Echnaton oder Die Erfindung des Monotheismus: Zur Korrektur eines Mythos. Franz Maciejewski

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Echnaton oder Die Erfindung des Monotheismus: Zur Korrektur eines Mythos - Franz Maciejewski

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findet Assmann in der »Legende von den Aussätzigen«, die Manetho, ein ägyptischer Priester und Geschichtsschreiber aus dem 3. Jahrhundert v.u.Z., überliefert hat.2 Er liest die Erzählung, in der die Gestalten Echnatons und Moses’ zusammenwachsen, als eine verschobene Erinnerung an Amarna – als eine späte »Wiederkehr des Verdrängten«. In der kulturellen Begegnung mit den im Lande siedelnden Juden, den einzigen Trägern der monotheistischen Idee, kehrt die untergegangene und überwunden geglaubte Epoche von Amarna plötzlich wieder. Der historisch bezeugte Antijudaismus in den Zeiten des Manetho ist damit psychohistorisch gesehen als ein wiedergekehrter Antimonotheismus aus der Zeit Echnatons zu verstehen.

      Die Skizze der Assmann’schen Argumentation erhellt, wie hochdifferenziert eine sich in Augenhöhe mit anderen Kulturwissenschaften bewegende Ägyptologie das ambivalente Erbe des Echnaton zu analysieren vermag – und welche intellektuelle Schönheit ihr auf diese Weise zuwächst. Mit langem Atem quert Assmann die Horizonte der endlichen Tagfahrt und der unendlichen Nachtfahrt der Sonnenreligion von Amarna. Der kühne Bogen spannt sich von der Vorgeschichte der monotheistischen Episode (»Neue Sonnentheologie«) über die Wesensbestimmung der etablierten Atonreligion (»Mosaische Unterscheidung«) hin zur rätselhaften Doppelgestalt von Untergang und Wiederkehr (»Traumatische Erfahrung«). Wenn Assmann nach dem Durchgang einer tausendjährigen Geschichte die innerägyptische Abwehr des solaren Monotheismus als letzten Grund für die Frühform der antiken Judenfeindschaft ins Auge fasst, dann vollendet sich ein Denkbild, in dem der Theoklasmus des Echnaton als Ursprungsimpuls einer ungeheuer komplexen Gedächtnisgeschichte in Anspruch genommen wird. In letzter Konsequenz führt die alte bronzezeitliche Spur, wie Assmann an einigen Stellen behutsam andeutet, in die Nähe der Erinnerungslandschaft des Holocaust, des unvergänglichen Traumas der Jetztzeit. Eine sehr deutsche Ergänzung der treffenden Feststellung von Barry Kemp (1989), dass »wir noch immer im Schatten der Bronzezeit leben«.

      Hundert Jahre Monotheismusthese: Unser Abriss hat den Siegeszug einer großen Idee über einige der zentralen Etappen nachgezeichnet, von den Anfängen bei Breasted und Weigall bis zum vorläufigen Abschluss bei Assmann. Naturgemäß ist eine solche Erfolgsgeschichte ohne die breite Zustimmung innerhalb der scientific community nicht möglich. Allerdings ist die Lage hier sehr uneinheitlich. An der intensiven Debatte, die Assmanns Buch Moses der Ägypter ausgelöst hat, haben sich vor allem Religionswissenschaftler, Alttestamentler und Theologen beteiligt. Viele Ägyptologen betrachten die Überschreitung der Fachgrenzen mit Unbehagen und verweigern sich der Aufnahme genuin kulturwissenschaftlicher Konzepte wie Gedächtnisgeschichte oder Traumatheorie. Die wenigsten sind entsprechend ausgebildet und auf diesen Schritt vorbereitet. Andererseits schärft die klassische Archäologie des Spatens den Blick für eine Vielzahl kontroverser Detailfragen. Hier wiederum liegt eine unbestreitbare Stärke. Und tatsächlich haben die jüngsten Grabungskampagnen, das »Akhenaten Temple Project« unter Leitung von Donald Redford nicht anders als die Arbeiten der »Egypt Exploration Society« mit Barry Kemp an der Spitze, sehr viel sperriges Material zutage gefördert, das die Anschlussfähigkeit der Monotheismusthese auf eine harte Probe stellt. Die alte Vorstellung eines landesweiten Bildersturms deckt sich nicht mit den neuesten Befunden. Das Aushacken von Namen und Bildern geschah eher sporadisch; die Tempel der Götter sind nicht systematisch zerstört worden. Was bedeutet es, wenn Götter wie Atum oder Uto weiterhin in Ehren gehalten, Götter wie Ptah oder Thot verschont oder geduldet, andere wie Osiris »nur« übergangen wurden? Wie war es möglich, dass selbst die Erinnerung an das meistverfolgte Götterpaar, Amun und Mut, in Gestalt theophorer Personennamen in Amarna weiterleben konnte? In den ausgegrabenen Wohnhäusern fanden sich Hausaltäre, die der göttlichen Trias Aton-Echnaton-Nofretete geweiht waren, sowie zahlreiche Relikte der beliebten Schutzgötter Bes und Thoeris. Könnte es sein, dass nur das Königspaar Aton allein verehrte, die Gefolgsleute des Hofes und die Bevölkerung dagegen einem neuen Pantheon huldigten; dass andererseits neben dem offiziellen Staatskult Platz blieb für die alten Formen der Volksfrömmigkeit? Der Bruch mit Amarna hat sich keineswegs so jäh vollzogen, wie bislang angenommen wurde. Echnaton hatte vier Nachfolger (Nofretete, Semenchkare, Tutanchaton/-amun, Eje), die zusammen noch einmal 17 Jahre regierten. Wie ist zu erklären, dass noch zu Zeiten des frühen Tutanchaton die Arbeiten an den Atontempeln von Karnak wieder aufgenommen wurden und selbst die Nach-Amarnazeit den »neuen Gott« Echnatons keineswegs verfemte? Lag der Stein des Anstoßes, der zunächst Haremhab und dann die Ramessiden auf den Plan rief, nicht allein auf dem Gebiet der Religionspolitik, sondern ebenso auf dem der Machtpolitik? Steckte hinter der damnatio memoriae gar nicht das Motiv des Antimonotheismus, sondern eine sehr nüchterne Staatsräson?

      Der Klärungsbedarf, den diese offenen Fragen dringlich vor Augen führen, hat indes den Erfolg des in Rede stehenden Paradigmas nicht zu schmälern vermocht. Ehemalige Skeptiker wie Erik Hornung, der Nestor der deutschen Ägyptologie, haben ihren Widerstand gegen die Monotheismusthese aufgegeben – und arbeiten mittlerweile selber mit ihr. Die These vom ersten Monotheismus der Weltgeschichte ist heute Teil des kulturellen mainstream und als solcher von beeindruckender Breitenwirkung; sie wird in den Feuilletons der großen Zeitungen nicht anders als im Umfeld der großen Ägyptenausstellungen nahezu als Gewissheit kolportiert. Nun ist auffällig (und bemerkt worden)3, wie sehr die Resonanz, die der (angeblichen) Entdeckung eines altägyptischen Monotheismus zuteil wurde, von den Seelenständen der Entdecker abhängig war. Wenn für das Zeitalter, das es zu besichtigen gilt (die späte Bronzezeit im Alten Ägypten), die Formel »Krise des polytheistischen Weltbildes« gefunden wurde, so ist die Welt der Entdecker der ersten monotheistischen Revolution (das späte 19. und beginnende 20. Jahrhundert) durch die Krise des biblischen Monotheismus gekennzeichnet. Alle genannten Autoren schreiben unter dem Eindruck einer fortschreitenden Entzauberung der Bibel durch Literarkritik und Archäologie, die ein rapider Verfall von Religion und Sittlichkeit begleitet. Alle begrüßen, freilich auf unterschiedliche Weise, die »Religion des Lichts« als Offenbarung: Breasted, der im Aufgehen der Atonreligion »die Morgenröte des Gewissens« erkennen will; Weigall, der in Christus den wiederauferstandenen Echnaton feiert; Mann, der in den alten Spuren mythische Prägungen wahrnimmt, die unserer Seele Tiefe und unserem Leben Sinn geben können; Freud, der die (vormals jüdisch bestimmte) Großtat der Wiedereinsetzung des Urvaters in Gestalt des einen Gottes Echnaton dem Ägypter zuschreibt; und Assmann, der »religiös Virtuose und Musikalische«, der mit feinem Gespür die Sprache der Gewalt wahrnimmt und auf den Preis aufmerksam macht, den wir für den Monotheismus (und damit zugleich für das Verstummen des Kosmotheismus) bis auf den heutigen Tag zu entrichten haben.

      Heute ist der Schrecken religiös codierter Gewalt allgemein und der unter dem Schlagwort »Kampf der Kulturen« firmierende Krisenzusammenhang längst um die Krise des islamischen Monotheismus erweitert worden. Doch die alte Vision, die drei verfeindeten Monotheismen in Erinnerung an den gemeinsamen abrahamitischen Anfang zu versöhnen, hat sich erschöpft – und durch die Auffindung eines vierren Monotheismus, der historisch gesehen an der Spitze steht, erledigt. Verbirgt sich hinter der Idee eines ägyptischen Vorläufers der alten Monotheismen ein neuer Mythos von der Einheit des Menschengeistes?4 Wenn dem so wäre, dann hätten wir ein weiteres Stück der geheimen Anziehungskraft des Paradigmas zutage gefördert; seine Durchsetzungsgeschichte aber wäre damit noch nicht erklärt. Der Siegeszug der Monotheismusthese hat erstaunlicherweise mit dem Gegenstand der Forschung selbst zu tun. Zugespitzt formuliert hält die um den Monotheismusbegriff gerahmte Sinngeschichte innerhalb des Diskurses um die Ära Echnaton eine quasi-monotheistische Position inne. Ihre Rekonstruktion der Ereignisfolge ist konkurrenzlos. Neben unzähligen Einzelanalysen, die häufig nur notdürftig chronologisch verlötet werden, gibt es keinen vergleichbaren Gesamtentwurf, der die rätselhafte Geschichte der Amarnakönige auf den Begriff zu bringen vermöchte. Die Monotheismusthese fungiert nach Art einer exklusiven Navigationshilfe durch das unwegsame Gelände von Raum und Zeit. Sie allein, so scheint es, verfügt über einen durchlaufenden roten Faden, der es erlaubt, die komplexe Geschichte als Abfolge von Phasen zu erzählen: der Einführung, der Radikalisierung, der Wiederaufgabe und der Verfemung einer grundstürzenden monotheistischen Religion.

      Reden so die ausgegrabenen Steine? So und anders. Das Dilemma des saxa loquuntur besteht ja darin, dass jeder Fund gedeutet werden muss. Kein Monument interpretiert sich selbst. Das gilt für

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