Echnaton oder Die Erfindung des Monotheismus: Zur Korrektur eines Mythos. Franz Maciejewski

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Echnaton oder Die Erfindung des Monotheismus: Zur Korrektur eines Mythos - Franz Maciejewski

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Spaten der Archäologen. Achetaton und die amarnatypischen Anlagen von Theben sind ausgegraben, aber nirgends hat sich die Spur einer großen Geschichte oder Legende gefunden. Die archäologischen Funde sind ohne jeden mythologischen Index. Was das bedeutet, zeigt erst der Vergleich mit dem gegenläufigen Fall Troia. Schliemann war beseelt von der großen Erzählung der Ilias; was er ausgrub, hatte einen Namen und eine genaue Stelle in der literarischen Überlieferung, hieß »Schatz des Priamos« oder »Maske des Agamemnon«. Unbeschadet vieler Irrtümer vollzieht sich die Diskussion um Homer und den Troianischen Krieg bis heute unter dem Spannungsbogen von »Mythos oder Realität«. Im Fall Amarna waren die ersten Funde »blind«. Weder der Ort selber noch Namen und Herkunft seiner Herrscher waren bekannt. Noch Lepsius, dem es gegen Mitte des 19. Jahrhunderts gelang, den »Bech-en-Aten« (wie er den unbekannten Pharao anfänglich nannte) der 18. Dynastie zuzuordnen, musste sich mit dem Gerücht herumschlagen, die Monumente von El-Amarna stammten von den Hyksos. Mit dem spektakulären Fund des Tontafelarchivs (der keilschriftlichen Korrespondenz der Amenophis III und IV mit den Königen und Fürsten Vorderasiens) änderte sich das Bild, das heißt: die Erwartungshaltung hinsichtlich einer großen Geschichte. Schon die Ausgrabungen des frühen 20. Jahrhunderts begleitet die teils heimliche, teils offene Suche nach dem Mythos von Amarna. Die ganze Rezeptionsgeschichte steht im Bann dieser Idee.

      Der Anspruch auf diese Semantik ist nicht leicht abzutun, wie die unzähligen Romane und Bühnenwerke, Opern und Musicals, Bilder und Filme belegen, die jenseits der Forschung entstanden sind und die Ikonen der Amarnazeit auf ihre Art verherrlichen.5 Der kulturelle Sinn, den das Monotheismusparadigma anzubieten hat, ist fraglos von anderer Qualität, aber es wäre ein Irrtum zu glauben, hier wäre der Faden der wahren Geschichte gefunden und entrollt worden. Bei der These von der »monotheistischen Revolution, ihrem Scheitern und heimlichen Weiterleben« handelt es sich um eine glänzende Interpretation. Sie imponiert durch die Vielzahl der Räume, die das Erklärungsmuster erschließt, die klugen Denkwege, die diese miteinander verbinden, schließlich die scheinbar passgenaue Zusammensetzung der Teile zu einem kohärenten Ganzen. Sie definiert sich aber nicht minder durch ebenso viele Einseitigkeiten und Auslassungen, ohne die ein in sich stimmiges Paradigma nicht Kontur gewinnen kann. Solange man sich in seinem Inneren bewegt, eingeschlossen im Kokon eines dichten Bedeutungsgewebes, wird dieser einbehaltene Sinn nicht als Mangel erlebt. Erst wenn man heraustritt und dem schönen Ganzen gegenübertritt, vermag man zu erkennen, dass der Versuch, den Knoten des Amarnakomplexes vom Leitfaden des Monotheismus her aufzulösen, der Dialektik der Aufklärung nicht entgangen ist. Anders als beim legendären Bild zu Sais, das entschleiert werden will, haben die Monotheismustheoretiker die nackten Tatsachen, die der Spaten nach und nach freigelegt hat, eingekleidet. Was vor uns steht, ist das verschleierte Bild von Amarna, in seiner Mitte Echnaton, angetan mit des Königs neuen Kleidern. Er ist nackt und hässlich, allein der Glaube an das besondere semantische Schnittmuster verbürgt jene Tuchfühlung, die ihn, ein anderer Lilienprinz, vor unserem geistigen Auge in einen Schöngeist und kulturellen Heros verwandelt.

Bildtextbeschreibung

      Abb. 3: Grabung der Deutschen Orient-Gesellschaft in Tell-el-Amarna (1914)

      Heißt das nun, eine theologisch inspirierte und spekulativ verfahrende Ägyptologie handle hier leichten Sinns nach dem Motto »Kleider machen Leute«? So einfach dürfen wir es uns sicherlich nicht machen. Aber wer immer die konkrete Einzelanalyse verlässt und (bei spärlicher Quellenlage) aufs Ganze geht, der muss wissen, dass die wenigen Bruchstücke von unstrittiger Bedeutung allein durch den Kitt eines meta-physischen Sinns zusammengehalten werden.6 Zu gewinnen ist bestenfalls ein »ehernes Bild auf tönernen Füßen«. Diese selbstkritische Einschätzung, die Sigmund Freud einst mit Blick auf seine großartige Mosesstudie getroffen hat, gilt ohne alle Ausnahme, also auch für die vorliegende Studie. Sie muss auf die Weise einer engmaschigen Argumentation überzeugen: durch Triftigkeit (nicht durch Gewissheit). Für die etablierten Entwürfe, den Freud’schen nicht weniger als den von Assmann, beinhaltet der semantische Vorbehalt gegenüber den Rekonstruktionsversuchen kulturellen Sinns paradoxerweise eine gewisse Immunisierung; sie haben jenseits der Frage nach der historischen Wahrheit Bestand, insofern sie als Modelle zu einer Theorie der kulturellen Überlieferung dienen können. Das begründet ihren bleibenden Wert. Das mehrfache Bürsten gegen den Strich des Monotheismusparadigmas ist deshalb auch nicht auf Widerlegung aus. Intendiert ist vielmehr, den Horizont an Möglichkeiten neu aufscheinen zu lassen. Was sich mit der Sondierung des Prospekts der monotheistischen Kulturlandschaft Ägyptens andeutete, ist in heilsame Verunsicherung umgeschlagen. Die Dinge sind im Fluss, ihre einseitige Ausrichtung ist ins Wanken geraten. Vieles könnte sich offenbar ganz anders zugetragen haben – und damit andere Erklärungen erzwingen. Das bedeutet, es sind Zweifel aufgekommen, ob in alle Richtungen ermittelt wurde oder ob die frühe Festlegung auf eine bestimmte Version genau dies verhindert hat. Die Konsequenz aber lautet: Der Fall Echnaton muss neu aufgerollt werden. An diesem Punkt, einem point of no return, stehen wir. Die übersehenen Spuren noch exakter zu sichern, die vernachlässigten Dimensionen der Debatte noch präziser zur Sprache zu bringen, ist der nächste Schritt. Die Monotheismusthese, so viel sollte deutlich geworden sein, ist offensichtlich überinstrumentiert und der Hauptgrund ist die extreme Fokussierung auf Echnaton.

      Alle Entscheidungen gehen von ihm aus, alle Fäden laufen bei ihm zusammen. Dem jungen König von »ausgeblühtem Geschlecht« wird eine weltgeschichtliche Rolle zugeschrieben (oder sollten wir sagen: aufgebürdet), die selbst stärkere Naturen überfordert hätte. Ausgestattet mit dem Genie eines Naturphilosophen und der poetischen Kraft eines Sängers hat er die Sendung der Religionsstiftung angenommen und quasi im Alleingang die altehrwürdige Kultur Ägyptens aus den Angeln gehoben. Ist das glaubhaft? Doch die Überbewertung hat Methode. Werke wie der Große Atonhymnus, die mit gleicher Berechtigung von anderen (wie dem »Gottesvater« Eje) stammen könnten, gelten wie selbstverständlich als Echnatons Schöpfung. In ähnlicher Weise werden ihm die weichenstellenden Taten der ersten Jahre (der Bau des ersten Atontempels in Karnak sowie die Feier des Sed-Festes) zugerechnet, obwohl belegt ist, dass er als unmündiges Kind auf den Thron kam und die Regierungsgeschäfte anfänglich in den Händen seiner Mutter, Königin Teje, lagen (Abb. 4). Gewiss, in Fragen der Datierung und Zuschreibung folgt die Ägyptologie nur den inschriftlichen Vorgaben der Zeit; aber der nachlässige Positivismus, mit dem die extrem herrscherzentrierten Angaben übernommen werden, hat schwerwiegende Folgen. Wer zulässt, dass die dem Pharao geltende Propaganda Zeugniskraft erhält, der verstellt den Blick auf andere Schlüsselfiguren und Einflussgrößen.

      Nun handelt es sich bei Teje und Eje um keine ganz beliebigen Akteure auf der Bühne der späten 18. Dynastie. Die beiden sind Geschwister und stammen aus dem Hause des Juja, eines hohen Würdenträgers, der unter Thutmosis IV. (Echnatons Großvater) die Funktion eines »Vorstehers der Pferde« innehatte und damit die militärische Schlüsselstellung der Leitung der Streitwagentruppe. Juja und seine Frau Tuja, deren hohes Ansehen durch ein reich bestücktes Grab im Tal der Könige bezeugt ist, haben es vermocht, dass ihre Tochter Teje zur Großen Königlichen Gemahlin von Amenophis III. aufstieg und ihr Sohn Eje die bedeutende Position seines Vaters beerben konnte. Anen, ein weiterer Sohn, bekleidete in Theben das nicht minder wichtige Amt eines Hohepriesters des Re; er komplettiert damit den beispiellosen Einfluss des Hauses Juja auf die Politik der Thutmosiden. Doch die Positionierung von drei Kindern im Herzen der Macht ist nur ein Teil, das Mittelstück sozusagen, eines größeren, sich über vier Generationen erstreckenden Prozesses der Machtverschiebung am ägyptischen Königshof. Am Anfang dieser Reihe steht Mutemwia, eine Schwester des Juja, der es als erster Frau dieses mächtigen Clans gelungen ist, die Stellung einer Königin einzunehmen. Als Gattin Thut-mosis IV. wird sie zur Mutter Amenophis III. Und sie ist es, die nach dem Tod ihres Mannes als faktische Regentin dafür sorgt, dass der noch minderjährige Kronprinz mit ihrer Nichte Teje vermählt wird. Eine Generation später wird die verwitwete Teje das Spiel mit der (und um die) Macht wiederholen und ihren Sohn Amenophis IV. wiederum mit einer Nichte, einer Tochter des Eje, verheiraten. Als Nofretete die Position der Großen Königlichen Gemahlin an der Seite ihres Mannes, des nachmaligen Pharao Echnaton, einnimmt, ist sie die dritte

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