurde er in sein Bett gebracht, von dem er sich nicht mehr erhob. Der Arzt stellte eine innere Verletzung fest. Mit großer Lebenszähigkeit wehrte sich der arme, schwache Körper, den sein Geistiges schon lange zuvor verlassen hatte, noch mehr als vierzehn Tage, während die Großmutter nicht von seinem Lager wich. Dann trugen sie einen Toten hinaus.

      Der Gast war gleich nach dem Unfall abgereist. Vanadis ging stille, wie schuldig, um die Großmutter her, die sich in der Pflege des nie geliebten Mannes fast aufgezehrt hatte und jetzt untröstlich war, als ob sie den besten Inhalt ihres Lebens hingeben sollte, während die Geschwister unter der Tür standen und dem schwarzen Zuge nachsahen, bei dem sie sich schlechterdings nichts denken konnten.

      Aber ein seltsamer Spuk ließ das Haus Folkwang nicht zur Ruhe kommen. Am Abend nach dem Begräbnis, als alle aus Ermüdung ganz früh zu Bette lagen, mit Ausnahme Vater Folkwangs, den ein Geschäft nach auswärts gerufen hatte, wurden sie plötzlich durch ein starkes Gepolter auf der Treppe aufgeschreckt. Man hörte das Herunterkollern eines Körpers von Stufe zu Stufe und ein hartes Aufschlagen auf dem Grund. Alles lief halbbekleidet zusammen, überzeugt, daß ein neues Unglück geschehen sei. Da war jedoch nichts zu sehen, kein Tier, kein gefallener Gegenstand, und keines von den Hausgenossen fehlte: sie standen alle staunend und ratend umher, die Kinder drückten sich zusammen und bebten. Am nächsten Abend dasselbe Poltern, derselbe Aufschlag und wieder niemand gefallen, kein Anlaß des Lärms zu entdecken. Schon begannen die Dienstboten zu raunen, daß sich der alte Herr „anzeige“, er habe noch immer die Absicht nicht aufgegeben, seine Enkelin zu sehen, und müsse, solange ihn die Sehnsucht treibe, jede Nacht den Todessturz wiederholen. Diese litt unaussprechliche Ängste, sie getraute sich nicht mehr in die Wohnung der Großmutter hinauf, von wo das Geräusch seinen Ausgang nahm, sie meinte, der Großvater sitze dort oben mit seinem Mützchen auf dem Kopf und erwarte sie. Glücklicherweise kam der Vater schon am dritten Tag zurück und ließ alsbald eine starke windgeschützte Lampe an der steilen Treppe anbringen, die bis dahin jedes mit der eigenen Kerze erstiegen hatte. Die Beleuchtung vertrieb den Spuk: das Fallgespenst ließ sich nicht weiter vernehmen.

      An einem strahlenden Sommermorgen kam Heinrich Folkwang gegen seine Gewohnheit ins Kinderzimmer herab, wo die Jugend des Sonntags wegen noch vollzählig beisammen am Frühstück saß, und sagte:

      „Wißt ihr, Kinder, was heute für ein Gedenktag ist?“

      Keines antwortete.

      „Nun besinnt euch. Denkt daran, daß wir den längsten Tag des Jahres haben, den Tag, wo die Sonne sich in ihrem Laufe wendet, der schon morgen wieder abwärts führt.“

      Gunther erhob den Kopf aus dem Buche – er hatte immer eines neben sich liegen – und sagte:

      „Heute ist Balders Todestag.“

      „Du hast es getroffen. Er war der lichte, der milde Gott, der beste und schönste der Asen, der von allen geliebte. In ihm war vorgebildet, was der germanische Stamm als Wunschziel im Herzen trägt: die Lauterkeit, die Güte, die Wahrheit. Und er war die frühe nordische Spiegelung dessen, der zu Bethlehem in der Krippe lag und der der Menschheit die Mahnung zurückließ: ‚Seid vollkommen!‘ Auch Balder war vollkommen, er konnte kein Böses tun. Wißt ihr, wie es zuging, daß er sterben mußte? Wer es weiß, soll es erzählen.“

      Alle redeten durcheinander, aber keiner im Zusammenhang, nur Vanadis schwieg.

      „Gunther soll allein sprechen, er weiß es am besten.“

      Gunther erzählte vom bösen Traume der Frigga, und wie sie allem Lebenden und selbst den Pflanzen und den toten Steinen den Schwur abnahm, Balder nicht zu schaden, einzig der schwachen kleinen Mistel nicht. Und wie die Götter ein Freudenfest anstellten, wobei sie alle im Wettkampf nach Balder warfen und schossen, jubelnd ob seiner Unverletzlichkeit, bis der blinde Hödur, durch den bösen Loke geführt, den unvereidigten Mistelzweig warf, der des Gottes Verhängnis ward. Und wie sie den Herrlichen auf das Schiff Ringhorn legten und zu ihm, ehe sie es hinausschoben, seine Nanna, die Blumengöttin, der beim Anblick des toten Gemahls das Herz zersprang. Und wie die Sonne dunkel ward und nichts mehr zu sehen als der Widerschein des brennenden Schiffes auf dem Weltmeer. Dann von Wotans Gebot an den Hermodr, daß er den toten Balder von der Hel zurückhole.

      „Und Hermodr sprengte auf dem Rosse Sleipnir über die Brücke der Unterwelt, daß sie erbebte“, fuhr Gunther mit blitzenden Augen fort, „und er trat vor die Hel, seinen Bruder zurückzufordern. Der saß mit Nanna auf der Ehrenbank, aber sein Antlitz war blaß und er war traurig.“

      Hier unterbrach Roderich in seiner derben Weise den Erzähler, weil ihm plötzlich auch etwas einfiel:

      „Sie war scheußlich zu sehen, am ganzen Leibe schwarz und weiß gestreift, und fraß Leichen. Da schlug Hermodr mit der Faust auf den Tisch, daß die Hölle dröhnte.“

      „Nein, Roderich“, verwies der Vater lächelnd, „so darf kein Abgesandter auftreten, wenn er eine Gunst erbitten will. Erzähle du weiter, Vanadis.“

      Diese erzählte weiter. Aber sie gab ihrer Stimme möglichst wenig Ausdruck, um sich nicht zu verraten. Denn sie liebte den strahlenden Balder, und sein Tod war der frühe und große Schmerz ihres Lebens, von dem niemand wußte, weil es ein heiliger Schmerz war. Als sie die Worte des bösen Riesenweibes sprechen mußte: „Thök wird weinen mit trockenen Augen, Hela behalte, was sie bekam“, ging ihr die Stimme aus, und sie blieb unbeweglich sitzen, daß sie selber wie die Thök aussah, die um Balder nicht weinen wollte, denn im ganzen Kinderkreis waren nur ihre Augen trocken. Gunther blinzelte und blickte zu Boden, um seine Tränen nicht sehen zu lassen, Bruno und Enzio weinten laut, und Roderich drehte sich mit einem widerwillig grunzenden Tone weg. Fanny blickte mißbilligend auf die Nichte und sagte halblaut zu ihrem Bruder: „Dieses Mädchen hat am wenigsten Herz von allen deinen Kindern.“

      Am Abend entwickelte sich, was der Vater mit seiner Anrede vom Morgen eingeleitet hatte. Auf dem Wiesenhang gegen den Fluß hinab

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