Echnaton oder Die Erfindung des Monotheismus: Zur Korrektur eines Mythos. Franz Maciejewski

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Echnaton oder Die Erfindung des Monotheismus: Zur Korrektur eines Mythos - Franz Maciejewski

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einer ägyptischen Großgruppe wie der Atongemeinde von Amarna wahrgenommen haben. Werden die Fäden von Geschichte und Gedächtnisgeschichte wieder auseinandergehalten, findet das Verwirrspiel um Moses den Ägypter ein Ende.

      Unbeschadet dieser Einwände lenkt die These, bei Moses handele es sich um eine verschobene Erinnerung an den verdrängten Pharao, den Blick auf die mythologische Ebene; sie hat in der Amarnageschichte bis heute keine deutliche Kontur erfahren und sollte deshalb nicht leichthin verworfen werden. Ist es möglich, dass die Gestalt des Echnaton in einem anderen als dem biblischen Mythos verdeckte Spuren hinterlassen hat? Erinnern wir zunächst noch einmal an den besonderen historischen Raum, in dem Amarna angesiedelt ist: die späte Bronzezeit. Diese Zeit ist im kulturellen Gedächtnis des Abendlandes als heroische Epoche lebendig geblieben. Vor allem die griechische Antike hat diese Erinnerung wachgehalten und dabei den Untergang des heroischen Zeitalters auf die Kriege um Theben und Troia bezogen. Ihre Helden, Ödipus und seine Söhne nicht anders als Agamemnon oder Achill, bevölkern eine glänzende Vorwelt. Es ist, wenn wir uns die Fiktion gestatten, die Geschichte vor der Kulisse des Mythos abspielen zu lassen, die Welt von Theben, Amarna und Piramesse. Steckt im göttergleichen Geschlecht der letzten Thutmosiden und ersten Ramessiden die historische Vorlage für das göttergleiche Geschlecht der Heroen? Für den Kampf um Troia lässt sich zeigen, dass der gewaltige gedächtnisgeschichtliche Raum, in dem die Ilias Platz greift und den das Epos mit einer verwirrenden Vielfalt von Erinnerungsfäden vernetzt, von zwei ägyptischen Großereignissen begrenzt wird: durch die Schlacht von Kadesch (1275/4 v.u.Z.) auf der einen, die Eroberung Thebens (663 v.u.Z.) auf der anderen Seite.9 Lässt sich Ähnliches für den zweiten Mythenstrang sagen? Gibt es eine Verbindung zwischen dem siebentorigen Theben im Lande Böotien und dem »hunderttorigen Theben« im Land der Ägypter, das Homer besungen hat? Ist König Ödipus der zu Echnaton passende Mythos?10

      Unter dieser Fragestellung soll in behutsamer Weise der mythologische Bodensatz gefiltert werden, in dem die Amarnageschichte auf andere Weise überlebt haben könnte. Es ist dies zugleich – nach den unter den Stichworten Machtpolitik, Sexualpolitik, Religionspolitik und traumatische Gedächtnisgeschichte skizzierten Ebenen – die letzte Schicht, mit welcher der Sondierungsschritt zur Formulierung einer alternativen Sinngeschichte sein Ende findet. Zu den Eckpfeilern des neuen Erzählgebäudes, dessen Solidität und Standfestigkeit sich in den nachfolgenden Kapiteln zu beweisen hat, zählen – thesenhaft gebündelt – diese Aussagen:

       Das bewegende Geschichtsmoment der Amarnazeit ist ein vom Hause Juja betriebener Dynastiewechsel und nicht die Erfindung des Monotheismus.

       Zum Machterhalt werden inzestuöse Verwandtschaftsverhältnisse auf Dauer gestellt, welche letztlich den Untergang der Thutmosiden heraufbeschwören.

       Die religionspolitische Großtat Echnatons besteht in der Aufrichtung des weltgeschichtlich ersten Gottesstaates in Achetaton.

       Im thebanischen Gottesstaat des Amun erlebt die untergegangene Theokratie von Amarna nach Jahrhunderten eine traumatische Wiederkehr.

       Nicht in der Gestalt des biblischen Moses, sondern in König Ödipus könnte sich eine verschobene Erinnerung an König Echnaton erhalten haben.

      Sämtliche Bausteine meiner Argumentation stammen aus dem Fundus, den die Forschung zusammengetragen hat. Das heißt, ich selber werde keinen neuen Sensationsfund präsentieren, sondern die vorhandenen Materialien – als handele es sich um verstreute Talatatblöcke11 – neu zusammensetzen und deuten. Keines der zentralen Zeugnisse der Monumente und Keilschriften, der Hymnen und Inschriften, der Kunst und Architektur wird dabei unberücksichtigt bleiben. Alles, was hier erzählt wird, wurde schon einmal erzählt – nur bruchstückhaft oder in anderer Reihenfolge und mit anderem Zungenschlag. Diese Arbeit will nicht das Sichtbare wiedergeben, sondern (nach dem schönen Wort von Paul Klee) sichtbar machen. Die Leser werden eingeladen, Amarna zu verlassen, um von außen einen neuen Blick auf die erweiterte Epoche zu werfen. Das schließt ein, dass die Sache nicht nach der herkömmlichen Weise chronologisch abgehandelt wird. Die Kapitel des Buches schließen aneinander vielmehr an wie die Teile eines Puzzles. Sie müssen passen, Sinn machen und neue Möglichkeiten eröffnen. Das ist ihre Ordnung. Eine Ordnung, die es mit sich bringt, dass zuweilen etwas vorausgeschickt werden muss, was erst später eingeholt werden kann. Und so beginnt die ägyptische Reise in Hattuscha, der Hauptstadt des bronzezeitlichen Hethiterreiches, um nach langer Fahrt in der griechischen Thebais zu enden, dem Schauplatz einer Tragödie, die wir möglicherweise als fernes Echo auf den Aufruhr von Amarna verstehen müssen.

Bildtextbeschreibung

      Abb. 5: Das Königstor in Hattuscha (Detail des göttlichen Kriegers)

      I

      Der Fluch der bösen Tat

      1. König Muršili öffnet ein Fenster

      In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung wütet im Lande Hatti, dem auf dem Gebiet des heutigen Anatolien gelegenen Hethiterreich,12 die Pest. Als die Plage nacheinander den eigenen Vater (Šuppiluliuma I.) und Bruder (Arnuwanda II.) dahinrafft, bekennt der in Hattuscha residierende Großkönig Muršili II. – ein Zeitgenosse der beiden letzten Amarnakönige Tutanchamun und Eje – öffentlich seine Seelenpein. Die nicht enden wollende Not lehrt ihn beten. In einem sogenannten »Pestgebet« wendet er sich an den Dynastiegott sowie die übrigen Götter des Landes. In der doppelten Rolle des Königs, der das Leben und Überleben (von Menschen, Tieren und Pflanzen) in seinem Herrschaftsbereich zu schützen hat, und des obersten Priesters, der den Göttern nahe ist und den gesamten Ritualbestand an seiner Seite weiß, bittet er um ein Ende des Unheils.

      Wettergott von Hatti, mein Herr, und ihr anderen Götter von Hatti, meine Herren. Es sandte mich Muršili, der Großkönig, euer Diener: Geh und sprich zu dem Wettergott von Hatti, meinem Herrn, und zu den andren Göttern folgendermaßen:

      Das ist es, was ihr getan habt: in das Land Hatti habt ihr eine Pest hineingelassen, und das Land Hatti wurde von der Pest überaus hart bedrückt.

      Und wie es zur Zeit meines Vaters dahinstarb und zur Zeit meines Bruders und wie es, seit ich Priester der Götter wurde, nun auch vor mir dahinstirbt, das ist nun das zwanzigste Jahr. Und das Sterben, das im Lande Hatti herrscht, und die Pest wird von dem Lande noch immer nicht genommen.

      Ich aber werde der Pein im Herzen nicht Herr. Der Angst in der Seele aber werde ich nicht mehr Herr.

      Hier hadert kein Hiob mit seinem Schicksal. Wenn Muršili feststellt, dass die Götter die Pest in das Land gelassen haben, dann sind seine Worte von jedem Vorwurf frei. Er weiß die Verhängung des Unheils als Strafaktion einer zürnenden Gottheit zu deuten und er kennt die Voraussetzung, unter der allein eine Wende zum Heil vollzogen werden kann. Die von den Göttern erbetenen Machterweise hängen von der Offenlegung eines verschwiegenen Schuldzusammenhanges ab. Nur so kann der Fluch der bösen Tat aufgehoben werden. Der König befragt deshalb in einem zweiten Schritt das Orakel, um die Schuld herauszufinden beziehungsweise die Schuldigen benennen zu können, deren Handeln den Anlass für den Ausbruch der Pest gegeben hat. Die Auskunft verweist auf zwei »alte Tafeln« mit verbindlichen Vereinbarungen. Die eine verpflichtet das Land zu Opferriten für den Fluss Mala (den Euphrat), die aufgrund der Pest vernachlässigt wurden; die andere handelt von einem Vertrag mit Ägypten, der dem kulturellen Gedächtnis der Hethiter als »Vertrag mit den Leuten von Kuruštama« eingeschrieben ist – ein undurchsichtiger (wahrscheinlich in die Zeit Amenophis’ II. zurückgehender) Vorgang, bei dem »der Sturmgott Söhne des Hatti-Landes gepackt und sie nach Ägypten geführt hatte und sie hatte Ägypter werden lassen«. Dieser eidlich besiegelte Freundschaftsvertrag – der kleine Vorläufer des großen paritätischen Staatsvertrages,

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