Karo König. Arno Alexander

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Karo König - Arno Alexander

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eine Weile mit schadenfrohem Lächeln die akrobatischen Leistungen des Alten; die meisten beachteten ihn aber gar nicht und gingen ruhig ihres Weges.

      Auch O’Kelly hätte ihn kaum weiter beachtet, obwohl es sogar für Groß-Berlin ein nicht ganz alltägliches Bild war. Doch war ihm ein sonderbarer Umstand aufgefallen; und wenn O’Kelly etwas auffiel, ließ er nicht eher locker, als bis er wußte, woran er war. Dieser betrunkene Alte bewegte sich nämlich trotz seines schwankenden Schrittes ziemlich rasch vorwärts. O’Kelly überlegte, daß er im Leben noch keinem schwer Angetrunkenen begegnet war, der es eilig gehabt hätte.

      Seine Gedanken wurden jäh unterbrochen. Der Alte war stehen geblieben, und als O’Kelly an ihm vorbeiging, packte er ihn plötzlich bei den Rockaufschlägen.

      „Tag, Herr … Herr …,“ brüllte er mit versoffener Stimme.

      Der Inspektor wollte sich unwillig losreißen, doch der andere hielt ihn mit ungeahnter Kraft fest.

      „O’Kelly,“ flüsterte er heiser. „Uns gegenüber verabschieden sich gerade zwei Männer. Dem, der nach rechts geht, folgen Sie unbemerkt. Kapiert?“ Als O’Kelly ihn noch immer mit verständnislosen Blicken anstarrte, fügte er zischend hinzu: „Idiot! Ich bin doch Link.“

      Kaum hatte er diese Worte hervorgestoßen, als er eine scharfe Wendung nach links machte, und in seinem schwankenden Schritt, ohne im geringsten auf die Trambahnen oder Autos zu achten, die Straße zu überqueren begann.

      Jetzt hatte O’Kelly begriffen. Er sah zwei einfach gekleidete Männer sich von einander trennen. Der eine nahm seinen Weg nach links, parallel dem angeblich Betrunkenen; der andere schritt rüstig in der entgegengesetzten Richtung aus. Unauffällig folgte O’Kelly diesem.

      Etwa eine halbe Stunde lang ging die Verfolgung ohne sonderliche Schwierigkeiten vonstatten. Der Weg führte durch lauter belebte Straßen; auch schien der Verfolgte sich sehr sicher zu fühlen, denn er sah sich kein einziges Mal um. Dann aber kamen sie in eine entlegenere Gegend und hier bedurfte es der ganzen Geschicklichkeit des Detektivs, um dem Manne ungesehen zu folgen.

      Vor den Ruinen eines abgebrochenen Hauses machte der Mann plötzlich halt, und O’Kelly hatte gerade noch Zeit, mit einem raschen Sprung im ersten besten Hauseingang zu verschwinden. Wie er richtig vermutet hatte, sah sich der Verfolgte jetzt vorsichtig nach allen Seiten um. Weit und breit war kein Mensch zu sehen.

      Durch einen schmalen Türspalt konnte O’Kelly seinen Mann genau beobachten. Jener stand unschlüssig da und schien zu überlegen. Dann aber machte er einige rasche Schritte und verschwand zwischen den Überresten des Häuserblocks.

      O’Kelly wartete. Er traute sich nicht vor, weil ihn der andere sonst gesehen hätte. Dieses aber wollte er unter allen Umständen vermeiden. Sicherlich würde der Mann auch bald wieder zum Vorschein kommen.

      Viertelstunde um Viertelstunde verrann, doch nichts rührte sich und der junge Kriminalbeamte wurde allmählich ungeduldig. Endlich entschloß er sich, nicht länger zu warten und näherte sich vorsichtig dem zerfallenen Haus. Genau an derselben Stelle, wo er den Mann hatte verschwinden sehen, kletterte er über eine etwa meterhohe Mauer und befand sich nun inmitten eines häßlichen, unordentlichen und schmutzigen Steinhaufens. Viel mehr war von dem abgebrochenen Hause nicht übriggeblieben.

      O’Kelly blickte suchend umher. Er konnte den ganzen Platz übersehen, auf dem ehemals ein Haus gestanden hatte; doch nirgends gewahrte er den Verfolgten. Mißmutig und verärgert wollte er bereits den Schauplatz seiner Niederlage verlassen, als er plötzlich bemerkte, wie sich eine mächtige Steinplatte zu seinen Füßen bewegte.

      Wie der Blitz war der Detektiv zur Seite gesprungen und hatte sich platt auf den Boden geworfen. Vor ihm befand sich ein kleiner Hügel aus Schutt und Ziegelsteinen, der gerade ausreichte, um ihm Deckung zu gewähren. Durch die Lücken zwischen den einzelnen Ziegeln konnte er die verdächtige Steinplatte im Auge behalten. Gespannt harrte er des Kommenden.

      Die Steinplatte hob sich ruckweise immer höher und höher. Jetzt wurde ein Kopf sichtbar, ein Arm streckte sich vor. Im nächsten Augenblick hatte sich ein Mann mit dem Oberkörper hindurchgezwängt und kletterte dann gewandt vollends heraus. O’Kelly erkannte in ihm sofort den Verfolgten wieder.

      Eine Zeitlang stand er dicht neben dem Versteck des Kriminalbeamten und säuberte seine etwas staubigen Kleider. Dann spähte er vorsichtig über die Umfassungsmauer, schwang sich geschickt darüber hinweg und trabte gemächlich davon.

      O’Kelly dachte nicht mehr an Verfolgung, denn die mysteriöse Steinplatte erschien ihm augenblicklich viel wichtiger und interessanter. Einige Minuten verharrte er noch in seiner unbequemen Lage, dann machte er sich an die Untersuchung der Platte. Seine Vermutung, daß diese durch einen besonderen Mechanismus in Bewegung gesetzt wurde, stimmte nicht. Mit einem gewissen Kraftaufwand gelang es ihm leicht, den Stein zu heben und in die darunter befindliche Öffnung zu kriechen. Die Platte glitt hinter ihm sogleich wieder an ihren alten Platz.

      O’Kelly stand nun in vollkommener Finsternis auf weichem, schlüpfrigem Boden. Mit Hilfe seiner Taschenlaterne stellte er fest, daß er sich in einem engen, kaum mannshohen, unterirdischen Gang befand, der zweifelsohne erst kürzlich angelegt worden war. Vorsichtig schlich er vorwärts. Nach etwa zwanzig Metern wurde der Gang breiter und endete in einem kleinen, augenscheinlich früher als Kellerraum benutzten Gewölbe. Auch dieses war nackt und leer; nur in der Ecke stand eine kleine, verstaubte Holzkiste. Der Kriminalbeamte beugte sich gespannt darüber und hob behutsam den nur lose aufgelegten Deckel hoch. Ein Ausruf der Überraschung entschlüpfte ihm: in der Kiste befand sich ein Telephonapparat. Weiter nichts.

      Es verging eine geraume Weile, bis sich O’Kelly von seiner Verblüffung erholte. Dann legte er den Deckel wieder auf die Kiste und begab sich auf den Heimweg. Auf einen Versuch, mit Hilfe dieses Apparates zu telephonieren, verzichtete er wohlweislich.

      5

      Es war bereits drei Uhr nachmittags, als O’Kelly endlich im vornehm ausgestatteten Bibliothekszimmer Dr. Raymond gegenübersaß. Dieser, ein älterer Herr von nicht unsympathischem, gepflegtem Äußeren, blickte interessiert über seine Brillengläser hinweg zu dem Kriminalbeamten und lauschte gespannt auf dessen Erzählung.

      „Hm … Karo König,“ wiederholte er langsam, wie überlegend. „Ja, ich entsinne mich dunkel … Aber es muß lange her sein. Warten Sie mal …!“

      Mit diesen Worten stand er auf und trat an ein hohes Bücherregal. Ein, zwei dicke Bände nahm er herunter, blätterte flüchtig darin herum und stellte sie dann wieder auf ihren Platz zurück. Der dritte Band war der richtige. Es war ein Buch mit fast lauter leeren, vergilbten Blättern; nur hier und dort bemerkte O’Kelly eine mit fast verblichener Tinte angebrachte Notiz.

      „Hier ist die Stelle!“ rief Dr. Raymond nach einer Weile triumphierend. „Dachte ich mir’s doch. Hören Sie zu!“

      O’Kelly sah gespannt auf. Der andere putzte umständlich seine Brillengläser, dann begann er zu lesen:

      „In den Jahren 1918—1921 trieb in Berlin ein Individuum sein Unwesen, das in Verbrecherkreisen ‚Karo König‘ genannt wurde. Diese Bezeichnung ist darauf zurückzuführen, daß der Verbrecher in der Regel am Tatort eine Spielkarte, und zwar den Karo König, hinterließ. Seine Spezialität waren Raubmorde, doch befaßte er sich auch gern mit großangelegten Hochstapeleien. Zwei Fälle von groben Erpressungen kamen zur Anzeige; beidemal gelang es dem Verbrecher, seine Opfer trotz polizeilichen Schutzes zu ermorden, ohne daß er entdeckt oder auch nur gesehen wurde. Inspektor Dr. Link hätte deswegen beinahe seinen Dienst quittieren müssen.

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