Karo König. Arno Alexander
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Karo König - Arno Alexander страница 3
Leichtfüßig lief sie durch den teppichbelegten Korridor und dann quer durch das große und elegante Gesellschaftszimmer. Dieser Saal war heute voll von Gästen, fast ausschließlich jungen Leuten in Noras Alter. Seit fünf Jahren, seit dem Tode ihrer Mutter war dies schon so. Beinahe allabendlich versammelte sich in dem gastfreien Hause eine bunte, lustige Gesellschaft, wobei es zwar sehr lärmend, aber dessenungeachtet auch immer sehr harmlos zuging. Hans Larsen gönnte seiner Tochter und einzigem Kinde jede nur erdenkliche Freude, und jeder Wunsch, den er ihr von den Augen ablesen konnte, war schon im Voraus erfüllt. Alles, was sie tat und unternahm, war ihm recht. Beschwerden der Nachbarn über nächtliche Ruhestörung, polizeilichen Strafmandaten für rücksichtsloses Autofahren, ja sogar dem wütenden Zetern und Schreien der Schneiderinnen und Hutmacherinnen, denen Nora wohl die Ware abnahm, sich aber nie um die Bezahlung dieser auch nur kümmerte — alledem begegnete Larsen stets mit demselben nachsichtig-liebenswürdigen Lächeln und stets mit derselben dick gefüllten Brieftasche. Zwei- oder dreimal war es vorgekommen, daß ältere Geschäftsfreunde ihm ernst und eindringlich das Sinnlose seiner Erziehungsmethoden klarzumachen versuchten. Auch diesen Vorhaltungen war Larsen mit demselben liebenswürdigen Lächeln entgegengetreten; nur schien es etwas wehmütiger und schuldbewußter als sonst. Genützt hatten die Vorhaltungen bestimmt nicht. Es blieb alles beim alten.
Abgesehen von einer gewissen Rücksichtslosigkeit und Verschwendungssucht, schien übrigens Noras Charakter unter diesen eigenartigen Erziehungsmethoden kaum gelitten zu haben. Ihr Benehmen war nie arrogant oder schnippisch, sondern stets durch eine ursprüngliche und zuweilen geradezu naive Natürlichkeit gekennzeichnet. Immer war sie bereit, auch den Wünschen und Neigungen ihrer Freunde und Freundinnen Rechnung zu tragen, und nie konnte man einen Unterschied in ihrem Wesen bemerken, ob sie nun mit ihrem Vetter, dem Grafen von Hayen, sprach, dessen Barvermögen auf einige hunderttausend Mark geschätzt wurde, oder aber sich mit dem jungen, hoffnungsfreudigen Reporter Elst unterhielt, dessen Einkommen genau 125 Mark monatlich betrug.
Nora klopfte leise an die Tür des Arbeitskabinetts ihres Vaters und trat auch sogleich ein. Hans Larsen saß an seinem Schreibtisch, hatte den Kopf in die Hände gestützt und die Augen geschlossen. Sein Gesicht drückte etwas Gequältes und Gespanntes aus.
„Vater, was ist dir?“ Besorgt war Nora an seinen Stuhl geeilt und umfaßte liebevoll seine Schultern. Einen Augenblick schien es, als wollte Larsen sich erschöpft gegen Noras Gestalt lehnen, doch gleich darauf stand er etwas hastig auf und drückte seiner Tochter einen flüchtigen Kuß auf die Stirn.
„Nichts, Kindchen! Was soll denn mit mir sein? Ich arbeite gerade!“
„Oh!“ machte Nora bedauernd. „Wenn ich das gewußt hätte … Nun habe ich dich gestört …“
„Macht nichts!“ Larsen lächelte müde und nachsichtig. „Die Gedanken kommen und gehen. Du hast sie verscheucht, aber sie werden schon wiederkommen.“ Er seufzte. „Ich wünschte, sie kämen nicht wieder!“
Nora verstand den Sinn dieser Worte nicht. Hans Larsen war Schriftsteller; oft genug hatte er ihr erklärt, wie wichtig gerade in diesem Beruf die Denkarbeit ist, und nun wünschte er, daß die Gedanken, die ihm Ruhm und Vermögen einbrachten, nicht wiederkommen möchten. Nora öffnete schon den Mund, um eine Frage zu stellen, als sie wieder deutlich den Ausdruck von Qual und Furcht im Gesicht ihres Vaters wahrnahm. Da unterdrückte sie jede Frage und forderte ihn energisch zum Gehen auf.
„Komm, Vater! Das Essen wird kalt. Komm nur! Es ist wieder eine ganze Menge Leute da!“
„So?“ Ein Freudenschimmer erhellte die Züge Larsens. „Hat sich mein Töchting gut amüsiert? Wer ist denn wieder alles da?“
„Ach“, plauderte Nora eifrig, indem sie mit ihrem Vater langsam nach den Gesellschaftsräumen ging, „da ist der kleine Elst — du weißt, der vom Berliner Tageblatt. Er ist wieder einmal sterblich verliebt! Diesmal eine ganz ernste Sache — sagt er! Aber das behauptet er ja immer. Dann — Inspektor O’Kelly, der heute ein bitterböses Gesicht macht. Er hat einen interessanten, neuen Fall — streng geheim zu halten! Der spukt ihm anscheinend dauernd im Kopf herum. Des weiteren sind erschienen: mein erlauchter Herr Vetter, der Graf von Hayen, ferner Assessor Mühlenthal, Erna, Agnes … Aber da siehst du sie ja alle schon vor dir!“
Während dieses Gespräches hatten die beiden den Salon erreicht. Larsen wurde mit Hallo empfangen und drückte lächelnd die vielen sich ihm entgegenstreckenden Hände.
„Sachte, sachte, Kinners!“ wehrte er ab. „Ihr reißt mich alten Mann ja noch um! Etwas mehr Maß in euren Freudenbezeugungen, wenn ich bitten darf! Und jetzt — los! Marsch ins Eßzimmer! An die Futternäpfe!“
Lachend und lärmend begab sich die junge Gesellschaft zu Tisch. Larsen nahm an dem einen Ende der Tafel Platz, ihm gegenüber saß Nora, die sich vergebens bemühte, die würdevolle Hausfrau zu spielen. Anton, das Faktotum des Hauses, lief mit den geschmackvoll garnierten Schüsseln hin und her und hatte alle Hände voll zu tun, um den ungeniert vorgebrachten Wünschen jedes einzelnen nachzukommen.
O’Kelly war ein häufiger Gast dieses Hauses. Er kannte den ungezwungenen, fast familiären Ton, der hier herrschte, zur Genüge. Es war heute nicht anders als sonst. Und gerade dieser Umstand, daß er hier keinerlei Veränderung vorfand, wunderte ihn, denn er erwartete für heute etwas Besonderes. Je alltäglicher sich das Leben und Treiben hier ausnahm, um so unerwarteter mußte dann allen dieses „Besondere“ kommen. Unerwarteter und gefährlicher … O’Kelly horchte auf. Es war ihm, als hätte er eben einige Worte gehört, die ihn instinktiv beunruhigten. Einen Augenblick saß er still da und versuchte die kurzen Worte in sich nachklingen zu lassen. Richtig! Jetzt fielen sie ihm ein … „Erwartet keine Antwort“ — so lauteten sie. Aber warum in aller Welt beunruhigte ihn das? Warum nur? Aha, jetzt wußte er auch dies! Es war eine Ideenverbindung, die sich in seinem Unterbewußtsein vollzogen hatte. Fast die gleichen Worte hatte er selbst vor einigen Stunden gesagt, als er den Brief des Karo König in der Hand hielt. Sein Unterbewußtsein brachte nach dem Klang der Worte zwei getrennte Ereignisse willkürlich miteinander in Verbindung. Vielleicht bestand aber doch ein Zusammenhang?
O’Kelly blickte rasch auf und sah gerade noch, wie Larsen mit einer achtlosen Gebärde einen Brief in seine Rocktasche steckte. Mit leisen Schritten entfernte sich ein Diener, der ein kleines silbernes Tablett in der Hand hielt.
Sofort war O’Kelly alles klar. Der Brief war von einem Dienstmann gebracht worden, und der Diener hatte Larsen erklärt, daß eine Antwort nicht erwartet würde. Der Schriftsteller hielt den Brief für so unwichtig, daß er das Lesen auf einen geeigneteren Zeitpunkt hinausschob … Doch nein — er schien sich eines anderen besonnen zu haben. O’Kelly war plötzlich die Aufmerksamkeit selbst.
Eine flüchtige Entschuldigung murmelnd, zog Larsen den Brief wieder aus der Rocktasche und öffnete ihn. Mit einem jähen Ruck sprang er auf.
Augenblicklich verstummte jedes Gespräch; aller Augen hingen erstaunt und betroffen an den schreckensbleichen Zügen des Hausherrn. In seinen Augen war ein unruhiges Flackern, auf der farblosen Stirn zeichnete sich, deutlich sichtbar, eine bläuliche Linie ab.
O’Kelly hatte sich zuerst gefaßt.
„Was ist geschehen?“ Mit einigen raschen Schritten war er an Larsens Seite geeilt.
„Lassen Sie mich! Lassen Sie mich!“ stieß jener heftig hervor. Er stand vornübergebeugt mit gesenktem Kopf da und stützte sich mit beiden Händen schwer auf den Tisch. Die Blässe begann aus seinem Gesicht zu schwinden. Grübelnd starrte er vor sich hin. Plötzlich rückte er den Teller mit dem noch unberührten Essen weit von sich, drehte sich kurz um und lief zur Tür