Echnaton oder Die Erfindung des Monotheismus: Zur Korrektur eines Mythos. Franz Maciejewski

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Echnaton oder Die Erfindung des Monotheismus: Zur Korrektur eines Mythos - Franz Maciejewski

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oder der »spanischen Grippe«) und die stets eine Herkunftsvermutung mit einer apotropäischen Abweisung verbindet. Die nähere Spezifizierung des Papyrustextes bringt weitere Klarheit. Die Fürbitte wird in »der Sprache der Keftiu« (Kreter) vorgetragen und richtet sich an zwei nicht-ägyptische Götter (Santas und Kupapa), für die Goedicke einen anatolischen Hintergrund vermutet – womit überraschend (und doch erwartbar) die hethitische Karte im Spiel ist. Die Anrufung der anatolischen Götter macht Sinn, weil die Ägypter die Seuche mit Hatti in Verbindung bringen – wie umgekehrt die Hethiter mit den Ägyptern. Kreta steht dagegen mutmaßlich für das Land, das von der Epidemie aller Wahrscheinlichkeit nach verschont blieb; das Zitieren kretischer Sprache – mutmaßlich handelt es sich um Linear B – soll die Gunst des Verschontwerdens magisch auf die Schutzflehenden übertragen.

      Unsere Suche nach einer ägyptischen Reaktion auf die Epidemieerfahrung hat zu einem ersten Ergebnis geführt. Wie für die betroffenen Nachbarländer kann auch für Ägypten »eine eindeutige Betroffenheit über die kanaanäische Krankheit« (Goedicke) festgestellt werden. Mit dieser Vergewisserung im Rücken dürfen wir jener Metapher von der »schweren Krankheit« einen Doppelsinn unterstellen – ganz so, wie dies Jan Assmann in einer prägnanten Schlussfolgerung festgehalten hat: »Wenn man bedenkt, dass am Ende der Amarnazeit eine wirkliche Pest ausbrach, dann ist diese Beschreibung nicht nur metaphorisch zu verstehen.« Das ist nun aber keineswegs so zu interpretieren, als enthalte die Inschrift der Restaurationsstele gleichsam als Subtext den in den hethitischen Texten ausgemachten Zusammenhang von Schuld und Strafe. Ganz im Gegenteil. Der zeitgleiche Londoner Medizinische Papyrus verharrt noch ganz im Kontext ritueller Reinigung; er nährt freilich zugleich den Verdacht, bestimmte Kreise am ägyptischen Hof könnten ein Interesse daran gehabt haben, den sozialen Ursachen- und Schuldzusammenhang der kanaanäischen Krankheit gezielt außer Landes zu lokalisieren und damit zu einer nicht-ägyptischen Angelegenheit zu machen. König Tutanchamun ist jedenfalls kein ägyptischer Muršili; die Idee einer Strafaktion ägyptischer Götter, die mit der Seuche geschehenes Unrecht ahnden, bleibt eigentümlich blass und vage. Das Moment des Unausgeführten zeigt sich am deutlichsten darin, dass die am Auszug der Götter Schuldigen im Stelentext nicht einmal andeutungsweise genannt werden.

      Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn wir einen zweiten historischen Text, mit dem die Steleninschrift des Tutanchamun eine verblüffende Ähnlichkeit hat, einblenden. Es handelt sich um die große Inschrift der Königin Hatschepsut am Felsentempel von Speos Artemidos. Vier Generationen vor Amarna in Erinnerung an die Überwindung der Schreckensherrschaft der Hyksos geschrieben, begründet auch sie (als Königin auf dem Pharaonenthron unter besonderem Legitimationsdruck stehend) eine Politik der Restauration und Erneuerung:

      Der Tempel der Herrin von Kusa [Hathor]

      war zerstört und verfallen,

      die Erde hatte sein edles Allerheiligstes verschlungen

      und Kinder tanzten auf seinem Dach ...

      ...

      Ich habe wieder aufgebaut, was zerstört war

      Seit der Zeit, als die Asiaten Avaris beherrschten,

      räuberische Horden unter ihnen.

      Sie stürzten um, was gebaut war;

      Sie herrschten ohne Re ...

      Hier wird das Unheil in ganz ähnlicher Weise als Bruch mit der göttlichen Ordnung beschrieben. Die Klage gilt der Abwesenheit der Gottheit, der Schließung und dem Verfall der Tempel sowie der Einstellung der Kulte. Im Unterschied aber zur Inschrift des Tutanchamun nennt Hatschepsut die Verursacher des Übels beim Namen. In der Rede von den »räuberischen Horden aus Avaris«, die »ohne Re herrschten«, sind die aus Kleinasien stammenden Hyksos eindeutig erkennbar.

      Der Grund, warum Tutanchamun und seine Berater ihrerseits die Verantwortlichen mit Schweigen übergehen, ist schnell ausgemacht. Anders als Hatschepsut, die sich selbstbewusst in die Väterreihe der Ahmosiden und Thutmosiden (der natürlichen Feinde der Hyksos also) stellt, ist und bleibt Tutanchamun ein Kind Amarnas. Der im Jahre 3 oder 4 vollzogene spektakuläre Namenswechsel – von Tutanchaton zu Tutanchamun – suggeriert eine Kehrtwendung, die allein schon durch das Zeugnis der Physiognomie – wenn wir uns etwa an den Berliner Kopf des Tutanchamun halten – dementiert wird, denn was wir erblicken, ist nichts anderes als das »lebende Abbild des Echnaton«, seines Vaters (Abb. 9). Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde deshalb diese Büste noch Echnaton zugeschrieben. Auch jenseits des Augenscheins, gewissermaßen zwischen den Zeilen der Hieroglypheninschrift, hat diese Aussage Gültigkeit. So ist schwerlich die Mehrdeutigkeit zu übersehen, die darin besteht, dass die religiös konnotierte Vater-Metapher der Steleninschrift (»Da erschien Seine Majestät auf dem Thron seines Vaters«) zwar der Anrufung des Vaters Osiris gilt, aber immer auch mit der Beziehung zum verstorbenen Vatergott Echnaton spielt. Noch eindeutiger weisen Teile der Grabausstattung den verstorbenen Tutanchamun als Amarnakönig aus. So trug die Mumie des Königs eine perlenbestickte Kappe, welche die Kartuschen des Gottes Aton zeigen, der als Strahlenaton ebenso die Rückenlehne eines beigegebenen Goldthrones ziert. Tutanchamun ist Teil des Schuldzusammenhangs, der aufgebrochen werden soll; er selber verkörpert den Gräuel. Mit ihm als Galionsfigur ist der offene Bruch mit der Politik von Amarna nicht wirklich zu vollziehen. Deshalb trägt die Restaurationsstele alle Anzeichen einer Kompromissbildung. Sie ist als zeitgenössisches Dokument von großer Deutlichkeit und belässt doch alles im Zwielicht von Andeutungen. Der kryptische Umgang mit der Amarna-Erinnerung, der – wie sich zeigen wird – die gesamte Gedächtnisgeschichte durchzieht, hat hier seinen Ursprung. Und schemenhaft ist zu erkennen, wie das Unbewusste in der Kultur Ägyptens dieses Dilemma »nutzt«, um nach einem anderen historischen Referenzrahmen Ausschau zu halten, dem das Gedächtnis von Amarna eingeschrieben werden kann.

Bildtextbeschreibung

      Natürlich wird man an dieser Stelle fragen müssen, warum der wirklich starke Mann im Staate, der militärische Befehlshaber Haremhab, nicht schon in jenen Tagen die Zügel der Macht selbstbewusst in die Hand genommen hat. Ganz offensichtlich war es zu einem Staatsstreich noch zu früh. Zwar wirft die Figur des Haremhab mit dem so ungewöhnlichen wie anmaßenden Titel »Stellvertreter des Königs« einen bedrohlichen Schatten in Richtung des Zentrums der Macht; aber der General ist selber von Amarna kontaminiert. Er hat nicht nur seine militärische Karriere unter der Regierung Echnatons begonnen21, er muss auch wie kein anderer für die außenpolitischen Misserfolge der Amarna-Zeit seinen Kopf hinhalten. Erstaunlicherweise hält die Restaurationsstele des Tutanchamun dieses Faktum ungeschminkt fest – eine Eingebung, die man auf Eje, den mächtigen Gegenspieler, beziehen möchte. Mit der Erwähnung der erfolglosen Kämpfe an der Nordgrenze Ägyptens wird die Erinnerung an die militärische Niederlage gegen die Hethiter wachgerufen. Die aber ist, wie wir gesehen haben, entscheidend mit dem Ausbruch der Pest verbunden, denn die Dezimierung des ägyptischen Expeditionscorps durch die Seuche dürfte den Verlauf der Auseinandersetzungen nicht unerheblich beeinflusst haben. Ein weiteres Mal bestätigt sich die Mehrdeutigkeit im Begriff der »Krankheit«: Amarna wird heimgesucht von der Plage der Pest und ist insgeheim selber eine Plage.

      Die Machtübernahme der Militärs musste warten, bis sich die Lage an der Front entspannt – und möglicherweise die Pestepidemie ihren Höhepunkt überschritten hatte. Haremhab, heißt das, musste mit Eje einen weiteren Amarna-König an sich vorbeiziehen lassen; keinen beliebigen übrigens, sondern den letzten Vertreter des Hauses Juja, einen ausgewiesenen Exponenten des Aton-Kultes, denn es ist (wie bereits erwähnt) die Grabanlage Ejes, die uns den berühmten Sonnengesang in seiner langen Fassung überliefert hat. Als Haremhab im Jahre 1315 endlich den Thron besteigt, besteht einer

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