Der Pflug des Zorns - Ein historischer Roman. Maria Helleberg

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Der Pflug des Zorns - Ein historischer Roman - Maria Helleberg страница 3

Автор:
Серия:
Издательство:
Der Pflug des Zorns - Ein historischer Roman - Maria Helleberg

Скачать книгу

Welt zur Kathedrale.

      Von dem ganzen gelehrten heillosen Durcheinander, wie der Kanzler seine Lektüre nannte, fand nur Franziskus Widerhall. Es sah aus, als habe er seinen rechten Platz gefunden. Mit seinen dünnen Armen, schmächtigen Schultern, seinem unterentwickelten Körper, den unzureichenden Kräften und der verringerten Seh- und Hörkraft würde er schlecht für das Schicksal gerüstet sein, das ihm zugedacht war. Aber als Mönch konnte er den ganzen Tag mit dem verbringen, was er konnte: Holzfiguren schnitzen und Bücher abschreiben. Lindö konnte er als Erbe an seine jüngere Schwester gehen lassen; auf diese Weise gab er Märta eine bessere Mitgift, sicherte ihr vielleicht sogar eine gute Ehe.

      Er wollte seine Pflegeeltern fragen, sobald er zu deren Hochzeit nach Hause kam. Wenn schon nicht andere, dann müßten doch sie ihn verstehen können: daß er, wenn er schrieb, mit der Welt im Einklang war und den großen Zusammenhang bestätigte, den Franziskus entdeckt und beschrieben hatte. Gunnar Ulfsson schrieb auf Kalbsleder mit einer Schwanenfeder, die er sich selbst zugeschnitten hatte, die Tinte war ein Extrakt aus Brombeeren. Alles hatte seine Ordnung: Das Stundenglas wurde mit behutsamen Händen umgedreht, das kleine Licht auf dem Lesepult regelmäßig ausgewechselt. Selbst die runden, dicken Glasstücke, die Bruder Nikulaus aus Frankreich mitgebracht hatte (und die man Glausaugen nannte), waren wie von Franziskus vorhergesehen und gesegnet.

      Ruhe, Beherrschung und Nach-innen-gewandt-Sein. Eine Welt ohne harte Stimmen.

      Er las die Anmerkungen zum ›Gebet an die Sonne‹ und beachtete kaum den jungen Mann, den er überhaupt noch nie beim Kanzler gesehen hatte, der nun aber schon mehrere Stunden lang in einer Ecke des Raumes saß und offensichtlich geduldig wartete. Als Gunnar mit dem Lesen fertig war und das Buch zur Seite legte, erhob sich der Gast und begrüßte ihn. Ein paar Tage zuvor, als Gunnars Messer auf den Boden gefallen war, hatte Erik Månsson es unter einem dreckigen Schaffell gefunden. Sie hatten einander begrüßt und sich mit Namen vorgestellt, entdeckt, daß sie weitläufig verwandt waren, Eriks Mutter mit dem Vater von Gunnars Pflegevater verheiratet war, oder wie auch immer das zusammenhing. Gunnar wußte so gut wie gar nichts von seiner Familie, hatte noch nie etwas von Erik, dessen verstorbenem Vater Måns oder seiner wiederverheirateten Mutter gehört. Wunderte sich ein wenig darüber, daß zwei so betagte Menschen auf die Idee kamen, eine neue Ehe einzugehen, erfuhr aber von Erik, daß das durchaus üblich sei.

      Erik war mehr als schlank; er war spindeldürr und dennoch von vorteilhaftem Aussehen. Feingliedrig und schmal an Hüften und Schultern. Sein Gesicht glich dem eines Mädchens, mit glänzendem, goldenem, dünnem Haar, das ihm bis auf die kantigen Schultern hinunterhing. Lange, weiße Wimpern, blaugeäderte Schläfen, der gespannte Bogen des Nackens, dessen leichte Rundung.

      Erik stand ihm geduldig gegenüber, die rechte Hand um das linke Handgelenk geschlossen, und das ganze Gewicht auf einem Bein ruhend, den rechten Fuß etwas vorgeschoben, ein Bild höfischen Benehmens.

      – Du bist etwas blaß von dem ganzen Klosterstaub, den sie über dich verteilt haben, sagte Erik und lächelte, so daß die kleinen, spitzen Mausezähne zum Vorschein kamen. – Würde es dir nicht guttun, den Staub mal aus den Haaren gepustet zu kriegen? Ein bißchen frische Luft in die Nase – heute ist Elchjagd – du kannst morgen weiterlesen, die Bücher laufen nicht so schnell wie der Elchbulle!

      Er hatte das herausfordernd gesagt, aber nicht verletzend. Es interessierte ihn nicht das geringste, ob Gunnar mit auf Jagd ging oder nicht. Und Gunnar war nicht klar, was er von dem Vorschlag halten sollte. Soviel wußte er jedoch: Verließ er sein Versteck, in dem er sich zwischen den Büchern wohl und geborgen fühlte, würde es schwer sein, dahin zurückzukehren. Es hieß entweder ja, und damit Anerkennung durch die Gleichaltrigen – oder nein, gleichbedeutend mit Verachtung. Und er wußte nicht, ob diese Sache die Wahl wert war.

      Er bereute schon, kaum daß er zugesagt hatte – und sah den schwachen Zug von Erleichterung und Freude, der über Eriks Gesicht glitt.

      Aus der Elchjagd wurde nichts. Dafür tranken sie miteinander. Tranken heftig, verbissen, geradezu selbstzerstörerisch. Gunnar versuchte, dem dahinplätschernden Gerede seines neuen Freundes zu lauschen; beschwichtigte aufkommende Zweifel, indem er sich einredete, er statte nur einen zufälligen Besuch in einer anderen Welt ab.

      Später in der Nacht, als sie wirklich betrunken waren, fingen einige Streit an; sie prügelten einander und wälzten sich auf dem Fußboden in Seen von vergossenem Bier und kleistriger Asche. Das Bier schwappte aus den Krügen, ein langer, glitzernder Schwall lauwarmer Flüssigkeit. Gunnar saß wie gelähmt da, beobachtete die anderen und sehnte sich nach Ruhe.

      Als sie in den Burghof gelangten, war um sie herum kalte, pechschwarze Nacht. Gunnar hatte nicht einmal mehr sein Überzeug mitnehmen können. Erik wirkte ein wenig nüchterner, an ihn hielt er sich also – sie schleppten sich in einer Reihe vorwärts, den Arm jeweils um den Hals der anderen gelegt. Eine lärmende, wackelnde Kette, die schwankte und zerbrach, sobald jemand in die Knie ging.

      Gunnar stolperte und taumelte unsicher vorwärts, Schritt für Schritt, hatte das Gefühl, einen Fuß verloren zu haben, konnte nicht sehen, ob er den Boden berührte. Die Kälte biß im Gesicht, ging durch die Kleidung hindurch. Obwohl es sein größter Wunsch war, so konnte er doch nicht diesem dumpfen, glasigen Rausch entkommen.

      Eine Rettung zeigte sich in der wirklichen Welt: ein Baum, gegen den er lief und um den er die Arme schlang. Gunnar blieb stehen, horchte auf seinen rasenden Puls und ließ die klammen Hände verwundert über die fühlbar krustige Rinde der Birke wandern.

      Der Geruch von Schlamm und nassem Gras drang in seine Nase. Die Magenmuskeln zogen sich zusammen, er hatte den Geschmack bitterer Galle auf der Zunge. Aber er konnte wieder sehen, und das war doch immerhin ein Fortschritt.

      Die anderen saßen auf Bänken um ein offenes Feuer herum. Soweit er erkennen konnte, waren auch Mädchen dabei. Zwei von ihnen sangen, eine andere spielte unbeholfen auf einer Laute. Die anderen Mädchen saßen bei den jungen Männern auf dem Schoß, zupften sie an den Haaren oder kabbelten sich kreischend. Eines der Mädchen ließ seine schweren Brüste nackt aus dem Kleid hängen. Nicht, daß sie besonders hübsch waren – er verstand nicht, warum sie sie unbedingt zeigen wollte.

      Er setzte sich so hin, daß er nicht auf die Brüste sehen mußte, und bemühte sich, wach zu bleiben. Aber er mußte sich immerzu selbst daran erinnern, warum er das wollte – es war fast zuviel, ab und zu wurde ihm vor Erschöpfung schwindelig. Irgendwo im Nebelgebräu des Moores gab es einen Namen für diese Art von Mädchen, aber er konnte sich höchstens an den Ausdruck Elfen erinnern.

      Und dann torkelte er an der Seite eines dieser Mädchen durch die Nacht. Endlich gelangten sie zwischen abgestorben wirkenden, gestutzten Hecken des Gartens hinein in die warme Dunkelheit eines Hauses. Es roch abgestanden und muffig, aber es war herrlich warm. Sie wollte, daß Gunnar die Leiter hinauf auf den Boden kam; aber einer seiner Füße machte ihm einen Strich durch die Rechnung, verfehlte die Sprosse, so daß er fiel, die Leiter ebenfalls. Er zog die Frau mit sich, weil er sich an ihrem Kleid festhielt.

      Sie roch ebenfalls süßlich, trocken und muffig; sie lag schwer auf seinen Beinen, deshalb schob er sie freundlich zur Seite, setzte sich auf die Knie und fummelte an seinem Gürtel herum, ohne recht zu wissen, was er tat. Gürtel, Schwert und Beine waren ineinander verwickelt. Er kicherte und ließ sich wieder auf den Rücken fallen und starrte schwindelig hinauf in den schwarzen Himmel und zu ein paar Sternen. Sie half ihm, so schien es: nahm die Lederbörse vom Gürtel und leerte sie in ihre Hand. Drehte seinen Kopf mit harten Händen und rückte sein Gesicht gegen ihren Hals, wozu das auch immer gut sein mochte. Aber sie war dünn, magerer als er selbst, magerer auch als Erik. Die Haut mit fettiger Salbe eingeschmiert – der Geruch ging nur bis zum Rande des Kinns, am Hals war sie verschwitzt und schmutzig, und ihre Haut schmeckte säuerlich und salzig.

Скачать книгу