Der Pflug des Zorns - Ein historischer Roman. Maria Helleberg

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Der Pflug des Zorns - Ein historischer Roman - Maria Helleberg

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sie kaum jemals hatte sehen können, als sie in der Verbannung in Norwegen lebten.

      Als er noch an der Figur arbeitete, schnitzte und die kleinen Äste mit den Nägeln abkratzte, war Cecilia der Mittelpunkt in seinem Leben gewesen, und er hatte überall ihre Formen gesehen. Jetzt jedoch sah er sie so, wie alle anderen die Figur empfinden mußten – unansehnlich und unfertig, es fehlte an Verzierung und auch an Gold. Der Deutsche drehte sie unbarmherzig herum, wie eine Magd ein gerupftes Huhn dreht, bevor dieses in den Kochtopf wandert. Dann wandte er sich an den Gesellen und fragte etwas in seiner harten Sprache. Der Geselle zwinkerte ein paarmal mit den Augen, um anzudeuten, daß dies eigentlich weit unter seiner Würde war und übersetzte schließlich mit schleppender Stimme:

      – Meister Francke möchte gern wissen, bei wem du in der Lehre warst, kleiner Schwede?

      Der Deutsche wirbelte herum, auf einmal behende und leicht, trotz seines schweren Körpers – kniff ein Auge zu und balancierte Cecilia auf seiner flachen Hand. In seinem Gesicht konnte man keine Veränderung erkennen, aber Gunnar wurde es warm vor Seligkeit, und die Zunge brachte die schönen Worte, mit denen er zu antworten versuchte, nicht heraus.

      Der Mann glaubte, er habe dieses Fach gelernt, er, der nur gelegentlich mal geschnitzt hatte. Und nun wollte der Meister wissen, woher er kam, ob er zu einer Gilde oder Werkstatt gehörte, ob er ehelich geboren war und Auskunft über seine Familie geben konnte. Das war alles schwierig – er war unmündig, mußte seinen Pflegeeltern folgen, wie er es getan hatte, als der Pflegevater für vogelfrei erklärt worden war. Und während er versuchte, seine Herkunft zu erläutern, wurde ihm klar, daß Holzschnitzer wohl das war, was er zuallerletzt werden konnte. Er war zwar der verarmte Sohn eines verarmten jüngsten Sohnes, aber er entstammte dem Ängel-Geschlecht, und kein Mann, der diesen weiblichen Engel in seinem Wappen trug, konnte so tief sinken, daß er sich von seiner Hände Arbeit ernähren mußte.

      So einfach war das. Sein Platz war bereits vor der Empfängnis festgelegt. Sein Schicksal hieß Lindö. Ein Hof irgendwo in Uppland. Er konnte sich nicht daran erinnern – er hatte den Hof verlassen, als er zehn Jahre alt war, ohne zu wissen, wieviel Zeit vergehen würde, bis er zurückkehren könnte. Jetzt war es ihm einerlei.

      Niemand hielt ihn auf, als er sich an den Schreibern vorbeischlängelte, hinein in die fensterlose Kammer. Der trockene Geruch von Pergament und Staub benahm ihm den Atem. Er hatte noch nie außerhalb einer Kirche Bücher gesehen. Aber hier standen sie in Regalen, als hätten sie einander gezeugt – große und kleine, abgenutzte und neue, ein paar zerschlissene, andere fest an die Regale gekettet.

      Auf Kalmarhus gab es keine anderen Angebote zur Zerstreuung. Seit er hierhergekommen war, hatte er sich gelangweilt – und er hatte seine Enttäuschung nicht einmal mit jemandem teilen können. Schon das Wort Hof hatte ihm das Herz in der Brust hüpfen lassen. Aber der Hof erfüllte nicht seine Erwartungen, die von den Erzählungen des Pflegevaters bestimmt worden waren. Hier auf Kalmarhus wohnten zwölf junge Männer, dazu ausersehen, dem König Magnus Eriksson zur Hand zu gehen, sollte es ihm eines Tages gefallen, Varberg zu verlassen, um sich sein Reich anzuschauen. Die Burschen schliefen zu zweit, um sich in den Winternächten zu wärmen, und bei Tische teilten sie Eßbretter und Becher. Aber keiner wollte mit Gunnar teilen, dem Neuankömmling. Wenn sie etwas brauchten, sahen sie durch ihn hindurch, als sei er aus klarem Glas. Und sie waren alle gleich – waren stark und muskulös, paßten zu den hübschen Pferden und Jagdhabichten und englischen Jagdhunden, mit denen sie von zu Hause versorgt worden waren.

      Gunnar stand bei so vielen Dingen allein da, er war der einzige ohne Eltern, der einzige mit Pflegeeltern, die im Ausland gelebt hatten, der einzige, der lesen und schreiben konnte. Hier drinnen beim Kanzler wurde seine Fähigkeit geschätzt, wie er wußte, deshalb ging er zu einem der Schreiber und bat um die Erlaubnis, irgendein Buch an einem der leeren Pulte lesen zu dürfen.

      Der Mann bedachte ihn mit einem kurzen Blick. Auf seinem Weg zu den Regalen grinste er einem anderen Schreiber zu, entblößte dabei große, gelbe Pferdezähne.

      – Ich lese Schwedisch, fühlte Gunnar sich genötigt hervorzuheben – aber niemand hob den Blick.

      – Sonst wäre dein Vergnügen auch nur so groß, daß es auf dem Hintern einer Fliege Platz hätte, mein Freund, sagte der Schreiber mit den gelben Zähnen und knallte ihm ein schweres Manuskript auf das Pult, so daß der Staub in Wolken um seine Nase stand und das schwache Licht mit einem Flackern erlosch.

      Im Lesesaal war es still und kühl wie in einer Kapelle – er wußte, daß alle auf der Lauer lagen, nur auf einen Vorwand warteten, ihn hinauszuwerfen. Daß er anfinge, Krach zu machen, mit dem Schwert oder den Sporen zu klirren, zu rülpsen oder etwas anderes Unerhörtes, Unhöfliches zu tun. Aber er würde ihnen zeigen, aus welchem Holz er geschnitzt war! Die Stille war eines der Güter, die er verloren hatte, als er nach Kalmarhus mit seinen gackernden Hühnern, wiehernden Pferden und lärmenden Menschen gekommen war.

      Nun hatte er die Stille wiedergefunden, und er wußte dieses Glück zu schätzen.

      Als er sich am Nachmittag zur Tür hinausschlängeln wollte, wurde er von einem ungewöhnlich großen und dünnen, gebeugten Mann angehalten. Er trug die braungraue Kutte der Grauen Brüder, hatte zerschlissene Sandalen an den gichtgekrümmten Füßen und einen Strick um den Leib. Gunnar wich unwillkürlich zur Seite, drückte sich an die Wand und ließ seinen neugierig-verschreckten Blick über ein hageres, kantiges und graues Gesicht gleiten, in dem die Haut unter den Augen ein Netzwerk von roten und blauen Äderchen bildete. Ein dünner, weißer Haarkranz umschloß eine blanke, kantige Tonsur, als sei er von fremden Händen dort angebracht.

      Das war der Kanzler, fiel ihm schaudernd ein. Gern hätte er sich jetzt in irgendein Mauseloch verstecken wollen. Aber der Mann hatte ihn gesehen und packte ihn: fünf Haken aus Stahl schlugen sich in Gunnars Schulter, und ein trockenes, reibendes Lachen traf sein Gesicht – und Spritzer von Spucke.

      – Das ist das erste Mal, daß ich bei einem der jungen Männer erlebe, daß er die Elchjagd und das Schwerterspiel vernachlässigt, um bei uns zu lesen! sagte der Kanzler und entblößte die gelben Pferdezähne. Schlechte Zähne schienen eine der Aufnahmebedingungen im Orden der Grauen Brüder zu sein. Gunnar schämte sich seiner ungehörigen Gedanken.

      Es stimmte ja, was der Mann sagte, er war anders. Er hielt sich nun einmal lieber drinnen auf und buchstabierte sich durch Traktate hindurch, als die Zeit mit all den Dingen zu vergeuden, womit sich Gleichaltrige sonst vergnügten.

      Er hatte so viele Fragen, aber keine Antworten.

      Am nächsten Tag kam er wieder, am übernächsten auch, und der Kanzler nahm sich die Zeit, mit ihm zu reden. Aber als Gunnar Ulfsson ängstlich von seinen Pflegeeltern erzählte, hatte er den Eindruck, dem Mönch gehe ein Licht auf. Der Onkel seines Pflegevaters war ein heiliger Mann, Bischof in Skara. Und ein anderer seiner Onkel hatte bretonische Romane ins Norwegische übersetzt. Das klang wie die Erfüllung seiner heißesten Träume: sicher, warm und allein sitzen zu können und über Liebe, Krieg, Tod und Leidenschaften zu lesen. Ohne sein Leben aufs Spiel setzen zu müssen oder sich in die Wirklichkeit hinauszuwagen. Die fleischliche Liebe in Flores und Blanseflor oder Tristan und Isolde sagte ihm nicht viel. Die hatte er aus nächster Nähe bei den Pflegeeltern miterlebt, und die Beschreibungen waren trotz allem nur schwache Nachbildungen der brennenden, furchteinflößenden Wahrheit.

      Aber einer der Schreiber war dabei, die Schriften des heiligen Franziskus zu übersetzen, und diese ließen Gunnar Mund und Nase aufsperren. Die noch feuchte Schrift machte das Lesen noch unmittelbarer: als seien die Gedanken gerade geboren. Die Vögel waren seine Geschwister, Sonne und Mond seine Familie, die Welt um ihn herum fügte sich in Vollkommenheit zusammen, alle Wesen waren von Gott geschaffen und gleichberechtigt, jedes mit seiner Rolle und dem gleichen Recht zu

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