Echnaton oder Die Erfindung des Monotheismus: Zur Korrektur eines Mythos. Franz Maciejewski

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Echnaton oder Die Erfindung des Monotheismus: Zur Korrektur eines Mythos - Franz Maciejewski

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Inschrift bleibt aber ansonsten unverändert. Haremhab schreibt die Geschichte nicht neu – auch er kein Muršili, der die Pest als Strafe des Amun für den Frevel des Echnaton zu deuten wüsste: als Fluch der bösen Tat. Ein bemerkenswerter Befund, denn ein Blick in die Geschichte liefert uns ganz andere Beispiele. So hat die 12. Dynastie das Gedächtnis der chaotischen Ersten Zwischenzeit (ca. 2150 bis 2040 v.u.Z.) für die Zwecke einer dauerhaften Konsolidierung des Mittleren Reiches in Anspruch genommen. Demgegenüber wird die Amarnazeit gerade nicht »als Chaoserfahrung stilisiert, um die Militärherrschaft des Haremhab und der von ihm zu Nachfolgern berufenen Offiziersfamilie aus Sile als Heilswende zu legitimieren« (Assmann). Die Politik der Ramessiden, der Haremhab den Weg ebnete, vollzieht sich in den alten Bahnen der Gründungssemantik des Neuen Reiches. Nicht der innere Feind wird beschworen; nach dem Muster des Befreiungskampfes gegen die Hyksos geht es um die Abwehr und Unterwerfung des »asiatischen Feindes«, der sich jetzt in Gestalt der Hethiter zeigt. Die Einschätzung eines feindseligen Verhältnisses zwischen Ägypten und Hatti wurde übrigens von der Gegenseite geteilt, wie aus einem Schreiben des Muršili an den Fürsten Duppi-Teschub von Amurru hervorgeht: »Dein Vater brachte Tribut nach Ägypten; du selbst aber sollst ihn nicht nach Ägypten bringen, denn Ägypten ist ein Feind.« Dass in diesem Assoziationsfeld die »asiatische Krankheit« einen bestimmten Platz einnimmt, wird man kaum für zufällig halten dürfen. Tatsächlich wird die Erinnerung an Amarna genau in Richtung auf die Ursprungserfahrung der Invasion aus dem Norden verschoben. Es ist, als würde der »Feind von Amarna« hinter dem Bild von den »asiatischen Feinden« unsichtbar. In einigen der überlieferten Narrative der Hyksos-Erinnerung ist die Amarnaerfahrung indes in verstellter Form nachweisbar und als Subtext lesbar.

      Ein instruktives Beispiel einer solchen Verschiebung findet sich auf einem ramessidischen Papyrus der 19. Dynastie dokumentiert. Es handelt sich um die berühmt gewordene Erzählung vom Streit zwischen dem Hyksoskönig Apophis und dem thebanischen Gaufürsten Sekenenre, von der in einem späteren Kapitel noch ausführlicher die Rede sein wird. An dieser Stelle genügt der Hinweis, dass die Legende, die vordergründig eine Rückerinnerung an den Vorabend des thebanischen Befreiungskampfes gegen die Hyksos verarbeitet, ein auffälliges religionspolitisches Kolorit trägt. So heißt es von König Apophis, »er machte sich den Seth zum Herrn. Er diente keinem Gott im ganzen Land außer dem Seth«. Diese Aussage bedeutet nicht weniger, als den Hyksosherrscher mit einer monolatrischen Gottesverehrung in Verbindung zu bringen. Diese Behauptung ist aber historisch unhaltbar; zwingend ist dagegen der Umkehrschluss, den Jan Assmann aus dem gedächtnisgeschichtlichen Verwirrspiel gezogen hat: »Die ortlos gewordenen Amarna-Erinnerungen hefteten sich an die Hyksos und ihren Gott Baal, der dem ägyptischen Gott Seth gleichgesetzt wurde.« In diese Richtung weisen auch andere Reminiszenzen. So hat der Bau des zentralen Tempels in unmittelbarer Nachbarschaft zum Palast (im Text »Haus des Königs Apophis« genannt) sein Vorbild ganz offensichtlich in Achetaton, der Amarna-Metropole.

      Bedeutet das nun, dass allein diese Rückschau (der »Amarna-Blick« sozusagen) die Konfrontation mit den Hyksos in einen religiösen Konflikt umgedeutet hat? So weit dürfen wir nicht gehen. Sicherlich ging ein mächtiger Anstoß von dem aus, was (noch unscharf) mit dem »Trauma von Amarna« zu bezeichnen wäre. Aber die erwähnte Inschrift der Hatschepsut belegt zweifelsfrei, dass die Tradition die verhassten Asiaten lange vor Amarna mit Vorstellungen einer religiösen Differenz zu verbinden wusste. Der Hinweis »... sie herrschten ohne Re« lässt sich zwanglos auf den gleichen Sachverhalt, die frevelhafte Abkehr vom Pfad des traditionellen Kultus des Re-Harachte, beziehen. Dann aber steckte in der Erzählung vom Streit zwischen Apophis und Sekenenre auch das Moment eines gedächtnisgeschichtlich aufbewahrten Déjà-vu. In der Monolatrie-Variante läge eine amarnaspezifische Umarbeitung vor; im Bericht vom Bruch mit der rituellen Ordnung käme ein Stück Wiedererinnerung zum Zuge. Die aufgedeckte Erinnerungsspur macht es glaubhaft, dass die Hyksos nicht nur als fremde Invasoren den Hass auf sich zogen, die das Land tributpflichtig machten, sondern ebenso in der Gestalt der kultisch Unreinen. Der Hinweis auf die Titulatur der Hyksoskönige – einige von ihnen führen Re in ihrem Namen – steht dem nicht entgegen; er zeigt den Vorgang einer formalen Ägyptisierung an, nicht mehr.

      Unsere Argumentation erfährt eine nicht geringe Bekräftigung durch die Verwendung des Begriffs der Plage zur Kennzeichnung der eingetretenen Katastrophe. Im Text des Papyrus heißt es: »Die Plage herrschte in der Stadt der Asiaten [Stadt des Re (?)], denn König Apophis saß in Avaris.« Die Erzählung scheint an dieser Stelle in bemerkenswerter Weise zwischen Avaris, dem Herrschersitz der Hyksos, und der »Stadt des Re« zu differenzieren. Schon Gustave Maspero (1911), der »les Impurs de la ville de Ra« liest, hat die Stadt mit Heliopolis, der alten Sonnenstadt, identifiziert. Einem weit gefassten Verständnis nach umfasst »Plage« die demütigende Hyksosherrschaft insgesamt; in einem engeren Sinne könnte der Begriff die Entweihung der alten Sonnenstadt Heliopolis meinen, die – anders als Theben – im unmittelbaren Einflussgebiet der Hyksoskönige lag. Hier ist die Plage als Travestie der Religion fassbar. In dieser Zuspitzung wird die (den gesamten Text strukturierende) geopolitische Gegnerschaft »Avaris/Nordstadt vs. Theben/Südstadt« als religiöser Konflikt lesbar: »Stadt der Unreinen/Heliopolis vs. Stadt der Reinen/Theben«. Diese interkulturelle Radikalisierung erfährt der Hyksoskonflikt aber sicherlich durch die intrakulturelle Erfahrung mit der historisch jüngeren »Gegenreligion« des Echnaton. Die analogiestiftende Folie, die jener älteren Erinnerungsfigur unterlegt ist, enthält als Kennung das Gegensatzpaar »Achetaton/die neue Sonnenstadt vs. No-Amun/Theben/das südliches Heliopolis«. Die hier aufscheinende Strukturähnlichkeit – und das heißt zugleich: nicht die Identität der historisch divergenten Sinnformationen – ist die Klammer, welche die Hyksos-Erinnerung so eng an die Amarna-Erinnerung anbindet. Es sind Analogien dieser Art, mit denen das kulturell Unbewusste auf der Suche nach der verlorenen Zeit, die selber nicht beim Namen genannt werden darf, arbeitet.

      Am semantischen Potential von »Plage« lässt sich die Linie einer eigensinnigen Formatierung der Hyksos-Erinnerung noch weiter ausziehen. Goedicke hat in der zitierten Arbeit über die »kanaanäische Krankheit« darauf hingewiesen, dass sich der ägyptische Erstbeleg für den Ausbruch einer Pest im medizinischen Papyrus Hearst findet, der gemeinhin in die Zeit von Amenophis I. (gegen Ende des 16. Jahrhunderts v.u.Z.) datiert wird. Interessanterweise gilt dort die beschwörende Anrufung niemand anderem als Seth, der in Avaris verehrten Gottheit.

      So wie Seth das Große Meer [Mittelmeer] gebannt hat,

      so wird Seth dich bannen, o Krankheit der Amu!

      Goedicke bezieht die Heldentat des Seth, die hier evoziert wird, auf die Bannung einer Flutwelle im Gefolge der vulkanischen Katastrophe von Thera (dem heutigen Santorin). Das ist ein kontrovers diskutiertes Thema, aber für unsere Diskussion ohne Belang. Bedeutsamer ist eine andere Verknüpfung. Jene erstmals erwähnte Pest, die in Kanaan/Syrien wütete und Ägypten bedrohte, wirft ihren Schatten auf das Ende der Hyksos-Zeit – ein erstaunlicher Parallelismus zu jener Seuche am Ende der Amarnazeit, auf die König Muršili mit seinen Pestgebeten reagierte. Wir sind mit einer weiteren starken Ähnlichkeitsrelation von Hyksos- und Amarna-Erinnerung konfrontiert. Es überrascht daher nicht, wenn Goedicke die Erwähnung einer Plage in der ramessidischen Erzählung von Apophis und Sekenenre mit der im Papyrus Hearst berichteten Pest zusammenbringt: »Das Auftreten der Plage im späten 16. Jahrhundert stimmt mit dem einleitenden Hinweis der spät-ägyptischen Geschichte vom Streit zwischen Apophis und Sekenenre überein, nämlich dass ›das Land von Ägypten den Unreinen gehörte‹; das Letztere bezieht sich möglicherweise auf vor der Pest Geflohene.«

      Natürlich ist die Mutmaßung über Pestflüchtlinge nicht weniger spekulativ als der Bezug auf den Vulkanausbruch von Thera.22 Wir werden deshalb für unsere gedächtnisgeschichtliche Rekonstruktion nur so viel festhalten wollen: Unabhängig von Amarna arbeitet schon das Gedächtnis der Hyksos-Ära mit einem doppelsinnigen Begriff von Plage – der Reminiszenz an die Bedrohung durch eine Pest sowie der Erinnerung an einen schmerzhaften Riss im Sinnhaushalt der Kultur. Mit dem Begriff der kanaanäischen Krankheit in seiner spezifischen Kulturbedeutung stand den Ägyptern der Nach-Amarnazeit damit ein Referenzrahmen zur Verfügung, der es ihnen erlaubte, den Schrecken von Amarna

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