Vanadis. Isolde Kurz

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Vanadis - Isolde Kurz

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zu sein und des andern Tags an derselben Stelle weiterzulesen. Sie grämte sich, wenn ihr die Nacht dazwischenkam. Neben sich hielt sie stets einen Vorrat von Tannzapfen aufgespeichert zum Schutz gegen etwaige Angriffe, aber es bedurfte dessen nicht mehr, nach dem Schicksalstage der Lumbell wurde Tronje kein zweites Mal gestürmt. Selbst Roderichs Tätlichkeiten hatten aufgehört; wenn sie jetzt noch angegriffen wurde, so war es von seiten ihres Gunthers, der sie gern mit Knittelverschen neckte, worin er ihre Helden durchhechelte. Sie blieb ihm jedoch nichts schuldig, beide hatten eine Begabung für Sprache und Reim, die durch das viele Lesen gestärkt war, und wenn der Mutwille über sie kam, setzten sie sich zusammen auf ein Mäuerchen und bewarfen sich mit Trutzverschen.

      Und nun rückte ihr zehnter Geburtstag heran, der im Hause festlich begangen werden sollte. Die Kleine sah ihm mit einer tiefen, feierlichen Bewegung entgegen. Nicht nur, weil jetzt der Zahl ihrer Lebensjahre die bedeutungsvolle Null angehängt werden sollte, sondern weil sie einem ganz großen Erlebnis entgegenging: sie wollte an diesem Tage heiraten. – Heiraten? Jawohl, und wen anders als ihren Längstgeliebten, Einzigen, den Herrn Egon von Solmar. Seit zwei Jahren war das fest bestimmt. Er hatte eines Tages in Gegenwart der Großen zu ihr gesagt: „An deinem zehnten Geburtstag heirate ich dich!“ – und wie erklärend hatte er gegen die Anwesenden hinzugefügt: „In Indien heiraten die Mädchen in noch früherem Alter.“ Seitdem hatte sie mit Ungeduld den Tag ersehnt, an dem sich ein so großer Wandel vollziehen sollte. Schon am Vorabend sah sie stille Vorbereitungen treffen wie für das Doppelfest einer Geburtstags- und Hochzeitsfeier. Blumen wurden geschnitten und Kränze gewunden. Annemarie, die Köchin, buk einen Kuchen von besonderer Feinheit und trug ihn in der Frühe mit zehn brennenden Lichtern vor ihr Bett. Die Großmutter brachte ein blühendes Myrtenstöckchen, wie man sie Bräuten schenkt, und über dem Arm hing ihr das duftige weiße Kleidchen, an dem man sie seit Wochen hatte sticken sehen. Dann klingelte die Post und brachte Brieflein und kleine Geburtstagsverse von den Freunden des Hauses, von den Freundinnen umfangreiche Schachteln mit vielen schönen und erwünschten Sachen drin. Frau Fanny wunderte sich, daß Egon, der sonst immer mit der Geburtstagssendung der erste war, diesmal nichts von sich hören ließ.

      „Ich denke, er wird uns überraschen wollen und zu Mittag selber dastehen“, meinte die Großmutter.

      Dies fuhr Fanny in die Glieder, daß sie rasch in die Küche eilte, daselbst noch ein wenig Unordnung zu stiften. Vanadis aber lächelte still in sich hinein: Er wird wohl in Person erscheinen, wenn er heute Hochzeit macht – und sie wunderte sich, daß die andern nicht soweit dachten.

      Gunther hatte einen gutgefaßten Geburtstagsspruch ausgedacht, den die kleine, jetzt sechsjährige Esther, gleichfalls weiß gekleidet, mit einem Strauß in der Hand aufsagen mußte, und er selber überreichte dazu ein niedliches, von seiner eigenen Bastlerhand gebundenes Büchlein, in das sie künftig ihre Trutzverschen aufzeichnen wollten. Bruno und Enzio bliesen gewaltig auf ihren Trompeten, um auch zur Feier des Tages beizutragen, und Roderich zeigte seine Achtung vor der Herrin des Festes dadurch, daß er sich abseits hielt und sie den ganzen Tag weder ärgerte noch quälte.

      Am Mittag hielt ein Wagen vor der Tür, und wie erwartet stieg Baron Solmar heraus. Er hielt in der einen Hand einen hohen, mit Seidenpapier verhüllten Blumenstrauß, in der andern ein kleines Saffianköfferchen, was er beides vorsichtig ins Haus trug, während Carlo, sein florentinischer Kammerdiener, mit den ziemlich umfangreichen Koffern und Schachteln nachkam. Das Kind flog dem Ankömmling diesmal nicht auf der Treppe entgegen, ein Gefühl bräutlicher Befangenheit hielt sie bei ihrem Geburtstagstisch fest. So empfing sie strahlend, aber still die Geschenke ihres Freundes. Aus dem Seidenpapier kamen herrliche hochstengelige Rosen, die dunkelroten, duftgesättigten, die sie vor allen liebte, zum Vorschein, für diese Jahreszeit eine Seltenheit. Das Köfferchen enthielt in Silber gefaßte Kämme und Bürsten, kristallene Fläschchen mit Wohlgerüchen, nebst allem Bedarf für die Handpflege, und es fehlte nichts, was ein zartgewöhntes Dämchen auf die Reise mitzunehmen pflegt.

      „Das ist zuviel, Egon, du verwöhnst uns das Kind“, sagte Herr Folkwang.

      „Zuviel?“ antwortete jener. „Jetzt kommt erst die Hauptsache.“

      Er zog noch ein längliches lilasamtenes Futteral heraus und öffnete es, daß die darin liegende Kette aus geschliffenen goldgelben Perlen in der Sonne funkelte.

      „Sieh her, Kind, das ist der Schmuck, den die Zwerge deiner Namensschwester, der Göttin Freya, schmiedeten. Wie hieß er bei Asen und Alben?“

      „Breysing!“ jubelte das Kind, und schon lag die Kette um ihren Hals und ein Kuß auf ihren Lippen.

      „Es ist wirklich zuviel, Egon“, sagte jetzt auch die Großmutter.

      „Was kann für ein solches Geschöpf zuviel sein?“

      Man ging zu Tische. Ein Zufallsbesucher, den man zu bleiben bat, vermehrte die Gesellschaft. Vanadis saß gefeiert zwischen ihrem Freund und dem Vater an der blumengeschmückten Tafel, horchte auf die Reden der Erwachsenen und nippte von dem ihr ungewohnten Weine. Es wurde ein Trinkspruch auf sie ausgebracht, der Fremde stattete seinen Glückwunsch ab, dann aber verwickelten sich die Herren in eine gelehrte Unterhaltung, der sie nicht folgen konnte. Nach der Mahlzeit wurden die Kinder weggeschickt, Vanadis mit ihnen. Als sie knicksend um den Tisch ging, sich von allen zu verabschieden, küßte Egon sie auf die Stirn. Das war alles. Daß sie Braut und Bräutigam waren, mußte er wie die andern vergessen haben. Dann sah sie vom Fenster aus, wie ihr Vater und Egon den fremden Herrn zur Stadt zurückbegleiteten.

      Der Tag ging zu Ende wie jeder andere, sie begriff das nicht.

      Als nun die Familienhäupter mit Baron Solmar zu Abend speisten – die Kinder pflegten zum Abendbrot nicht mehr zu erscheinen –, ging plötzlich die Türe auf, und herein bewegte sich ein seltsamer Aufzug: Voraus schritt Vanadis, den kostbaren Brautschleier der Großmutter auf dem Kopf, den sie sich heimlich aus der Lade geholt hatte, ein Prachtstück alter Nadelarbeit, darüber ein Kränzlein aus Myrtenknospen, das ihr der Myrtenstock hatte lassen müssen, Egons Bernsteinkette um den Hals und in jeder Hand eine brennende Kerze auf silbernem Leuchter. Ihr folgte Estherchen, gleichfalls weiß gekleidet, die die lange feingestickte Schleppe des Brautschleiers mit kindlicher Anmut hielt. So umschritten sie langsam die Tafel, bis Vanadis vor Egon stehenblieb und ihn aufmunternd ansah. Dieser staunte über die elfenhafte Zartheit des Kindes, dessen feines Gesichtchen mit den strahlenden Augen ihm aus dem duftigen, zu beiden Seiten niederrieselnden Gewebe mit heiligem Ernst entgegensah, und wunderte sich zugleich, was der seltsame Einfall bedeute.

      „Was willst du von mir, mein Liebling?“ fragte er.

      „Ich will, daß du mich jetzt heimführst auf deine Selige Insel, weil wir heute Braut und Bräutigam sind.“

      Das Wort „heimführen“, das ihr aus den vielen gelesenen Geschichten geläufig war, hatte einen besonderen Reiz für sie, vielleicht weil ihrem eigenen mutterlosen Leben doch das richtige Heimgefühl fehlte.

      „Ach so“, erinnerte sich der vergeßliche Bräutigam. Er hielt sie an beiden Händchen fest, nachdem er ihr zuvor die Leuchter abgenommen hatte, und sah sie mit tiefem Entzücken an.

      „Freilich“, sagte er, „ist heute unser Hochzeitstag, du süßer Schatz. Aber siehst du, das mit dem Heimführen läßt sich so schnell nicht machen. Mein Haus ist noch nicht gebaut, und bis es fertig wird, müßtest du auf Streu schlafen statt in deinem schönen weißen Bettchen. Auch auf der Seligen Insel braucht man ein Haus, um drin zu wohnen, sonst fressen einen die wilden Tiere. Wachse du unterdessen fort und bleibe mir schön und gut wie jetzt und lerne fleißig, daß ich eine verständige kleine Frau bekomme. Wenn es an der Zeit ist, will ich dich schon holen.“

      Dabei küßte er sie zärtlich auf beide Wangen. Jetzt hielten auch die andern nicht mehr an sich,

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