Der Reiter auf dem Regenbogen. Georg Engel

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Der Reiter auf dem Regenbogen - Georg Engel страница 2

Автор:
Серия:
Издательство:
Der Reiter auf dem Regenbogen - Georg Engel

Скачать книгу

      Und die Frau Kapitän Petersen setzte mit ihrer tiefen, beinahe männlichen Stimme hinzu: „Du weisst doch, Betti, worum es sich übermorgen für Gust handelt.“

      „Eben darum,“ entgegnete Fräulein Betti strafend, wobei sie, bereits sitzend, ihre Gestalt straff aufrichtete, um an den beiden von oben herab zu beobachten, ob ihr auch genügend Respekt entgegengebracht würde.

      Dieser vornehme Hochmut war die markanteste Seite von Tante Betti. Als die jüngste von sechs Schwestern, die vor ihr verheiratet werden mussten, in dem alten Schifferhause zurückgeblieben, suchte sie jetzt ihr altes Jungferntum und ihre fünfzig Jahre durch eine Fülle von Ehrungen zu vergolden, die sie gebieterisch von der nachwachsenden Familie einforderte. Dabei scheute sie sich nicht im geringsten, einen strahlenden Mantel von Ovationen um sich herum zu dichten, die ihr angeblich von wildfremden Personen dargebracht worden sein sollten, hervorragenden Menschen, die eben Bettis inneren Wert, ihre noch blühende Schönheit, ihren Verstand, besonders aber ihr vornehmes Wesen viel besser zu schätzen wussten, als die verstockten Nächsten des späten Fräuleins.

      Schliesslich redete sich Betti derartig in diese Vorstellungen hinein, bis sie zuletzt in dem sie beglückenden Wahn lebte, ihre Person beschäftige die ganze Stadt.

      „Ja, liebe Marie,“ begann der Besuch von neuem, „ich wäre ja heute garnicht zu euch gekommen, denn ich war, wie du dir wohl denken kannst, diesen Abend wiederum zweimal eingeladen. Sowohl bei Konsul Wiek, sowie bei Frau Postdirektor Gutknecht. Aber ich hielt es für meine Pflicht, vor einer so ernsten Entscheidung ernsthaft mit euch zu besprechen, wie ihr euch nun eigentlich euren Lebensplan zurecht gelegt habt? — Ihr besitzt doch hoffentlich einen Lebensplan?“

      Hier streckte Tante Betti die rechte Hand aus, als erwarte sie zuversichtlich, die beiden müssten ihr nun ein geschriebenes Konzept überreichen. Und dann sagte sie noch ein paarmal laut vor sich hin: „Lebensplan.“ Denn dieses Wort hielt sie für ganz besonders vornehm.

      „Lebensplan?“

      Ach Gott — die dicke Kapitänin sah zu ihrem schmächtigen Sohne hinüber, der sich vor der Wucht des Wortes verlegen den rötlichen Haarbusch kraute, und dann lächelten die beiden befangen einander an. Ach Gott, sie hatten sich ja eben erst ihren Lebensplan zurecht gelegt. Und wie hatten sie an ihm geschafft und gebaut. Das gotische Haus und die grosse Bibliothek und das grüne Damastzimmer, das aber geschmacklos war, weil es eigentlich rotbraun sein musste. Bedeutete das nicht auch einen Lebensplan? Waren das nicht wunderschöne Wege, mit weissem Kies bestreut? Und führten sie nicht durch verschwiegene Gärten der Zukunft, in denen die Blumen auf den Beeten sangen und die Knospen an den Büschen als bunte Feuerchen brannten?

      O, wie schön.

      Und die beiden lächelten sich an. Und vergassen wieder den Oktoberregen und das hässliche Wort. — — „Lebensplan“ sprach Tante Betti zum letztenmal unwillig dazwischen.

      Da war es wieder.

      Die Frau Kapitänin raffte sich zusammen. Deutlich hatte sie beobachtet, wie ihr Gust vor dieser nüchternen Lebensforderung zusammengeschrocken war. Nein, sie als Mutter durfte ihren Liebling unmöglich so grausam behandeln lassen.

      „Meine liebe Betti,“ sprach sie unsicher, indem sie unaufhörlich auf der Tischdecke herumstrich, als gewähre ihr dies eine kleine Unterstützung, „du weisst, was mein Gust übermorgen vorhat. Er schreibt seinen deutschen Aufsatz. Nicht wahr?“

      „Gut,“ schob Betti billigend dazwischen.

      „Und sieh, da halte ich es nicht für nützlich, den armen Jungen vorher durch praktische Fragen abzulenken. Das könnte ihn ängstlich machen. Und überhaupt, die Jugend braucht ihre Träume.“

      „Was?“ forschte Betti erstaunt, als ob sie nicht recht verstanden hätte. „Sagtest du Träume?“

      Allein Frau Miete antwortete nicht mehr. Sie sowohl, wie Gust starrten auf den Fussboden, als wären sie jetzt beide auf einem Verbrechen ertappt worden. Ihnen war es, als griffe das Leben in diesem Augenblick mit seiner Polizeifaust nach ihnen und brächte sie zur Besinnung.

      Tante Betti stand auf. Ihre Röcke rauschten Zorn. Und sie schüttelte sich, dass die Regentropfen gegen die Lampe fuhren.

      „Du bist wirklich nicht recht klug,“ brachte sie hochfahrend hervor und zupfte an ihren Handschuhen. „Anstatt Gust auf das Praktische und immer nur auf das Praktische hinzuweisen, redest du ihm solche Dinge ein. — So was —“ wiederholte sie noch einmal, wobei sie sich wiederum schüttelte. „Die ganze Welt ringsherum will Gott sei Dank praktisch werden, und ihr denkt nur an Märchen.“

      „Betti,“ warf die Mutter dazwischen, und ihre rauhe Stimme grollte laut, obwohl ihre Züge ängstlich und demütig blieben; eine Kontrastwirkung, die beinahe zum Lachen reizte. „Denk’ doch auch an Gust.“

      „Nun ja, ich glaube, ich denke an ihn. Und — an dich auch,“ wollte Betti fortfahren. Jedoch sie bezwang sich, und nachdem sie sich gesetzt hatte, sah sie Mutter und Sohn noch etwas schärfer an, als hätte sie noch eine ganz besondere Überraschung vorbereitet. Und dies bewahrheitete sich wirklich.

      „Ich komme heute nämlich nicht mit leeren Händen,“ hob sie langsam und mit solch schwerer Feierlichkeit an, dass ihre beiden Hörer jetzt ganz ängstlich auf sie hinstarrten, in offenster Spannung, welches merkwürdige Schicksal Tante Betti wohl zwischen ihren behandschuhten Fingern trüge.

      Allein gerade diese Angst und diese Spannung behagten Betti ungemein. Das war die Atmosphäre, deren sie bedurfte. Ihr wurde in diesem Augenblick wohl wie den beweglichen Goldfischchen, wenn sie frisches Wasser erhalten.

      „Ja,“ sagte sie und warf den Kopf hintenüber, „vor einer so ernsthaften Entscheidung komme ich natürlich nicht mit leeren Händen. Und weil wir alle einen gewissen Anteil an Gust haben — wir wollen aber darauf nicht näher eingehen — und da dir Starks auch noch etwas Wichtiges sagen wollen, liebe Marie, so habe ich Adolf und Emma zu einer Familienberatung hierher gebeten.

      „Heute?“ rief die Kapitänin ganz steuerlos und streckte abwehrend die Hände vor.

      „Ach, Tante, gerade heute?“ wagte auch Gust dazwischen zu werfen und kaute schwer bekümmert an seinen Nägeln.

      „Nimm die Finger aus dem Munde, Gust,“ befahl Tante Betti ungerührt, „das schickt sich nicht für einen jungen Mann, der das Abi—tu—rientenexamen machen will. Und ausserdem, mein lieber Junge, eine Familienberatung ist nämlich eine Beratung, in der man — —“

      „Herein,“ rief Gust, denn es klopfte, — und durch die geöffnete Tür sah man in dem rotgepflasterten Hausflur und im Scheine einer kleinen Petroleumlampe, wie drei Ankömmlinge ihre Mäntel und Hüte an einen Rechen zu hängen sich bemühten.

      Dann traten sie ein.

      „Ach,“ sagte die Voranschreitende, in deren straffem Gesicht trotz ihrer Jahre auch das schärfste Auge kein Fältchen zu entdecken vermochte, und zwar aus dem Grunde, weil die bedeckende Haut zu kurz geraten war. Dadurch erhielt das ganze Antlitz etwas Gespanntes, Lauerndes, Papierenes; und auf diesem Papier standen deutlich zwei Worte geschrieben: Geiz und Habsucht.

      „Ach,“ sagte Tante Emma, die älteste Schwägerin der Kapitänin, als sie der Rotweinflasche auf dem Tische ansichtig geworden war, zu ihrem Manne, einem graubärtigen Riesen, der auf seiner grünen Steueruniform das eiserne Kreuz trug, „kuck, Stark, Marie setzt uns gewiss noch etwas zum Essen vor, denn der lange

Скачать книгу