James Bond 16: Kernschmelze. John Gardner
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Das Foto von heute zeigte ihn mit kurz geschorenem Haar, einem ordentlichen Bart und einer Brille. Er trug einen Geschäftsanzug.
Die Tarnungen waren alle ausgezeichnet, und doch bestand für Bond kein Zweifel. »Franco«, sagte er laut, als wäre es ein Befehl.
»Natürlich.« Duggan klang ein wenig gönnerhaft und wies als Nächstes darauf hin, dass alle Fotos am Flughafen Heathrow entstanden seien.
»Fünf Mal in den vergangenen drei Monaten, und er wurde nie einkassiert?« Bond runzelte die Stirn.
Der stellvertretende Deputy Commissioner David Ross holte tief Luft und übernahm die Erläuterung. Bei einer Besprechung früher in diesem Jahr sei entschieden worden, dass gewisse »meistgesuchte« Terroristen wie Franco unter strenger Beobachtung gehalten werden sollten, falls sie scheinbar allein ins Land einreisten. »Große Fische, kleine Fische«, sagte er und grinste, als würde das alles erklären. »Als die Überwachungsteams in Heathrow ihn im April entdeckten – das erste Mal –, gab es natürlich einen Großalarm.«
»Natürlich.« Bond ahmte Sir Richard Duggans gedehnte Sprechweise recht gut nach. M beschäftigte sich damit, seine Pfeife zu stopfen, drückte den Tabak behutsam in den Pfeifenkopf und hielt den Blick wohlweislich gesenkt.
Ross wirkte ein wenig beschämt. »Ich fürchte, wir haben ihn beim ersten Mal aus den Augen verloren. Wir waren nicht auf ihn vorbereitet. Er ist uns in London entwischt.«
In Bonds Erinnerung regte sich etwas. Anfang April war das Polizeiaufgebot erhöht worden, und er erinnerte sich an die eingehenden Telegramme mit den Anweisungen, besonders wachsam zu sein. Alle sollten verstärkt auf verdächtige Päckchen und Briefe achten, die Sicherheitsmaßnahmen in der Botschaft wurden verschärft – die übliche Vorgehensweise bei einem Roten Terroralarm, wie die Polizei und Sicherheitsdienste es nannten.
Ross redete weiter: »Wir haben alle seine möglichen Kontakte überprüft und gewartet. Niemand hat gesehen, wie er das Land verließ.«
»Aber natürlich tat er das«, warf Duggan ein.
Ross nickte. »Wie Sie hier alle sehen können, kehrte er später im April noch einmal zurück und kam wieder in Heathrow an. Dieses Mal fanden wir heraus, dass er London direkt wieder verließ und sich mit ziemlicher Sicherheit Richtung Norden bewegte.«
»Sie haben ihn wieder verloren«, stellte Bond fest. Ross nickte ruckartig, bevor er hinzufügte, dass sie beim ersten Besuch im Mai mehr Glück gehabt hätten.
»Wir folgten ihm bis nach Glasgow. Dann schüttelte er uns ab. Doch auf seiner letzten Reise behielten wir ihn die ganze Zeit über im Auge. Er kam schließlich in einem Dorf namens Murcaldy an, das sich von Applecross aus ein Stück weiter ins Landesinnere am Fuß der nordwestlichen Highlands befindet.«
»Und wir glauben zu wissen, wer ihn dorthin eingeladen hat«, verkündete Duggan lächelnd. »Genau wie wir uns sicher sind, dass er auch dieses Mal wieder an diesen Ort gereist ist. Ich habe zwei Beamte abgestellt, die ihn genauestens überwachen. Er kam heute Morgen aus Dublin an – und wir erhielten von dort einen Tipp. Er fuhr geradewegs nach King’s Cross und nahm den ersten Zug nach Edinburgh. Er wird sein Ziel mittlerweile erreicht haben. Wir erwarten jeden Moment weitere Berichte.«
Zwischen den vier Männern breitete sich Stille aus, die nur vom Kratzen von Ms Streichholz unterbrochen wurde, als er seine Pfeife anzündete. Bond sprach schließlich als Erster. »Und er besucht …?« Er ließ die Frage in der Luft hängen wie Ms Pfeifenrauch.
Duggan räusperte sich. »Der Großteil des Landes, einschließlich des Dorfes Murcaldy befindet sich im Besitz einer einzigen Familie – den Muriks. Seit mindestens drei Jahrhunderten, vermutlich länger, sind die Muriks die Lairds von Murcaldy. Es sind fast schon feudale Zustände. Murik Castle, das im sechzehnten Jahrhundert erbaut wurde, wurde im Laufe der Jahre oft modernisiert. Und dann gibt es noch die Ländereien der Muriks – Bauernhöfe sowie Jagd- und Fischgründe. Der aktuelle Laird ist außerdem eine Berühmtheit auf anderen Gebieten – Dr. Anton Murik, Leiter diverser Firmen und ein ebenso angesehener wie exzentrischer Kernphysiker.«
»Er trat erst kürzlich aufgrund irgendwelcher Unstimmigkeiten aus der internationalen Forschungskommission für Atomenergie aus«, fügte Ross hinzu. »Und wie Sie sehen werden, gibt es ernsthafte Zweifel bezüglich seines Anspruchs auf den Titel des Lairds von Murcaldy.«
Bond lachte. »Tja, Anton ist nicht gerade ein bekannter schottischer Name. Aber wo komme ich ins Spiel?« Er hatte bereits eine recht gute Vorstellung, aber es hatte keinen Zweck, die Sache zu überstürzen.
Duggans Gesichtsausdruck veränderte sich nicht: Die steinernen, gut aussehenden Züge wirkten bei genauerem Hinsehen makelbehaftet. Als er erneut sprach, war die übliche Gewandtheit von ihm abgefallen. »Franco hat Dr. Murik mittlerweile mit ziemlicher Sicherheit vier Besuche abgestattet. Dies wird sein fünfter sein. Ein internationaler Terrorist und ein Kernphysiker von nicht unerheblicher Bedeutung: Wenn man beides addiert, erhält man eine durchaus alarmierende Situation. Bei jeder Gelegenheit hat Franco das Land wieder verlassen, vermutlich – und hier können wir nur raten – über einen schottischen Hafen oder Flughafen. Wir bauen auf die Möglichkeit, dass sein Geschäft mit Murik noch ein wenig länger braucht, um zu einem Abschluss zu kommen, aber sobald er Großbritannien verlässt, sind uns die Hände gebunden. Wir sind heute hier, um Sie zu bitten, uns dabei zu helfen, seine Bewegungen außerhalb des Landes zu verfolgen.«
Nun war es an Bond, zu nicken. »Und Sie wollen, dass ich mal kurz nach Schottland düse, Kontakt herstelle und ihm aus dem Land folge?«
Duggan zögerte. »Nur wenn Ihnen das … ähm … passt. Aber ich glaube wirklich nicht, dass uns für diese Reise noch viel Zeit bleibt. Anton Murik besitzt eine Reihe Rennpferde, die er in England trainieren lässt. Zwei davon laufen am kommenden Wochenende in Ascot – eins sogar für den Gold Cup. Das ist abgesehen von der Kernphysik seine einzige Leidenschaft. Franco wird entweder Mitte der Woche abreisen oder auf dem Schloss auf Muriks Rückkehr aus Ascot warten.«
Bond streckte seine Beine aus und dachte nach. Falls es tatsächlich eine bösartige Verbindung zwischen Franco und Murik gab, deutete das Timing darauf hin, dass dies nicht Francos letzter Besuch sein würde. Aber man konnte nie wissen.
Duggan war aufgestanden. »Ich habe alle Informationen an M weitergeleitet.« Er deutete auf die Aktenmappe auf dem Schreibtisch – die Bond für eins von Ms Dossiers gehalten hatte –, während er die Fotos einsammelte und sie in seiner Aktentasche verstaute. »Er weiß auch, wie man meine Leute im Einsatz kontaktieren kann und all das. Wir sind hergekommen, um Sie im Interesse des Landes um Unterstützung zu bitten. Es wird Zeit, an einem Strang zu ziehen, und ich muss Ihnen nun die letzte Entscheidung überlassen.«
M paffte seine Pfeife. »Ich werde Commander Bond über alles in Kenntnis setzen«, sagte er freundlich. »Ich melde mich später am Abend bei Ihnen, Duggan. Wir werden tun, was wir können – in jedermanns Interesse.«
Die beiden Polizisten verabschiedeten sich recht herzlich von M und Bond, und sobald sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, ergriff M das Wort. »Was halten Sie davon, 007?«
James Bonds Herz machte einen Sprung und er spürte, wie eine neue Dringlichkeit durch seine Venen raste. Es war lange her, dass M ihn mit 007 angesprochen hatte, und es bedeutete, dass er durchaus schon bald wieder zu einer Reise ins wahre Unbekannte aufbrechen mochte. Er konnte die Möglichkeiten beinahe riechen.
»Also,