Echnaton oder Die Erfindung des Monotheismus: Zur Korrektur eines Mythos. Franz Maciejewski

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Echnaton oder Die Erfindung des Monotheismus: Zur Korrektur eines Mythos - Franz Maciejewski

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Monarch; vielmehr habe der Pestgott Nergal seine Hände im Spiel.

      Dass das Kupfer so wenig ist, kein Kummer komme darüber in dein Herz! Denn in meinem Land hat die Hand Nergals, meines Herrn, alle Menschen meines Landes getötet, und so ist keiner da, der Kupfer bereitete.

      Mein Bruder, in dein Herz komme kein Kummer darüber, dass dein Bote drei Jahre in meinem Land geblieben ist; denn die Hand Nergals ist auf meinem Land und auf meinem Hause. Meine Frau hatte einen Sohn, der jetzt tot ist, mein Bruder.

      Wahrscheinlich um dieselbe Zeit – der kanadische Ägyptologe Redford datiert EA 35 in die Nähe des fünften Regierungsjahres von Amenophis IV.-Echnaton – wütete die Seuche entlang der phönizischen Küste. Einer der lokalen Stadtfürsten, Rib-Addi von Byblos, meldet die Pest mit den Worten: »Die Leute von Simyra dürfen nicht in meine Stadt kommen; es herrscht Pest in Simyra« (EA 96). Wenig später, nach dem Fall von Simyra, tragen Flüchtlinge die Pest dennoch nach Byblos, der für Ägypten von alters her wichtigsten Handelsmetropole in der Region. Rib-Addi versucht entsprechende Nachrichten gegenüber dem ägyptischen Hof herunterzuspielen, jetzt wohl seinerseits aus Furcht vor Isolierung, einer drohenden Quarantäne von Menschen und Waren (Zedernholz aus dem Libanon und Papyrus aus Ägypten); aber seine abwiegelnden Worte klingen wenig überzeugend:

      Sie versuchen Ärger zu machen, indem sie vor dem König sagen: »Der Tod ist in der Stadt«. Möge der König, mein Herr, diesen Worten keinen Glauben schenken. Es gibt keine Pest im Land.

      Abgeschnitten vom Hinterland wie zuvor Simyra hat Byblos die Seuche möglicherweise über den Seeweg weitergetragen – nach Norden. Jedenfalls hören wir im Brief König Niqmaddus II. (EA 49) von der Erkrankung von Mitgliedern der königlichen Familie von Ugarit in Nordsyrien. Schließlich ist laut EA 11 auch die für eine diplomatische Verheiratung mit Echnaton auserwählte babylonische Königstochter – König Assuruballit erwähnt sie zuvor in EA 16 – an der Seuche gestorben. Die beiden letzten Nennungen bezeugen die breitgestreute Auswirkung der Epidemie in der Zeit der ausgehenden Regierung Echnatons. Hier schließt sich der Kreis, denn dies ist die Zeit der ägyptisch-hethitischen Kämpfe, in deren Verlauf die Pest nach Hatti übergreift – wie uns König Muršili zwanzig Jahre nach dem Ereignis berichtet.

      Wir haben eine Nachrichtenkette rekonstruiert, die es gestattet, die Ausbreitung der Plage über das Gebiet des gesamten östlichen Mittelmeerraums und für einen Zeitraum von mehr als einer Generation (etwa von 1348 bis 1313) für realistisch zu halten. Ägypten dürfte die verheerenden Folgen der Epidemie nicht nur an seinen Rändern (der Erkrankung von in Syrien stationierten Soldaten), sondern buchstäblich am eigenen Leibe, das heißt in der Heimat und hier vor allem im unterägyptischen Kernland, erfahren haben. Dafür spricht die frühe Datierung. Schenken wir den Aussagen des Königs von Zypern und des Fürsten von Byblos Glauben, so ist die Pest nicht erst gegen Ende der Regierung Echnatons, also in den Zeiten des ägyptisch-hethitischen Krieges, sondern bereits Jahre früher ausgebrochen. Es verwundert daher nicht, wenn Autoren wie Helck oder Redford darüber spekulieren, ob nicht die ungewöhnlich hohe Sterblichkeitsrate unter den Mitgliedern der königlichen Familie von Amarna (der frühzeitige Tod von vier Töchtern Echnatons und Nofretetes sowie der noch jugendlichen Könige Semenchkare und Tutanchamun, aber auch der Tod König Echnatons selbst, der nur knapp dreißig Jahre alt wurde) als Folge der Pest zu bewerten sei. Immerhin hatten, wie wir hörten, auch andere Fürstenhöfe – so in Hatti, Ugarit, Zypern und Babylon – Angehörige unter den Pestopfern zu beklagen. Diese medizinhistorische These hat durch eine erst jüngst entdeckte Quelle neue Nahrung erhalten. Seit 2006 wird im wüstenartigen Hinterland von Amarna ein großer Friedhof freigelegt, auf dem die normalen Bewohner der Stadt bestattet wurden, denen ein Felsengrab nicht zustand oder die sich ein solches nicht leisten konnten. Die (Knochen-)Funde sind eindeutig. Sie verweisen auf einen schlechten Gesundheitszustand und eine geringe Lebenserwartung zumindest der einfachen Bevölkerung. In Achetaton wurde jung gestorben, nur wenige wurden älter als Anfang dreißig.17

Bildtextbeschreibung

      Abb. 7: Sterbealter von 68 Personen, die auf dem südlichen Friedhof von Achetaton begraben wurden (nach Tietze 2008)

      Einige Autoren halten es sogar für möglich, dass schon die außerordentliche Entscheidung, die alte Metropole Theben zu verlassen und in einer unberührten Landschaft eine neue Hauptstadt aus dem Boden zu stampfen, durch das Motiv bestimmt (oder zumindest mitbestimmt) war, angesichts des wahrscheinlichen Überspringens der Epidemie auf die bevölkerungsreichen Zentren Ägyptens einen sicheren Zufluchtsort für den königlichen Hof zu schaffen. Wäre es so gewesen, hätte sich allerdings das Projekt angesichts der vielen Opfer als Fehlschlag erwiesen. Wie auch immer, die zunehmende Alleinverehrung des »lebenden Aton« könnte vor diesem Hintergrund tatsächlich als eine religionspolitische Notstandsmaßnahme verstanden werden, wie sie uns aus anderen Kulturen unter dem Stichwort einer »zeitweiligen Monolatrie« bekannt ist.18 So wurden Marduk, der babylonische Hauptgott, Assur, der Staatsgott der Assyrer, und der hebräische Jahwe in Kriegszeiten zeitweilig zu »göttlichen Kriegern« ausgerufen, denen eine bedingungslose Gefolgschaft zu leisten war – bis die Menschen nach überstandener Krise zur gewohnten Verehrung aller Götter zurückkehrten. Könnte es sein, dass Aton, der Gott mit den fürsorglichen Strahlenhänden, in den Zeiten des großen Sterbens als »Lebensgott« angerufen wurde? War die dogmatische Verhärtung der Kultreform einer wachsenden Angst geschuldet? Ist umgekehrt die Leichtigkeit des Seins, wie sie uns auf zahlreichen Mosaiken und Abbildungen aus Amarna entgegentritt, in Wahrheit Ausdruck eines Tanzes am Abgrund und einer rauschhaften Überbetonung des Hier und Jetzt?

      Spekulationen wie diese dürften kaum zu erhärten sein, aber indem sie den Horizont der möglichen Einflussfaktoren, die zum Projekt von Amarna geführt haben, in überraschender Weise erweitern, können sie als Warnung vor allzu voreiligen Festlegungen und Schlussfolgerungen dienen. Ich möchte sie zunächst im Raum stehen lassen und selber vorsichtiger formulieren: Die verheerenden Folgen einer mehr als 30-jährigen Pest müssen nicht nur die Könige von Zypern, Hatti und Babylon sowie die verschiedenen kanaanäischen Stadtfürsten, sondern mit ihnen auch alle Amarnakönige in Atem gehalten haben. Nach der Aufdeckung der Dachamunzu-Affäre, die uns später ausführlich beschäftigen wird, ist das Szenario einer gefährlichen Epidemie das zweite Krisensymptom, das einen dunklen Schatten auf das heitere Amarna wirft. Angesichts der zahlreichen Quellen auf der anderen Seite wäre es erstaunlich, wenn sich ägyptischerseits keine entsprechenden Erinnerungsspuren finden ließen. Um ihre Sichtung und Interpretation soll es jetzt gehen. Betreten wir – nach der hethitischen Ouvertüre – ägyptischen Boden.

      2. Die kanaanäische Krankheit

      Die im hethitischen Kontext so klar hervortretende Zwillingsgestalt von »Schuld und Plage« ist in der historischen Parallelwelt von Amarna nur nach der Art eines Vexierbildes zu erschließen. Erste Hinweise stammen aus der späten Amarnazeit, womit hier – unbeschadet der Tatsache, dass die beiden letzten Pharaonen dieser Epoche, Tutanchamun und Eje, den Regierungssitz nach Memphis verlegten – die gesamte Nach-Echnaton-Ära (ca. 1335 bis 1315) gemeint ist. Es handelt sich um einige Buß- und Dankpsalmen, in denen sich erste Anklänge einer mentalitätsgeschichtlich neuen Schuldkultur finden lassen.19 Sie gelten deshalb innerhalb der Ägyptologie als frühe Beispiele einer religiösen Strömung, die nach einem Wort von James Breasted als »persönliche Frömmigkeit« bezeichnet wird und erst in der Ramessidenzeit (der auf Amarna folgenden 19. und 20. Dynastie) ihren Höhepunkt erlebte. In älterer Zeit war es üblich, einen Unglücksfall oder eine Erkrankung bösen Geistern oder Feinden zuzuschreiben und zu den Mitteln der Magie und des Abwehrzaubers zu greifen. Nunmehr wurde die Ursache zunehmend in einer Schuld gesucht, die man persönlich und einer bestimmten Gottheit gegenüber auf sich geladen hatte. An die Stelle der magischen Handlung traten das Gebet und die Abbitte an die zürnende Gottheit in der Hoffnung auf Errettung. Mit der neuen Entwicklung erhielt die ägyptische Schuldkultur so etwas wie einen »Sitz im Leben«. Die

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