Echnaton oder Die Erfindung des Monotheismus: Zur Korrektur eines Mythos. Franz Maciejewski

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Echnaton oder Die Erfindung des Monotheismus: Zur Korrektur eines Mythos - Franz Maciejewski

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den rudimentären historischen Prospekt, wie er in den Ritualtexten (vor allem dem zweiten Pestgebet des Muršili) zum Vorschein gekommen ist, so lässt sich folgende dichte Beschreibung der Ereigniskette rekonstruieren:

      1 Šuppiluliuma entsendet Truppen unter Führung zweier Generäle gegen das ägyptische Amqa. Nach dem Untergang des Mitanni-Reiches stehen sich damit die Großmächte Ägypten und Hatti zum ersten Mal unmittelbar feindlich gegenüber.

      2 Die ungünstige militärische Lage (Niederlage bei Qades und hethitischer Einfall in Amqa) erfährt durch den plötzlichen Tod von Pharao Nipchururija eine krisenhafte Zuspitzung.

      3 Die verwitwete Königsgemahlin (t3 hm.t njsw.t = Dachamunzu) eröffnet mit einem Schreiben an Šuppiluliuma den Weg zu einer diplomatischen Heirat; sie bittet um einen hethitischen Prinzen als Gemahl und Nachfolger für den verstorbenen ägyptischen König.

      4 Šuppiluliuma reagiert abwartend und schickt zur Klärung der näheren Begleitumstände seinen Gesandten Hattusaziti nach Ägypten. Nach längerem Aufenthalt kehrt dieser in Begleitung des ägyptischen Gesandten Hani, der ein erneuertes Heiratsschreiben seiner Herrin überbringt, nach Hatti zurück.

      5 Šuppiliulumas Bedenken scheinen ausgeräumt. Er konsultiert einen alten Vertrag mit Ägypten und erteilt dem Heiratsplan schließlich seine Zustimmung.

      6 Prinz Zannanza, der auserwählte Heiratskandidat unter den Söhnen Šuppiliulumas, begibt sich auf den Weg nach Ägypten; er fällt jedoch einer ägyptischen Intrige zum Opfer und wird unterwegs ermordet.

      7 Šuppiliuluma nimmt die Ermordung seines Sohnes zum Anlass für einen Rachefeldzug und gewinnt eine erste Schlacht.

      8 Ägyptische Gefangene schleppen die Pest in Hatti ein, die dort mehr als zwanzig Jahre wüten sollte. Šuppiliuluma selbst und sein Sohn (und kurzzeitiger Nachfolger) Arnuwanda fallen der Seuche zum Opfer.

      9 Muršili übernimmt die hethitische Regierung im Schatten der Pest; er rollt das gesamte Geschehen im Sinne eines Schuldzusammenhangs neu auf.

      Die komplexe Handlungs- und Ereigniskette beginnt zu einer Zeit, wo Muršili, wie er in den Texten selber bekennt, »noch ein Kind war« (ca. 1335). Als bilanzierender Staatsmann und erster Priester der Götter steht Muršili II. an deren Ende (ca. 1313). Es ist jene historische Bruchstelle, die durch die 20-jährige Seuche markiert wird und dazu geführt hat, dass die militärischen Aktionen auf beiden Seiten für eine gewisse Zeit tatsächlich zum Erliegen kamen. Leiden und Schuld haben, wie gesehen, die hethitische Geschichtsrekonstruktion in Gang gesetzt und nicht etwa ein besonderer historischer Sinn. »Wann hat es angefangen? Womit? Wie hat es sich zur Katastrophe auswachsen können? Wer war schuld? Welcher Gott zürnt? Womit kann man ihn versöhnen?« – das sind, in den Worten von Assmann, die leitenden Fragen hinter der öffentlichen Selbstthematisierung des hethitischen Großfürsten.

      Unser Interesse ist ein anderes. Durch das Fenster, das König Muršili geöffnet hat und das die Amarnazeit schlagartig als Zeit einer dramatischen außen- wie innenpolitischen Krise erscheinen lässt, blicken wir mit anderen Augen. Und folglich stellen wir andere Fragen: Wer war König Nipchururija? Welche Gestalt verbirgt sich hinter der sogenannten Dachamunzu? Welche Frau hatte die Macht, gegen alle Tradition die Heirat mit einem ausländischen Prinzen in die Wege zu leiten? Hätte die diplomatische Heirat den Fortbestand der Dynastie gefährdet? Welche Kreise verbergen sich hinter dem Komplott, dem der erwählte Prinzgemahl zum Opfer fiel? Geben ägyptischen Quellen irgendeinen Hinweis auf eine Krise der Thronfolge und einen nachfolgenden Machtkampf?

      Die Beantwortung dieser Fragen, das liegt auf der Hand, ist für ein Sinnverstehen der Amarnazeit von allergrößter Wichtigkeit. Es wäre jedoch voreilig, die skizzierte hethitische Geschichtsepoche auf eine bloße Vorgeschichte zur Aufarbeitung der uns eigentlich interessierenden ägyptischen Geschichte zu reduzieren – und hier abzubrechen. Das heißt, wir dürfen in Muršili nicht allein den unbeteiligten Dritten und bloßen Zuträger eines rein innerägyptischen Rätsels sehen. Zum einen finden sich viele Züge der hethitischen Geschichtsschreibung auch in anderen Teilen der spätorientalischen Welt, in Ägypten nicht anders als in Mesopotamien, historisch später dann in Israel und schließlich Griechenland. Was in der späten Bronzezeit seinen Anfang nimmt und in den hethitischen Texten zuerst in größerem Umfang greifbar wird, ist Teil eines allgemeineren interkulturellen Sinnhorizontes. Er wird später ausdrücklich beleuchtet werden. An dieser Stelle ist zunächst etwas anderes entscheidend. Das sakralrechtliche Verfahren des Muršili ist nicht nur der erste Glanzpunkt einer allgemeinen Entwicklung, es hat darüber hinaus paradigmatische Kraft. Mit ihm tritt die Grundfigur einer schuldabtragenden Vergangenheitsbewältigung ins Relief, die uns in anderen Kulturen wiederbegegnet – nicht zuletzt in Gestalt der griechischen Ödipus-Sage. (Erscheint der vor das klagende Volk tretende thebanische König, der angesichts einer von den Göttern verhängten Pest die jüngste Vergangenheit der Stadt aufrollen lässt, nicht geradezu als ein Wiedergänger des hethitischen Königs?) Herzstück ist jedes Mal das In-Beziehung-Setzen eines aktuellen Unheils – Pest, Seuche, Hungersnot – zu einem vergangenen, aber unabgegoltenen Unrecht oder Verbrechen. Die den göttlichen Zorn erregende Untat bleibt so lange verborgen, bis die Gottheit eine zweite Not schickt, die zum Himmel schreit. Dies ist der bekannte Topos der »späten Entdeckung«. Erst die göttliche Strafaktion führt zur Besinnung, dazu, dass der Fall, über den schon das Gras wuchs, neu aufgerollt und die Tat entsühnt werden kann. In dieser nachträglich in Gang gesetzten Vergangenheitsrekonstruktion wird die aktuelle Plage zum Zeichen für einen verdeckten Frevel ganz anderer Art. Die Götter bedienen sich typischerweise einer Naturkatastrophe, das inkriminierte Faktum ist dagegen immer ein sozialer Tatbestand: die Verletzung der heiligen Ordnung, von Recht und Gerechtigkeit, ägyptisch der »Maat«. Die genaue Referenz zwischen beiden ist das Problem; sie ist alles andere als eindeutig, weil kulturell codiert. Der skrupulöse Muršili sucht die Schuld bei sich selbst (resp. seinem Vorgänger und Vater Šuppiluliuma) und findet sie im Überfall auf ägyptisches Gebiet. Für uns als Beobachter hätte es viele gute Gründe gegeben, die Ägypter zu beschuldigen: des Angriffs auf Qades, der Ermordung des Zannanza, des Einschleppens der Pest. Aber im Selbstverständnis der hethitischen Kultur ist der Vertragsbruch das Urmodell der Sünde. Andere Kulturen mit weniger ausgeprägter politischer Moral, so dürfen wir schlussfolgern, hätten bei gleichem Anlass eine andere Schuldzuweisung getroffen, das heißt, das göttliche Zeichen anders gedeutet.

      Das führt zum zweiten Punkt. In der in Rede stehenden Plage, der wir die Pestgebete des Muršili verdanken, haben wir mit Sicherheit kein isoliertes Ereignis hethitischer Geschichte vor uns. Wie die Annalen berichten, haben ägyptische Gefangene die Pest in Hatti eingeschleppt. Damit kann aber gerade nicht das anatolische Kernland gemeint sein, sondern in erster Linie das umkämpfte syrisch-kanaanäische Gebiet. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat sich die Pest von dort auf die Nachbarländer (unter Einschluss Ägyptens) ausgebreitet und nach und nach im gesamten Vorderen Orient gewütet. Wie ist sie in diesen Ländern erinnert worden? Gibt es Quellen, die mit den hethitischen Dokumenten vergleichbar sind? Hat es Versuche gegeben, die Heimsuchung durch die Seuche in ähnlicher Weise auf schuldhaftes menschliches Verhalten zurückzuführen? Welche zürnenden Götter treten auf, welche werden um Rettung angerufen?15 Dies ist ein Fragenkatalog ganz anderer Art. Von seiner Beantwortung hängt es ab, ob wir die Zwillingsgestalt von »Schuld und Plage« für ein konstitutives Element der Überlieferungsgeschichte von Amarna in Anspruch nehmen dürfen, das sich in all seinen Sedimentschichten nachweisen lässt, oder doch eher für den Ausdruck eines besonderen Rechtsbewusstseins der hethitischen Kultur halten müssen, das durch die Laune des Zufalls in die Nähe von Amarna gerückt worden ist.

      Für die Vermutung, dass die Pestepidemie die ganze vorderasiatische Welt heimgesucht hat, sprechen mindestens vier Belegstellen aus den Amarnabriefen.16 In einem an König Amenophis IV.-Echnaton gerichteten Schreiben (EA 35) entschuldigt sich der König von Alaschia (Zypern) für eine doppelte Unbill, die geringe Menge gelieferten Kupfers sowie das Ausbleiben (Ableben?) eines

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