Der Reiter auf dem Regenbogen. Georg Engel

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Der Reiter auf dem Regenbogen - Georg Engel

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Schwägerin aus, „dir monatlich 15 Taler zu offerieren. Nein, du brauchst dich nicht zu bedanken,“ fügte sie stolz hinzu.

      Allein die Kapitänin bedankte sich nicht.

      Die zarten Hände hielt sie vor das Gesicht gepresst und schluchzte laut und bitterlich auf.

      Wer konnte wissen, ob es aus Dankbarkeit oder vor Qual geschah?

      Wer?

      Auch Gust ahnte es nur.

      Aber er starrte wie gebannt nach Tante Betti auf ihrem königlichen Stuhle hin.

      Im Strahl der grünen Lampe erschien ihm ihr Bild ganz neu.

      Nein, nicht das herrliche Mädchen mit dem Glückshorn stieg durch die Tabakswolken von Vatting Stark zu ihm herunter; nein, ganz anders. Grüne Föhrenwälder taten sich vor ihm auf, und über einen braunen Nadelweg sauste ein Faunenweib auf ihrem Eselchen heran. Hässlich, grotesk, aber mit einem gütigen Lachen um den breiten Mund. Und aus ihren braunen Händen rieselten Goldstücke herab, hunderte, tausende — unzählig — lauter Goldstücke, die wie gelbe Marienblumen auf dem Waldboden standen.

      „Ach, Tante,“ stammelte er hoch beglückt.

      „Komm her, Gust,“ sagte Tante Betti gerührt und pätschelte ihm vornehm auf dem Kopf herum.

      „Und eine Stunde habe ich dir auch verschafft, mein Junge,“ setzte sie hinzu.

      — — Goldstücke —

      Goldstücke —

      Die Hufe des Esels klirrten auf den gelben Blumen.

      „Wo? Tante Betti.“

      „Bei Kapitänleutnant Kräplin. Wenn du dein Examen gut bestanden, sollst du seine Tochter in den Dichtern unterrichten.“

      „Ach —“

      Diesmal war es eine ganz feine Musik, die Gust zu vernehmen glaubte. Leise Flöten klangen auf, dann begannen tausend wirre Geigen zu zwitschern, und plötzlich dröhnte tief und erhaben die Orgel der Marienkirche dazwischen, jener alten gotischen Kirche, wo er Martha das letztemal gesehen hatte.

      Durch das bunte Chorfenster war ein Sonnenstrahl auf ihre braunen Zöpfe geglitten.

      „Ach, Tante,“ stotterte er wieder, als wolle ihm das Herz zerspringen.

      Hinter ihm schluchzte die Mutter.

      Tante Betti pätschelte ihm noch immer die roten Haare. Dann jedoch gab sie ihm plötzlich ganz unvermittelt einen Klaps.

      „Du bist zu weich, Gust,“ urteilte sie abweisend. „Und nun geh ein bisschen auf die Strasse. Toni Stark wird ihre Eltern hier abholen. Ihr könnt beide draussen warten. Denn ich habe noch allerlei zu sagen, was du nicht zu hören brauchst. — Aber die Hauptsache bleibt: praktisch und ein Lebensplan. Und nun wollen wir in der Familienberatung fortfahren. — Bitte, Herr Winkelmann.“

      II.

      Draussen sprühte ein feiner Regen durch die Finsternis. Die Häuser der Strasse, wo Gust wohnte, lagen alle dem Fluss zugewandt; dumpf hörte man das nahe Plätschern, aber die Wasserfläche selbst vermochte Gust, als er jetzt auf den Damm trat, nicht zu erspähen.

      Denn tief und massig schoben sich die schwarzen Nebel vom Meere hinein, und wenn sie sich an den wenigen Hafenlaternen vorüberdrängten, in denen die kleinen Petroleumlämpchen so trübe brannten, dann schien es Gust, als ob ungeheuere, matt erleuchtete Trauerschleier die Strasse und die Stadt überziehen wollten.

      Er setzte sich auf die Bank unter dem Fenster, hinter welchem im Moment deutlich die feine Stimme des Herrn Winkelmann erkennbar wurde, und starrte jenseits des Flusses auf die weiten Wiesen hinüber, auf denen am Tage die Kühe der Ackerbürger zu weiden pflegten.

      Jetzt lagerte dort dicke Nacht.

      Unbeweglich und still lag sie da, die bedrückende Schwärze, und glotzte zu Gust hinüber. Sie sprach nicht, sie atmete nicht einmal, sie gab nicht den leisesten Ton von sich, wesenlos, eine meilenweite Höhle dehnte sie sich, als wüsste sie ganz genau, dass alles Leben doch einmal in sie hineinirren müsse.

      Gust fuhr sich durch das nebelnasse Haar und schauerte auf seiner Bank zusammen.

      Zum erstenmal überfiel den Jungen eine schneidende Angst.

      Die Angst vor dem Leben.

      O, wie es sich in seinem Herzen zusammenkrampfte. Seit einer Stunde wusste er, dass das Leben kein Festzug mit seidenen Fahnen wäre, der sich jauchzend und singend durch die Strassen bewege.

      Die Menschen jubelten auch nicht auf den Balkons, keine weissgekleideten Mädchen würden Rosensträusse auf den Wanderer hinunterwerfen; nein, die Menschen sassen in ihren Stuben, rechnend an Lebensplänen und lange Zahlenreihen in ihre Bücher kritzelnd.

      Drinnen sprach Herr Winkelmann, und durch das weisse Rouleau hindurch machte sein Schatten eine deutliche Verneigung. Gust griff nach seiner Brust und wandte sich erschreckt von der unbeweglichen Finsternis ab, die mit kohlschwarzen Augen wartend zu ihm hinüberblickte.

      Dann schob er die Finger an den Mund, denn Tante Betti war nicht anwesend, und seine Gedanken ritten auf schwarzen Rossen weiter.

      Er hatte seine Mutter weinen sehen, nicht weinen, schluchzen, diese geliebte Frau, die all seine Kinderjahre hindurch gelacht hatte.

      Das schwarze Leben glotzte also auch seine Mutter an, und die liebe, dicke, starke Frau hatte, wie im Grauen, die lustigen Augen davor geschlossen und laut geschluchzt.

      „Herr Gott — nie wieder — nie — nie mehr.“

      Gust tat einen lauten Schwur und biss sich auf die Finger, dass er hätte schreien mögen.

      Man musste also das Leben besiegen. Niederreiten, totschlagen.

      „Ach, Gott sei Dank — Gott sei tausend Dank, dass er stets eine solch unbändige Kraft in sich gefühlt hatte.

      Körperkräfte wie Hammerschläge, und Geistesgewalten wie glühende Feuerströme.

      Ganz sicher, er würde das Leben vor sich niederwerfen.

      Es gab ja so viele Wege, nicht einen nur, wie die kleinbürgerliche Tante Betti meinte, sondern viele, viele. Und er kannte sie alle.

      Die Geisteswissenschaften.

      Jener wunderbare Mommsen. War er nicht auch ein armer Junge gewesen? Gust wusste es zwar nicht genau, doch er glaubte, dass es sich garnicht anders zugetragen haben könnte. Gewiss — gewiss. Wenn man, wie jener einzige Historiker, tief in das Leben verschollener Völker hinuntersteigen könnte, in dämmerschwarze Schächte, wo die Seelen der grossen Helden schwebten; und dann, die Schatten packen, greifen, ihnen das eigene rote Blut zu trinken geben, sie lebendig machen könnte. O, mit einer so rot brennenden Phantasie musste das ja so leicht zu fördern gehen.

      Aber wer sagte denn eigentlich, dass man durchaus ein Grübler bleiben musste?

      Wer?

      Nur

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