Vanadis. Isolde Kurz

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Vanadis - Isolde Kurz

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Hauptschmuck ihrer Enkelin. Aber daran kann diese jetzt nicht denken, und sie weiß auch nicht, daß sie mit dem kurzen Haar noch reizender sein wird als zuvor. Sie umwickelt den Arm voll Lilien mit dem Haar und weiht alles zusammen in der warmen stillen Nacht der Sommersonnenwende dem glühenden Kohlenrest von Balders Scheiterhaufen. Das Haar flammt auf, und die Lilien bräunen sich, des Kindes ganzes Ich aber floß aus in ein stummes Gebet, rein und edel zu sein wie die Flamme, die für Balder emporstieg, keinen Winkel in ihrem Herzen zu haben, wohin sein Sonnenauge nicht blicken dürfte.

      „Ich habe ihn anerkannt und werde immer danach handeln, aber ich gestehe dir, daß ich meine Zweifel habe – und wenn ich ihn ansehe ...“

      Diese Worte hörte die kleine Vanadis Baron Solmar eines Tages mit gedämpfter Stimme zu ihrem Vater sagen. Mit frühreifer Spürkraft ahnte sie dahinter etwas Besonderes und schämte sich wie ein Dieb, daß sie Zeugin eines Gesprächs geworden, das augenscheinlich nicht für ihre Ohren bestimmt war. Denn als sie aus der Ecke hervortrat, in die sie sich gestellt hatte, um ihren Freund vorübergehen zu sehen, war dieser plötzlich verstummt, und die beiden Herren hatten einen raschen Blick getauscht. Sie gab ihrem Reifen einen Schwung, als ob sie ihn eben aus der Ecke geholt hätte, und flog damit vorüber. Aber als sie außer Hörweite war, blieb sie nachdenklich stehen. Worüber hatte er seine Zweifel, und was erschütterte ihn so? Brennend gerne hätte sie das gewußt, und es schien ihr so halb und halb, als komme ihr auch ein Anteil an seinen Sorgen zu; aber nicht um die Welt hätte sie ohne sein Wissen länger zuhören mögen.

      Egon fuhr inzwischen gegen den Freund fort:

      „Ich weiß nicht, ob es eine Stimme des Blutes gibt. Jedenfalls habe ich sie nie gespürt, und er spürt sie noch minder. Wer sich im Hause am wenigsten über meine Ankunft freut, das ist jedesmal mein Sohn. Der ganze Groll seiner Mutter gegen mich scheint zusamt ihrer Unbezähmbarkeit in ihm Fleisch geworden zu sein. Da ist keine feinere Ader. Nur eben, als ich vorbeiging, hing er mit einem Arm an dem hohen Buchenast und schwenkte sich in der Luft, gelenk wie ein Affe und ebenso häßlich. Er läßt mich nicht vergessen, daß er Seiltänzer unter seinen Vorfahren hat. Es ist mir immer ein Stachel, daß ich dein Haus mit dieser Aufgabe belaste, aber in einer Erziehungsanstalt würde er mir mit Sicherheit zum Taugenichts gemacht.“

      „Die Sache ist viel einfacher, als du dir denkst“, antwortete Folkwang. „Kinder erziehen sich gegenseitig, indem sie sich aneinander schleifen, und wo schon zuvor ein Häuflein wilder Jungen rauft, kann auch der deinige mitraufen. Roderich ist kein verderbtes Kind, nur rauh und störrisch. Es ist keine Gefahr, daß die Meinigen an ihm Schaden nehmen könnten. Gunthers hochgeschwungene Geistigkeit, die nicht ohne Gefahr ist, kann sogar den derberen Gefährten recht gut gebrauchen, der ihn am Erdboden festhält. Solche Dienste können sich nur Altersgenossen untereinander leisten, denn Erziehung ist eine sehr fragwürdige Sache. Das einzig Bedauerliche ist, daß er die arme kleine Vanadis neckt und ärgert, wo er kann, aber sie ist ihm gewachsen, und wenn er erst älter wird, so hört das von selber auf. Es ist also gewiß nicht pro domo gesprochen – denn wir alle, vielleicht nicht einmal Vanadis ausgenommen, würden sein Fortgehen bedauern –, wenn ich sein Anliegen vor dich bringe, du möchtest ihn aus dem Gymnasium wegnehmen, wo er doch nichts lernt, und ihm den Eintritt in eine gute Zeichenschule, die es hier nicht gibt, ermöglichen.“

      „Davon kann für jetzt keine Rede sein“, war die Antwort. „Wenn er das Zeug zum Künstler hat, so werde ich ihn gewiß nicht hindern, aber zuvor soll er mir ein gebildeter Mensch werden. Ich hasse das Banausentum gewisser Künstler, die meinen, ihre Kunst könne darunter leiden, wenn sie unsere klassischen Dichter kennen und ein richtiges Deutsch schreiben. Bevor er mit der letzten Klasse des Gymnasiums fertig ist, soll er mir an keine Kunstschule denken; bis dahin hat sich dann gezeigt, was von seinem Talent zu hoffen steht.“

      „Wenn nun aber das Gymnasium doch an ihm verloren ist, wäre es da nicht besser, er käme so früh wie möglich in sein natürliches Fahrwasser? Daneben könnte er noch immer eine Privatschule besuchen. Du siehst ja, er hat Jahr für Jahr die schlechtesten Zeugnisse und ist der Schrecken der Lehrer, die ihm bei der Prüfung durchhelfen, daß er ihnen nur ja nicht ein Jahr länger in der Klasse bleibt. Dagegen werden die Kohlezeichnungen, womit er alle Wände bedeckt, täglich besser und merkwürdiger. Seine Tiergestalten haben etwas so unmittelbar Erschautes, daß man staunen muß, wie ein Kind dergleichen ohne alle Anleitung fertigbringt, denn der Zeichenunterricht in der Schule ist wahrlich eine jämmerliche Sache. Und dann seine Fratzen und Ungeheuer – eine ganze dämonische Welt –, hast du dir sie recht betrachtet? Man begreift nicht, wo er sie herbringt; man denkt, solange man sie ansieht, er müsse ihnen irgendwo leibhaft begegnet sein, so ganz voll sind sie von Leidenschaft und Leben.“

      „Ja, und hier steckt gerade der Knoten“, antwortete Baron Solmar. „Sein Dichten und Trachten geht auf das Abstoßende, das Widerwärtige. Wenn ich sagen wollte, er habe keinen Schönheitssinn, so wäre es falsch ausgedrückt, er hat einen tatsächlichen Sinn für das Häßliche. Seine Tierbilder sind talentvoll, zugegeben. Aber hat es ihn je gereizt, ein edles Roß, das Schönste der Schöpfung, nachzubilden? Und schöne Pferde kann er doch täglich sehen! Nein, einen Ackergaul stellt er dir hin mit Hufen wie vier Klötze oder einen jammervollen Klepper, dem alle Rippen durchscheinen. Und was fängt er mit dem Schönen an, wenn er ihm nicht ausweicht? Er macht eine Fratze daraus. Wahrhaftig, vor einem solchen Talent, wenn er wirklich eines hätte, müßte man ja die Kunst bewahren. Wir brauchen keinen neuen Höllenbreughel. Er soll jetzt hübsch bei seinem Latein und seiner Mathematik bleiben. Nach der Matura wollen wir weiter sehen, vielleicht hat er bis dahin gelernt, die Welt mit anderen Augen zu betrachten.“

      Dabei blieb’s. Wenn Baron Solmars reizbares Schönheitsgefühl verletzt wurde, so war das schlimmer als eine persönliche Beleidigung. Er hatte so lange in den Ländern der Sonne gelebt, wo Zweckmäßigkeit und Schönheit zusammenfallen, daß jede unschöne Form, plumpes Betragen, steife oder schwerfällige Bewegungen ihm einen beinahe körperlichen Schmerz verursachten. Nun hatte ihm das Schicksal wie zum Hohne einen Sohn gegeben, der – obwohl von zwei schönen Eltern und aus einer entflammten Stunde stammend – unebenmäßig und häßlich war und noch obendrein – je älter er wurde, um so mehr – mit allem Schönen Krieg führen zu wollen schien. Zwischen diesen beiden Naturen war eine Verständigung nicht vorstellbar, und der Vater hielt sich von vornherein, zwar ohne Härte, aber kühl bis ans Herz, von dem Knaben zurück, zu dessen Seelenleben er keinen Zugang sah noch suchte. So hatte auch das Gespräch über Roderichs Zukunft keinen andern Erfolg, als daß Baron Solmar häuslichen Nachhilfeunterricht in denjenigen Fächern, worin der Knabe besonders schwach sei – das waren so gut wie alle –, anordnete.

      Das Opfer, dem dieses saure Amt zufiel, war auch schon gefunden. Es war Herr Wittich, ein stiller, unscheinbarer, aber um so gründlicherer Gelehrter, wie es deren zu jener Zeit viele gab, wahre Aschenbrödel der Wissenschaft, von deren Bedeutung in Gelehrtenkreisen die nächste Umwelt zumeist nichts ahnte. Aus Bescheidenheit und wegen beschränkter äußerer Umstände hatte er es nicht weiter gebracht als zum Titularprofessor am Städtischen Gymnasium, so daß er gerne die Gelegenheit wahrnahm, einer zu kleinen Besoldung bei zu großem Familiensegen durch ein Nebenamt aufzuhelfen. Gewissenhaft, wie er war, legte er sich gleich einen Lehrplan zurecht, durch den, wie er hoffte, der jungfräuliche Boden von Roderichs geistigen Fähigkeiten urbar gemacht werden sollte. Allein, er wußte nicht, was ihn erwartete. Als Roderich erfuhr, daß er nicht nur nicht aus dem verhaßten Joch der Schule erlöst werden, sondern jetzt sogar noch seine Freistunden an Dinge wenden sollte, deren Nützlichkeit ihm unerfindlich war, zerbiß er sich die Fäuste und brüllte seinen Zorn durch den abgelegenen Forst. Zwar wagte er, solange Baron Solmar um den Weg war, nicht gegen den Stachel zu löcken, aber auch er legte sich seinen Plan zurecht, der darin bestand, den Feind – als solchen betrachtete er Herrn Wittich – durch passiven Widerstand hinzuhalten, zu zermürben und endlich aufzureiben. Als er zuerst dem neuen Lehrer entgegentrat, geschah es mit so undurchdringlich verstockter Miene, daß jener sogleich wußte, woran er war. Er suchte ihm zunächst durch Güte und Vernunft beizukommen, indem er ihm den Wert einer guten Schulbildung fürs Leben und die Notwendigkeit,

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