Vanadis. Isolde Kurz

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Vanadis - Isolde Kurz

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Sonne glühend hinter dem Hügel versank, schlug der Vater mit einem Feuerstein den heiligen Funken, der Balders Scheiterhaufen entzünden sollte; der Eindruck blieb unvergeßlich in den Kinderseelen haften. Das war ein anderer Leichenbrand als das Feuerchen, das die Lumbell verzehrt hatte, er spiegelte sich glührot im Fluß und stieg als breiter schwarzer Rauch zum Himmel. Daneben stand der Vater und sprach noch einmal von Balder, der das Licht und die Liebe gewesen und der nun bei der Hel wohnen müsse, weil der Neid eines einzigen ihm die Rückkehr gewehrt habe. Und wie arm die Welt ohne ihn geworden sei – daß er aber einstmals wiederkehren werde und versöhnt und friedlich neben seinem Mörder wohnen und daß er die goldenen Tafeln wieder im Grase finden werde, worauf die Ursatzungen der Gerechtigkeit geschrieben seien. Er sprach noch mehr von diesen Täfelchen, die einst in der Frühzeit den Asen nur zum heiteren Spiele gedient hätten, deren Inhalt aber von nun an die Welt regieren sollte. Wenn die Kinder ihn auch nicht alle verstanden, so fühlten sie sich doch insgesamt von etwas Erhabenem angerührt und hörten in großer Bewegung zu. Das war die besondere Erziehungsweise Heinrich Folkwangs: er kümmerte sich nicht um die Unarten seiner Kinder und ließ sie machen, was sie wollten. Aber von Zeit zu Zeit trat er unter sie und hielt in einer Form, die ihre Mitwirkung verlangte, eine neue und ungewohnte Feier ab, die zugleich Freudenfest für die Kinder war und eine unausrottbare Lehre in ihre Seelen brannte.

      „Balder ist tot“, sagte er am Ende, „der Frühling ist dahin. Seine Gefährtin hat ihm alle ihre Blumen als Opfer in den Leichenbrand gelegt, ihren ganzen Frühlingsschmuck und zuletzt sich selber. Wißt ihr, Kinder, was das Wort ‚Opfer‘ bedeutet? Etwas Geliebtes hingeben, um etwas noch Geliebteres, etwas Heiliges zu ehren. Wollen wir heute nicht auch dem toten Balder ein Opfer bringen? An dem, was ein Mensch opfern kann, erkennt man seinen Wert. Ein jedes lege, was ihm von seinen Sachen besonders lieb ist, in Balders Flammengrab. Wir wollen sehen, wer am schönsten für Balder opfert. Ich selber will den Anfang machen. – Aber zuvor noch ein Wort, verstehen wir uns recht. Es kann keine Rede davon sein, daß euch jemals von den Großen das ersetzt wird, was ihr heute hergebt. Ein Opfer muß endgültig sein, sonst ist es keines. Wer sein Eigentum nicht verschmerzen kann, soll es nicht hergeben. Und jetzt beginnen wir.“

      Auf seinen Wink wurde die schöne weiße Eidergans heruntergebracht, die mit ausgebreiteten Schwingen über seinem Schreibtisch schwebte. Er hatte sie selbst am Nordkap geschossen, und niemand konnte zweifeln, daß sie ihm wert war. Auf dem Stabe, der sie trug, setzte er sie mitten hinein in das Feuer.

      „Balder, weißer Gott, laß dir dieses Opfer gefallen, das schön und weiß ist wie du.“

      Jetzt kam Gunther an die Reihe. Seine großen blauen Augen leuchteten. Er hatte ein in roten Saffian gebundenes Büchlein in der Hand, sein vorjähriges Geburtstagsgeschenk, es war ganz vollgeschrieben mit seinen Versen. Keinem fremden Auge hatte er sie je gezeigt, aber er schätzte sie für das Schönste auf Erden und ihr Gewand des Inhalts würdig. Schlicht und ernst trat er heran und legte sie in die Glut.

      „Für Balder“, sagte er. „Möge er bald zu uns zurückkehren.“

      Was wird Vanadis dem Gotte geben, den sie liebt? Sie hat der Kinkerlitzchen viele, aber keines dünkt ihr würdig zum Totenopfer für Balder, denn sie hängt an keinem, alle kann sie ohne Schmerz lassen und folglich auch ohne Lust opfern. Und die Bernsteinkette kann es nicht sein, die ist in der Verwahrung der Großmutter. Aber einen Gegenstand besitzt sie doch, den hinzugeben wohl und wehe tut. Auch ein Geschenk von Egon, oben in der Kommode liegt es, die ganz davon duftet. Es ist ein Fläschchen echtes Rosenöl mit schönen türkischen Goldbuchstaben im Kristall, die niemand lesen kann, und mit einem Wohlgeruch, der mitten in die Wundergärten von Tausendundeiner Nacht versetzt. Dieses Fläschchen holt sie herbei und legt es im geöffneten blauseidenen Kästchen in die Flamme. Das Glas zerbirst und ergießt seinen Inhalt in die Glut, die von dem Öl höher aufleckt und den Abend mit unbeschreiblichen Düften tränkt. Vanadis atmet Wonne, und alles berauscht sich an dem Wohlgeruch.

      Unter den jüngeren Knaben, deren Schatzkammer nicht so reich gefüllt ist, entsteht ein Streit, was der eine und der andere spenden soll.

      „Halt! Niemand darf gezwungen werden“, sagt der Vater, „nur ein freiwilliges Opfer kann Balders Herz erfreuen.“

      Nun einigen sich die beiden, und jeder bringt das Seine dar. Roderich allein will nichts geben, die gerührte Anwandlung vom Morgen wurmt ihn noch in der Seele, wenn auch niemand sie unter dem Grunzlaut bemerkt hat.

      „Ich habe nichts“, murrt er unter dem Drängen der Kinder. „Was soll ich denn geben? Von meinen Sachen ist kein Stück mehr ganz.“

      „Weil du alles zerschlägst, was in deine Hände kommt“, sagte Vanadis.

      „Meinen Schulranzen hab’ ich noch“, höhnte er. „Den kann Balder haben, wenn er ihn mag.“

      „Das könnte dir passen, du fauler Bursch!“ rief Tante Fanny und schwang drohend ein Reisigbüschel gegen ihn.

      „Loke, Loke!“ fauchte ihn das Mädchen an. „Du bist er selbst, der Böse, der den Tod des Balder verschuldet hat!“

      „Ruhe, Kinder, keinen Streit!“ gebot der Vater. „Jetzt ist die Glut gesunken, jetzt darf jedes von euch hindurchspringen. Laßt sehen, wer es am schönsten macht. Gunther voran! Dann Roderich! Einer nach dem andern! Es geht dem Alter nach. Vorwärts!“

      Das war ein Jubeln und Springen und Röckeflattern, denn unmittelbar hinter den größeren Knaben sprang die Schwester und tat es diesen gleich. Nur Esther und die Großmutter fehlten. Letztere war nach dem Tode ihres Gatten so leidend gewesen, daß man eine Zeitlang geradezu fürchtete, sie möchte ihm nachsterben, wie es zuweilen bei langen Ehen geht, auch wenn sie sich nicht durch großen Einklang ausgezeichnet haben, daß ein Teil den andern nachzieht. Aber eine Erkrankung Esthers rief ihre Liebes- und Opferkraft wieder auf und gab sie dem Leben zurück. Jetzt saß sie am Bette des Kindes, das früh zur Ruhe gehen und laute Freuden meiden mußte.

      Beim Abendessen wurde nichts mehr gesprochen, aber die Kinder saßen mit glänzenden Augen da und dachten Balders Totenfeier nach. Nur Vanadis war nicht mit sich zufrieden. Sie schlüpfte vor dem Schlafengehen noch einmal aus dem Haus und stand lange vor der Glut, die noch nicht erlöschen wollte. Ihr Herz war so voll von Balder, daß es sich weiter und weiter ausdehnte, wie um die ganze Welt in sich aufzunehmen und daran zu zerspringen. Sie weinte vor Freude und vor Schmerz, daß er so schön war und so früh sterben mußte. Und das Opfer, das sie ihm dargebracht hatte, dünkte ihr viel zu klein. Gunther, ja, der hatte gewußt, wie man Balder ehren mußte, er hatte sein Bestes gespendet, seine Gedichte. Sie war zu arm, sie hatte nichts Gleiches zu geben. Aber etwas mußte sie doch noch darbringen, etwas, das besser war als eine Flasche Rosenöl, und nun wußte sie plötzlich, was. Jedes der Kinder besaß ein eigenes Stückchen Gartenland zur Bebauung und Wartung, worauf es pflanzen konnte, was es wollte. Vanadis hatte Lilien gezogen, ein ganzes Beet Feenkinder, und sie liebte es, im Mondschein schnell noch in den Garten zu schlüpfen, um mit ihren Lilien allein zu sein. Niemand hatte sich noch erlaubt, eine zu brechen, nicht einmal der böse Roderich. Sie kannte und liebte jede einzelne besonders, hatte sie alle mit feenhaften Namen geschmückt und behauptete, jede auch mit geschlossenen Augen an ihrem besonderen Dufte zu erkennen. Die Lilien wollte sie opfern, wie Nanna ihren Frühlingsschmuck opferte. So wie heute hatten die weißen Feenleiber noch nie im Mondlicht geleuchtet. Sie standen hochgestreckt mit weitoffenen, dem Monde zugekehrten Kelchen und strömten ihm verzückte Düfte entgegen, deren stumme Liebeslaute das Kind verstand. Sie sprach noch mit einer jeden und tröstete sie über ihr Los:

      „Alle müssen wir einmal sterben, auch ich. Und den Menschen tut es weher. Wenn doch auch ich einmal für Balder sterben dürfte.“

      Das war aber nur der Anfang. Als die abgeschnittenen Lilien beisammenlagen, wandte sie die Schere gegen ihr eigenes Haupt. Die dicke schwere Flechte,

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