James Bond 16: Kernschmelze. John Gardner
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In Bonds Dienststelle wurden sie stets scherzhaft als »die Opposition« bezeichnet, und es hatte schon immer eine scharfe Rivalität zwischen den beiden Organisationen bestanden: eine Rivalität, die manchmal zu folgenschweren Missverständnissen oder sogar offener Feindschaft führte.
Es war zweifellos äußerst ungewöhnlich, dass die Leiter »der Opposition« zu M kamen, der sie ohnehin regelmäßig sah – mindestens einmal die Woche bei einem Treffen des vereinten Geheimdienstkomitees.
M bedeutete Bond, auf einem ledernen Stuhl Platz zu nehmen, und schaute dann – ein wenig zu freundlich, fand Bond – zuerst seine beiden Besucher und dann wieder Bond an. »Unsere Freunde vom MI5 haben ein kleines Problem, Commander«, begann er, und Bond bemerkte, dass M ihn mit fast schon militärischer Korrektheit behandelte. »Es handelt sich um eine interessante Situation, und ich habe das Gefühl, dass Sie dabei behilflich sein könnten, besonders da alle Anzeichen darauf hindeuten, dass sich die Sache aus dem Zuständigkeitsbereich des MI5 heraus- und in unseren Bereich hineinbewegt.« Er klopfte seine Pfeife in dem kupfernen Aschenbecher auf seinem Schreibtisch aus. Bond fiel jetzt erst auf, dass direkt vor seinem Vorgesetzten eine Aktenmappe lag. Sie war dick und mit den roten Symbolen versehen, die für die höchste Geheimhaltungsstufe standen. Zwei kleine Kreise in der oberen rechten Ecke der weißen Bindung wiesen darauf hin, dass der Inhalt der Mappe sowohl die Verbindungen zu Europa als auch die zum Nahen Osten betraf. Auf einem kleinen Aufkleber prangten außerdem die Worte, die Bond problemlos kopfüber lesen konnte: »Nicht für Bruderschaft«. Das bedeutete, dass die Informationen in der Akte nicht an den amerikanischen Geheimdienst weitergegeben werden durften.
Das bloße Vorhandensein der Akte genügte, um Bond in Alarmbereitschaft zu versetzen. M hatte sie für diese Art von Besprechung zweifellos extra direkt vom gelagerten Mikrofilm vergrößern und fotokopieren lassen. Die Papiere würden vernichtet werden, sobald die Betroffenen sie gelesen hatten.
»Ich glaube«, sagte M mit Blick auf den Generaldirektor des MI5, »dass es am besten wäre, wenn Sie beide Commander Bond auf den neuesten Stand bringen würden. Dann können wir die Angelegenheit übernehmen.«
Sir Richard Duggan nickte und lehnte sich vor, um seine Aktentasche zu öffnen. Er holte eine Aktenmappe heraus und legte ein mattes, zwanzig mal fünfundzwanzig Zentimeter großes Foto vor Bond auf den Tisch. »Kennen Sie dieses Gesicht?«, fragte er.
Bond nickte. »Franco – für die Presse, die Öffentlichkeit und die meisten von uns. Codename Foxtrott für die Leute aus der Branche, also uns, die GSG 9, Gigene, Trupp R, Blaues Licht, C 11 und C 13.« Bond bezog sich auf die deutschen, französischen, italienischen und amerikanischen Antiterroreinheiten und die Abteilungen C 11 und C 13 von Scotland Yard, die oft eng mit der Spezialabteilung zusammenarbeiteten (C 11 stellte Personal für die Antiterroreinheit in Zusammenarbeit mit C 1).
Der Leiter des MI5 wollte Bond allerdings nicht so leicht davonkommen lassen. Ob der Commander sonst noch etwas über Codename Foxtrott – Franco wisse?
Bond nickte erneut. »Natürlich. Er ist ein internationaler Terrorist. Er steht auf der Fahndungsliste der meisten europäischen Länder und auch auf denen einiger Länder im Nahen Osten. Ein Gesuch verlangt, dass er in den Vereinigten Staaten festgehalten wird, obwohl er unseres Wissens bisher nie in oder aus ihnen operiert hat. Sein vollständiger Name lautet Franco Oliveiro Quesocriado, er wurde 1948 in Madrid geboren und ist gemischter Abstammung – sein Vater war Spanier, seine Mutter Engländerin. Ich glaube, sie hatte einen ganz gewöhnlichen Namen, wie Jones, Smith oder Evans …«
»Tatsächlich lautete ihr Name Leonard«, sagte der stellvertretende Deputy Commissioner Ross ruhig. »Mary Leonard.«
»Tut mir leid.« Bond schenkte ihm ein Lächeln, und der Polizist erwiderte es. Er wirkte wie ein moderner Gesetzeshüter, fand Bond. Zweifellos einer von denen mit Universitätsabschluss – ruhig, mit einer tief in den Augen verborgenen Wachsamkeit und der Ausstrahlung einer gespannten Sprungfeder, die nur durch Vorsicht und Gelassenheit zurückgehalten wurde. Bond vermutete umgehend, dass er sich als sehr zäh und gefährlich herausstellen würde, wenn man ihn reizte.
Er wandte sich wieder an Sir Richard Duggan und fragte ihn, ob er fortfahren solle.
»Natürlich.« Richard Duggan war von einem ganz anderen Schlag, und Bond erkannte seine Herkunft sofort – das war schließlich Teil seiner Arbeit. Duggan war ein altmodischer Mitarbeiter des Innenministeriums. Seine Ausbildung hatte er in Eton und Oxford erhalten, dann folgte eine Karriere in der Politik, die nur von kurzer Dauer war, bis ihn schließlich das Innenministerium wegschnappte. Duggan war groß, schlank und gut aussehend, hatte dichtes helles Haar, von dem seine Feinde behaupteten, dass es gefärbt war, und erfüllte damit auch optisch alle Erwartungen, die man an einen jungen, reichen Befehlshaber in einer leitenden Position stellte. Bond wusste allerdings, dass diese Jungendlichkeit eine Illusion war und sich nur auf eine dem Glück geschuldete gute Gesichtsknochenstruktur zurückführen ließ.
Während der Leiter des MI5 sein »Natürlich« künstlich in die Länge zog, fing Bonds Blick kurz den von M auf, und er entdeckte darin einen winzigen Funken aufkeimender Belustigung. Sir Richard zählte nicht zu Ms Lieblingspersonen.
Bond zuckte mit den Schultern. »Franco«, fuhr er fort, »erregte unsere Aufmerksamkeit damals zum ersten Mal in Verbindung mit der Entführung zweier britischer Passagierflugzeuge – die Fluglinie hieß damals noch BOAC – in den späten 1960ern. Er scheint keine direkten politischen Zugehörigkeiten zu haben, und hat als Planer agiert, der manchmal an terroristischen Handlungen teilnimmt. In dieser Funktion war er für Gruppierungen wie den ehemaligen Baader-Meinhof-Komplex tätig und steht immer noch mit der sogenannten Roten Armee Fraktion in Verbindung. Er hat Kontakte zur PLO und zur IRA und einem ganzen Netzwerk aus Terroristengruppen.« Bond holte sein Zigarettenetui hervor, schaute zu M, um sich die Erlaubnis zum Rauchen einzuholen, und erhielt ein knappes Nicken.
»Man könnte ihn wohl am besten als Antikapitalisten beschreiben.« Bond zündete seine Zigarette an und ließ ein schnelles kleines Lächeln aufblitzen. »Das Paradoxe daran war immer, dass er für einen Antikapitalisten enorm wohlhabend zu sein scheint. Es gibt Beweise, dass er die Waffen, die bei zahlreichen terroristischen Handlungen zum Einsatz kamen, persönlich bezahlt und zur Verfügung gestellt hat. Er hat zweifellos Morde begangen und steht mit zwei politischen Entführungen in Verbindung – ganz zu schweigen von den Menschen, die bei von ihm geplanten Bombenattentaten ums Leben kamen. Er ist ein sehr gefährlicher und dringend gesuchter Mann, Sir Richard.«
Sowohl Duggan als auch Ross nickten zustimmend, und Ross murmelte etwas darüber, dass Bond sich bestens auskannte. Duggan tat seine Meinung etwas lauter kund und sagte, dass Bond diesen Mann ruhig noch ein wenig besser kennenlernen könne. Dann griff er wieder in seine Aktentasche und zog fünf weitere Mattfotografien heraus, die er in einer Reihe auf Ms Schreibtisch direkt vor Bond legte. Auf jedem Foto klebte in der unteren rechten Ecke ein kleiner Zettel, auf dem ein Datum stand.
Bond schaute zuerst auf die Daten, bevor er sich die Fotos ansah. Das aktuellste stammte vom heutigen Tag. Die anderen vier waren mit 4. und 23. April sowie 12. und 25. Mai datiert. Die Bilder waren offensichtlich Vergrößerungen von einer Videoaufzeichnung, und er betrachtete sie alle mit größter Sorgfalt. Der darauf abgebildete Mann war auf jedem Foto anders gekleidet und sah auch sonst immer anders aus – dicklich in Jeans und Jeansjacke mit langem Haar und einem Schnurrbart; glatt rasiert, aber mit schulterlangem blondem Haar und einer dunklen Brille in einem zerknautschten Rollkragenpullover und einer Freizeithose; grauhaarig und hager in einem grellen Karoanzug, mit Kameras behangen und einem