Echnaton oder Die Erfindung des Monotheismus: Zur Korrektur eines Mythos. Franz Maciejewski

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Echnaton oder Die Erfindung des Monotheismus: Zur Korrektur eines Mythos - Franz Maciejewski страница 11

Echnaton oder Die Erfindung des Monotheismus: Zur Korrektur eines Mythos - Franz Maciejewski

Скачать книгу

mit der »Wägung des Herzens« im Zentrum – die stereotype Unschuldsbeteuerung, den für das Überleben im Jenseits unabdingbaren Nachweis einer schuldfreien Lebensführung. Diesem »negativen Bekenntnis« (»Ich habe nichts Krummes getan, keinen Tempelbesitz gestohlen, keinen Kornwucher betrieben« etc.) stand damit ein positives Schuldbekenntnis zur Seite. Die rituelle Reinigung, welche den Toten galt, wurde durch die neue Form einer schuldbezogenen Selbstthematisierung, wie wir sie beispielhaft in den Pestgebeten des Muršili kennengelernt haben, überlagert.

      Das früheste Zeugnis dieser Art, oder besser deren Vorläufer, ist ein Graffito, der in einer verlassenen Grabkapelle in den thebanischen Bergen entdeckt wurde, im Grab eines gewissen Pere. Die Schrift ist einem Priester und Schreiber namens Pawah (dem Bruder des Grabbesitzers) gewidmet und auf das »Jahr 3« des Königs Anchcheperure-Semenchkare, des Vorgängers des Tutanchaton, datiert (Abb. 8). Die Nennung des Regenten enthält die aus der Königstitulatur geläufige Beifügung »geliebt von Aton«, ein deutlicher Hinweis auf den offiziellen Fortbestand des Aton-Kultes. Gleichwohl – und das ist das Bemerkenswerte an diesem Text – ist sein Adressat der alte, verfemte Reichsgott Amun. Semenchkare hatte offenbar als Zugeständnis an die Opposition in Theben einen dem Amun geweihten Totentempel errichten lassen, in dem Pawah seine Dienste versah.

      Mein Herz sehnt sich danach, dich zu sehen.

      O Amun, Beschützer des armen Mannes ...

      Wende dich uns wieder zu, o Herr der Ewigkeit.

      Du warst hier, als noch nichts entstanden war,

      und du wirst hier sein, wenn sie gegangen sind.

      Du lässt mich Finsternis sehen, die du gibst;

      Leuchte mir, dass ich dich sehe!

      So wahr dein Ka dauert, so wahr dein schönes Angesicht dauert,

      du wirst kommen von fern und geben,

      dass dein Diener, der Schreiber Pawah, dich erblickt.

Bildtextbeschreibung

      Dies ist der Klagepsalm eines »armen Mannes« an den abwesenden Gott, verfasst in einer Situation der Not. Pawah gehört der demoralisierten Amun-Priesterschaft an, die unter Echnaton verfolgt wurde und erst unter Semenchkare wieder in offizieller Funktion amtieren durfte. Eine Zeit also zwischen Hoffen und Bangen. Pawah spricht eine Bitte aus, enthüllt aber (noch) keinen Schuldzusammenhang. Die Sehnsucht nach Heilung ist eingekleidet in den Wunsch nach dem Anblick des lange verfemten Gottes. Ob dem ein individuelles Geschick oder ein allgemeines Leiden zugrunde liegt, lässt sich letztlich nicht entscheiden. Üblicherweise hat man die Notlage im Sinne einer wirklichen Blindheit gedeutet. Das ist jedoch nicht zwingend. Die Rede von »uns« und »sie« (in Vers 3 und 5) spricht eher für einen kollektiven Kontext. In dieser Deutung erscheint »Finsternis« als eine Metapher für die Abwesenheit resp. Verbannung des Gottes Amun. Wenn es sich so verhielte, stünde implizit die von Echnaton verschuldete Gottesferne im Zentrum der Klage.

      Es ist aufschlussreich, einen Text hinzuzuziehen, dessen Autor dem Zentrum der Macht näher gestanden hat, der jedoch ganz ähnliche Bilder und Redewendungen enthält. Dies gilt etwa für die Steleninschrift eines gewissen Hui, der unter Tutanchamun das Amt eines Vizekönigs von Nubien innehatte.

      Komm in Gnaden, mein Herr Tutanchamun!

      Ich sehe Finsternis, die du bewirkst, Tag für Tag.

      Mach mir Licht, dass ich dich sehe,

      dann will ich deine Macht verkünden den Fischen im Fluss

      und den Vögeln im Himmel.

      Ziemlich sicher tritt Hui hier nicht als jemand in Erscheinung, der mit Blindheit geschlagen, sondern der des Anblicks seines Königs, des »lebenden Abbilds des Amun«, beraubt ist. Es ist diese Gottesferne, die wiederum als Finsternis bezeichnet wird. Licht und Finsternis sind in beiden Texten die zentralen Metaphern für die Abwesenheit von jemandem, nach dessen Anblick man sich sehnt. Aber nur im ersten Fall, dem Graffito des Pawah, blitzt etwas von einer Schuld auf, die jene Gottesferne bewirkt haben könnte. Wie ein Schattenriss erkennbar wird dieser noch schemenhaft bleibende Schuldzusammenhang erst auf einer Inschrift des Tutanchamun selbst. Die ihm zugeschriebene Restaurationsstele – wir dürfen als ghostwriter hinter dem Kindkönig den »Gottesvater« Eje vermuten – spricht zweifelsfrei von einer gesellschaftlich verschuldeten Gottesferne, deren Folgen das ganze Land getroffen haben:

      Als seine Majestät [Tutanchamun] als König erschien,

      da waren die Tempel der Götter und Göttinnen

      von Elephantine bis zu den Sümpfen des Deltas ...

      im Begriff, vergessen zu werden,

      ihre Heiligtümer fingen an zu vergehen,

      indem sie Schutthügel geworden waren,

      mit Unkraut bewachsen,

      und ihre Kultbildräume waren, als wären sie nie gewesen,

      ihre Hallen ein Fußweg.

      So machte das Land eine Krankheit durch,

      und die Götter kehrten diesem Land den Rücken.

      Wenn man Soldaten nach Syrien schickte,

      die Grenzen Ägyptens zu erweitern,

      so hatten sie keinerlei Erfolg.

      Wenn jemand einen Gott anflehte,

      etwas von ihm zu erbitten,

      so kam er nicht.

      In diesem Text wird die unheilvolle Gottesferne nicht mit »Finsternis« sondern mit »Krankheit« assoziiert. Nun zählt der Begriff für Krankheit, wie er hier verwendet wird, zur Topik der traditionellen Chaosbeschreibung. Die Inschrift greift an dieser Stelle auf ein literarisches Zitat zurück, das aus den »Prophezeiungen des Neferti« (einem klassischen Text der ägyptischen Literatur) stammt.20 Wird dort die Leidenszeit im Bild der Verkehrung aller sozialen Verhältnisse veranschaulicht (»Der Schwache ist jetzt stark, man grüßt den, der sonst grüßte«), so wird hier die Krise im dramatischen Bild der völligen Abkehr der Gottheiten festgehalten: »Die Götter kehrten diesem Land den Rücken.« Als zeitgenössisches Zeugnis muss die Metapher von der »schweren Krankheit« jedoch auch ein unabweisbares Realitätszeichen getragen haben. Wie wir gesehen haben, wütete in dem von den Göttern verlassenen Land die Pest. Lässt sich diese Verbindung, die zunächst nur als sekundäre Ableitung aus den hethitischen Texten plausibel ist, durch eine innerägyptische Quelle absichern?

      Hans Goedicke (1984) hat den erwünschten Nachweis anhand des »Londoner Medizinischen Papyrus«, der in die Regierungszeit des Tutanchamun datiert wird, erbracht. In einer luziden Textinterpretation hat er zeigen können, dass der Papyrus die magische Anrufung zweier Gottheiten enthält, die vor der »Krankheit der Amu« (der Pest) schützen sollen. Amu war im Alten Ägypten die gängige Bezeichnung für die »Asiaten«, so dass wir den Ausdruck mit »asiatische Krankheit« oder regional präziser »kanaanäische

Скачать книгу