Echnaton oder Die Erfindung des Monotheismus: Zur Korrektur eines Mythos. Franz Maciejewski

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Echnaton oder Die Erfindung des Monotheismus: Zur Korrektur eines Mythos - Franz Maciejewski страница 6

Echnaton oder Die Erfindung des Monotheismus: Zur Korrektur eines Mythos - Franz Maciejewski

Скачать книгу

selbst; als er nach Tutanchamun den Thron besteigt, schließt sich der Kreis. Der finale Triumph markiert zugleich das Ende des Hauses Juja.

Bildtextbeschreibung

      Die Wiedergewinnung einer genuin politischen Ebene zur Erklärung der Ereignisse, die zum Untergang der Thutmosiden führten, gelingt erst, wenn die zentrale Rolle, die Echnaton im Rahmen der Rekonstruktionsgeschichte zugewachsen ist, aufgegeben wird. Dazu muss das enge (und analytisch gesprochen: überdeterminierte) Geschichtsfeld von Amarna räumlich wie zeitlich erweitert werden. Out of Amarna, das heißt vor allem Preisgabe der Fixierung auf theologische und religionspolitische Fragen. Ein solchermaßen beschränkter Diskurs interpretiert alle relevanten Geschichtsmomente im Lichte der »religiösen Revolution« des Echnaton. Unter den Stichworten »Neue Sonnentheologie« und »Kultische Privilegierung solarer Gottheiten« sinkt die Epoche der Vorgänger zur bloßen Vorgeschichte eines kommenden Großereignisses herab. Ich werde dagegen plausibel machen, dass die Geschehnisse von Amarna Teil einer größeren Geschichte sind, die nicht (allein) religionspolitisch, sondern in erster Linie machtpolitisch inspiriert war.

      Eine zweite vernachlässigte Dimension ist in meiner Rekonstruktion der Debatte von Anfang an zur Sprache gekommen, in Form der verschiedenen Reaktionsweisen auf die irritierende Körperlichkeit Echnatons. Diese bestehen typischerweise in einer Art von Abwehrhaltung, der Weigerung, den Eindruck einer bedeutsamen Leiblichkeit als Moment der Erkenntnis zuzulassen. Erlaubt ist einzig eine medizinische Ferndiagnose, und so wird bis heute mit zweifelhaften Expertisen darüber gestritten, ob Echnaton vielleicht unter dem »Fröhlich’schen Syndrom« oder eher unter dem »Marfan-Syndrom« gelitten haben könnte.7 Dabei steht der deformierte Körper des Königs nicht allein; seine Darstellung ist Teil einer ostentativen Sinnlichkeit, die sämtliche Abbildungen der Schönen und Nackten von Amarna durchzieht. Die ebenso anziehend wie abstoßend wirkende Körperlichkeit kulminiert in der offen zur Schau gestellten Tyrannei der Intimität, wie sie vor allem in den Familienszenen vorherrscht; sie hat ihren Höhepunkt in der androgynen Kolossalfigur Echnatons, die den frühen Atontempel von Karnak zierte. Mit dem Wissen um mehrschichtige inzestuöse Verbindungen innerhalb der königlichen Familie schließt sich dieser aufdringliche Bildkomplex – von einem psychoanalytischen Blickwinkel aus betrachtet – nahezu zwangsläufig zur Vorstellung eines ganz anderen Syndroms zusammen. Sichtbar wird der Glutkern eines heilig-verfluchten Eros, der die gleichsam gefühlte (nicht erdachte) Kraft der Sonnenenergie des »lebenden Aton« aufscheinen lässt – und damit den Beziehungsaspekt hinter dem Inhaltsaspekt der Atonreligion zur Sprache bringt. Ich werde zeigen, dass die charismatische Prophetie des Echnaton nur vor dem Hintergrund eines sich über mehrere Generationen erstreckenden inzestuösen Familienzusammenhanges verstanden werden kann, der die dynastisch erlaubten Gleise einer Bruder/Schwester-Verbindung verlassen hat. Der (in den Worten der griechischen Tragödiendichtung) »sich fortzeugende Frevel« des Inzests bezeichnet den verborgenen seelischen Motor hinter den Umwälzungen und Zerwürfnissen der Amarnazeit. Die aufgenommene Spur einer verhängnisvollen Sexualpolitik verspricht ineins das Rätsel um die Herkunft der Prinzen Semenchkare und Tutanchaton zu lösen.

      Die durchgehende Privilegierung des theologisch-religiösen Diskurses hat sowohl die machtpolitische als auch die sexualpolitische Dimension in den Schatten gestellt. Beide Ebenen spielen im Monotheismusparadigma praktisch keine Rolle. Ihre Wiedergewinnung bedeutet aber nicht, dass nun die religionspolitische Ebene der Aufmerksamkeit entzogen werden soll. Ihre grundsätzliche Bedeutung liegt offen zutage; sie ist unbestritten, bedarf aber im Lichte einer thematisch breiteren Debatte einer Neubewertung. Auch die Anfänge der Kultreform liegen out of Amarna – und (noch) nicht in den Händen Echnatons.8 In den frühen Regierungsjahren Amenophis’ IV. werden im thebanischen Karnak die ersten Aton-Tempel errichtet. Formell im Namen des jungen Königs erbaut, zeigen die Heiligtümer deutlich die Handschrift von Teje und Eje. Ihre auffälligsten Elemente, die Kolossalstatuen des Königs und die Pfeiler der Königin, sind der eindrückliche Ausweis der absoluten Gleichrangigkeit eines gottgleichen Königspaares. Das heißt, jene Position, die sich Teje im Verlauf einer langen Regierungszeit erobern musste, wird Nofretete von Beginn ihrer Regentschaft an auf den Leib geschrieben. Mit der Einführung einer monotheistischen Religion hat das nichts zu tun. Die frühe Atonreligion ist vielmehr Mittel zum Zweck: der Herrschaftssicherung und Legitimierung der weiblichen, aus dem Hause Juja stammenden Linie.

      Auch das frühe Sed-Fest dient der religionspolitischen Zementierung des prekären Machtgefüges zwischen dem Geschlecht der Thutmosiden und dem Hause Juja. Dass es sich um herrschaftssichernde Königstheologie handelt und nicht um das Weiterspinnen einer monotheistischen Sonnentheologie, belegt das Nebeneinander des Aton mit den anderen Gottheiten. Die traditionelle Göttervielfalt ist beim Erneuerungsfest des Königs noch unangetastet geblieben. Erst Echnaton der Amarnakönig legt Jahre später Hand an die alte Komplementarität von Gott und Göttern. Als er die Zügel der Macht endlich in die Hand nimmt, radikalisiert er eine Entwicklung, die ursprünglich anders gemeint war. Und doch hat Achetaton als Ganzes die polytheistische Semantik, die seit alters her ein Oszillieren zwischen dem Einen und den Vielen war, nicht wirklich durchbrochen. Die sich zunehmend dogmatisch gebende Monolatrie, die das Königspaar ausübt, wird seitens der erweiterten Atongemeinde konterkariert durch die Verehrung einer Trias aus Aton, Echnaton und Nofretete – und der Duldung von nachrangigen Gottheiten. Nicht in der Stiftung einer monotheistischen Religion, sondern – so die hier vertretene These – in der Errichtung eines Gottesstaates des Aton verbirgt sich die revolutionäre Tat des Echnaton. Zum ersten Mal in der Weltgeschichte vollzieht sich in Amarna die Umbuchung der politischen Bindungen auf Gott. Der Kult feiert und erneuert die unumschränkte Königsherrschaft des Gottes im heiligen Bezirk von Achetaton, in dem der junge Pharao als dessen erster Prophet auftritt.

      Mit der Neubewertung der Tat des Echnaton – Theokratie statt Monotheismus – fällt auch auf die Gedächtnisgeschichte von Amarna ein neues Licht. Im Assmann’schen Entwurf ist die lange unterirdisch verlaufende Erinnerungsspur der verdrängten Atonreligion erst nach Ablauf eines Jahrtausends wieder greifbar – am Material einer fragmentarischen und mehrdeutigen Legende. Ein problematischer Befund. Der vorgeschlagene Perspektivenwechsel lenkt dagegen den Blick auf eine weitere theokratische Gründung auf ägyptischem Boden nur 250 Jahre nach Amarna: den thebanischen Gottesstaat des Amun. Erst in dieser Gegenüberstellung wird die Rede von Trauma, Verdrängung und Wiederkehr des Verdrängten konkret. Ethnopsychoanalytischem Verständnis zufolge kann die Aufrichtung des Gottesstaates des Amun als weitgehend unbewusste Reaktionsbildung auf den Gottesstaat des Aton verstanden werden – mithin als eine traumatische Reinszenierung. Träger dieser Bewegung war offensichtlich die entmachtete und gedemütigte Amun-Priesterschaft, die bestrebt war, die historische Niederlage über den bekannten Mechanismus einer »Identifikation mit dem Aggressor« in ihr Gegenteil zu verkehren und so ungeschehen zu machen.

      Die zu Trittsteinen einer noch weithin unaufgedeckten Gedächtnisgeschichte verbundenen Theokratien von Amarna und Theben lenken den Blick unwillkürlich out of Egypt: auf das nachexilische Juda, wo die theokratische Semantik des Gottesstaates geschichtlich ein drittes Mal Fuß fassen konnte. Ist der judäische Gottesstaat (auf den Josephus Flavius den Begriff Theokratie ursprünglich gemünzt hat) jenseits der angeblichen Wirkungsgeschichte des monotheistischen Geistes in Wirklichkeit durch das jahrhundertelange Beispiel des thebanischen Gottesstaates beeinflusst worden? Mit der hier aufblitzenden »Nähe Amuns zu Jahwe« (Manfred Görg) verliert die von Jan Assmann postulierte Verbindung Echnatons zu Moses weiter an Plausibilität. Als Marker des Wiederauftauchens der traumatischen Amarnaerinnerung ist der Bericht des Manetho ohnehin nur bedingt geeignet, weil in ihm das Gedächtnis vieler anderer Leidenszeiten eingeschrieben ist. In ihrem Kern ist die »Legende von den Aussätzigen« eine polemische Gegengeschichte zur jüdischen Exoduserzählung, die (vergeblich) versucht, die historisch bezeugte Vertreibung der Hyksos aus Ägypten mit dem mythischen Auszug der Israeliten, der zweiten semitischen Großgruppe, in ein Verhältnis zu bringen. Alle Missverständnisse haben damit zu tun, dass die antiken Autoren (und in ihrer Nachfolge nicht wenige der christlichen

Скачать книгу