Echnaton oder Die Erfindung des Monotheismus: Zur Korrektur eines Mythos. Franz Maciejewski

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Echnaton oder Die Erfindung des Monotheismus: Zur Korrektur eines Mythos - Franz Maciejewski

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monotheistische Religion (1939) wurde. Der Titel verrät, dass nicht Echnaton selbst, sondern – ähnlich wie bei Thomas Mann – eine biblische Figur die Gedankenführung zusammenhielt: Moses, den Freud freilich nicht als mythische Figur wie Joseph, sondern als geschichtliche Gestalt verstanden wissen wollte – mit ägyptischer Vorgeschichte: »Moses war kein Jude, (vielmehr) ein vornehmer Ägypter, hoher Beamter, Priester, vielleicht ein Prinz der königlichen Dynastie, ein eifriger Anhänger des monotheistischen Glaubens, den der Pharao Amenophis IV. so um 1350 v. Chr. zur herrschenden Religion gemacht hatte. Als nach dem Tode des Pharao die neue Religion zusammenbrach und die 18te Dynastie erlosch, hatte der hochstrebende Ehrgeizige all seine Hoffnungen verloren, beschloss, das Vaterland zu verlassen, sich ein neues Volk zu schaffen, das er in der großartigen Religion seines Meisters erziehen wollte. Er ließ sich zu dem semitischen Stamm herab, der seit den Hyksoszeiten noch im Lande verweilte, stellte sich an ihre Spitze (und) führte sie aus dem Frondienst in die Freiheit.«

      Freud tritt uns hier ersichtlich als Historiker des Judentums entgegen, der für die anvisierte Entwicklungsgeschichte des judäischen Monotheismus auf das ihm zur Verfügung stehende Wissen seiner Zeit zurückgreift – und jetzt ereignisgeschichtlich (und nicht länger ideengeschichtlich) weiterspinnt. Wenn Moses ein Gefolgsmann des Echnaton war, der den Juden auf dem Wege eines Kulturtransfers die neue Religion brachte, dann waren ägyptischer und jüdischer Monotheismus anfänglich wesensgleich. Und gleich war auch ihr Schicksal. Weder die Ägypter noch die Juden »ertrugen den anspruchsvollen Glauben der Atonreligion«; er war zum Scheitern verurteilt. Freud hält es für wahrscheinlich, dass die junge hebräische Atongemeinde den ägyptischen Mann Moses »wenige Jahrzehnte später in einem Volksaufstand erschlagen und seine Lehre abgeworfen hat«. Die frühe mosaische Religion war kurz nach ihrer Einführung wieder von der Bildfläche verschwunden. Aber anders als in Ägypten – so die atemberaubende Fortsetzung der Freud’schen Gedankenführung – tauchte sie nach Ablauf von mehreren Jahrhunderten wieder auf, um sich (nun unter dem Namen der Jahwe-Religion) auf Dauer durchzusetzen. Wie war das möglich? Weil, so der jetzt psychoanalytisch argumentierende Freud, der Mord an Moses ein frühes Menschheitstrauma reaktiviert hat. »Das Schicksal hatte dem jüdischen Volk die Großtat und Untat der Urzeit, die Vatertötung, näher gerückt, indem sie dasselbe veranlasste, sie in der Person des Moses, einer hervorragenden Vatergestalt, zu wiederholen.« Weil der Moses-Mord eine alte verpönte Erinnerung wachrief, wurde die Tat verleugnet und verdrängt. Aber nur weil die Mosestradition den Zustand des Verweilens im Unbewussten durchgemacht hatte, konnte sie bei ihrer Wiederkehr die Massen in ihren Bann zwingen. Frühes Trauma – Abwehr – Latenz – Wiederkehr des Verdrängten, so lautet die Schlussformel, die der frühe Freud einst für die Entwicklung der individuellen Neurose aufgestellt hatte und die der späte Freud nun bereit war, aufzugreifen und in kühner Analogie auf die Genese des judäischen Monotheismus zu applizieren (und diesen damit in den zweifelhaften Rang einer kollektiven Neurose zu erheben).

      Es ist hinreichend bekannt, dass sich Freuds historische wie phylogenetische Spekulationen als nicht haltbar erwiesen haben. Sein Konstrukt einer vorzeitlichen, von einem unbeschränkt herrschenden Patriarchen angeführten Urhorde ist nichts anderes als die Projektion des patri-ödipalen Dramas der eigenen Kindheit. Bei Moses handelt es sich um eine Gestalt der Gedächtnisgeschichte, nicht der Realgeschichte; die Annahme einer Zeitgenossenschaft mit Echnaton sowie die seiner angeblichen Ermordung sind rein fiktional. Der Exodus ist ein Stiftungsmythos, der als Umschrift der historisch bezeugten Vertreibung der Hyksos aus Ägypten zu verstehen ist; als Volk sind die Israeliten nie in Ägypten gewesen – und nie von dort ausgezogen. Der Abschied von einigen Prunkstücken der Freud’schen Argumentation darf aber nicht dazu führen, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Im Gegenlicht des Augenblicksmonotheismus von Amarna, der mit dem Tod seines Stifters wieder verging, hat Freud das Modell einer monotheistischen Durchsetzungsgeschichte von langer Dauer entworfen, das auf den beiden Säulen »Trauma« und »Wiederkehr des Verdrängten« ruht. Darin steckt das Angebot, unter der Oberflächenstruktur geschichtlicher Ereignisse die Tiefenschicht einer verborgenen Psychohistorie wahrzunehmen. Der Gewinn für die hier in Rede stehende Debatte besteht in der Anwendung dieses Verfahrens auf die Erinnerungsgeschichte Echnatons.

      Es ist das große Verdienst von Jan Assmann, die Konzeption Freuds im Rahmen einer kulturwissenschaftlichen Gedächtnistheorie aufgegriffen und für den ägyptologischen Diskurs um Amarna fruchtbar gemacht zu haben. Hundert Jahre nach Breasted, in seinem Buch Moses der Ägypter (1998), hat Assmann die Frage nach der Beziehung von Echnaton und Moses neu aufgeworfen und sich mit ungemein inspirierenden Antworten an die Spitze der Monotheismusdebatte gestellt. Dies gilt uneingeschränkt auch deshalb, weil er nicht nur als Ägyptologe über ein exzellentes Dossier in Sachen Amarna verfügt, sondern in den benachbarten Häusern von Klassischer Archäologie und Alter Geschichte, von Theologie und Religionswissenschaft ebenso souverän zu Hause ist. Entstanden ist auf diese Weise ein eindrucksvolles Denkgebirge mit gut sichtbaren Sedimentschichten, die elaborierteste Sinngeschichte von Amarna, über die wir zurzeit verfügen.

      Als Ausgangspunkt dienen Assmann – nicht anders als bei seinen ägyptologischen Vorgängern – die Sonnenhymnen. Ihr Zeugnis »stellt Echnaton als religiösen Revolutionär vor Augen, der, seiner Zeit weit voraus, in heroischem Modernismus die traditionellen Kulte verwirft und an deren Stelle einen exklusiven Kult der Sonne setzt«. Seiner Zeit weit voraus und doch Kind seiner Zeit; denn es war die weltumspannende (in der langen Regentschaft von Amenophis III., Echnatons Vater, kulminierende) Politik der Thutmosiden, die, so Assmann mit ausdrücklicher Berufung auf Breasted, die ägyptische Weltsicht drastisch veränderte und »eine Krise des polytheistischen Weltbildes zur Folge hatte. Das neue (...) Weltbild fand seinen religiösen Ausdruck in der universalistischen Idee des Sonnengottes, der mit seinem weltumspannenden Laufen und Strahlen alle Völker erschafft und erhält.«

      Das Stichwort von der Krise des Polytheismus ist von allergrößter Bedeutung. Mit ihm gerät plötzlich die Vorgeschichte des neuen Monotheismus, die bislang im Schatten der ungeheuren Nachwirkung stand, in den Blickwinkel. Ganz im Sinne einer theologischen Vorbereitung des späteren Umsturzes hat Assmann die Entwicklung hin zu einer »neuen Sonnentheologie« verstanden, aus der die Amarna-Religion hervorgegangen ist. Der für die kulturelle Semantik Ägyptens tiefgreifende Wandel vollzieht sich in der Konzeption des Sonnenlaufs: als Wechsel von einer gemeinsamen, auf das Zusammenwirken der verschiedenen Götter angewiesenen Tat zu einer einsamen Handlung des Sonnengottes. Zur religiösen Vorgeschichte von Amarna zählt also ein den alten Polytheismus von innen auflösender Strukturwandel, der Echnatons Monotheismus als eine »radikale Variante« der neuen Sonnentheologie erscheinen lässt.

      Um das Einmalige des Umschlags eines alt gewordenen Polytheismus in die Qualität eines weltgeschichtlich neuen Monotheismus auf den Begriff zu bringen, greift Assmann an dieser Stelle auf die Kategorie der sogenannten »Mosaischen Unterscheidung« zurück. Dieser Zentralbegriff gilt dem Antagonismus von wahr und falsch, dem Absolutsetzen der eigenen theologischen Position bei gleichzeitiger Verketzerung der Gegenseite. Genau diese unversöhnliche Geisteshaltung sieht Assmann beim Umsturz des Echnaton am Werke. Sie kreist um zwei Pole. Einerseits ist der rationalistische Charakter der neuen Religion unverkennbar. Sie ist mythologiearm und durchdacht. Wenn Echnaton Licht und Zeit als die beiden alles erklärenden Momente der solaren Energie begreift, dann stellt er sich »an den Anfang einer Reihe, die erst 700 Jahre später die ionischen Naturphilosophen fortsetzten« – und für die heute Namen wie Newton und Einstein stehen. Der Religionsstifter als physikalischer Welterklärer. Andererseits gilt Assmann derselbe Mann als Bilderstürmer, der in fanatischer Weise das dem Monotheismus inhärente Gewaltpotential entbindet. In Form einer großangelegten Razzia hat er versucht, das Gedächtnis der Götter des alten Pantheon zu tilgen, indem er ihre inschriftlichen Namen auskratzen ließ. Diese theoklastische Gewalttat ist die dunkle Seite der Religion des Lichts, die schon bald auf denjenigen zurückschlagen sollte, der sie entfesselt hat.

      Doch für Assmann ist die damnatio memoriae, die den Amarnakönig mit gleicher Schärfe traf, keineswegs der letzte Akt. »Echnaton ist in Ägypten nämlich nicht vergessen, sondern verdrängt worden.« Und deswegen ist das Trauma des Monotheismus, das Sigmund Freud am Mann Moses und seiner Ermordung exemplifiziert

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