Ciros Versteck. Roberto Andò

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Ciros Versteck - Roberto Andò Transfer Bibliothek

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im Sinn.

      Dort anzukommen, ist dir vorbestimmt.

      Doch beeile nur nicht deine Reise.

       Besser ist, sie dauere viele Jahre;

      und alt geworden lege auf der Insel an,

      reich an dem, was du auf deiner Fahrt gewannst,

      und hoffe nicht, dass Ithaka dir Reichtum gäbe.

      Ithaka gab dir die schöne Reise.

       Du wärest ohne es nicht auf die Fahrt gegangen:

       Was sonst erwartest du noch?

      Genau. Was konnte er sonst noch erwarten? Während er der Mehrdeutigkeit dieser Frage nachsann, ließ er sich von der Erinnerung an einen Sommer vor vielen Jahren auf Patmos forttragen. Die Hitze dort war unerträglich gewesen, doch er hatte kein bisschen darunter gelitten, im Gegenteil, die Stunden und Minuten jener brütenden Tage waren in einer der Sorge und Mühsal enthobenen Fülle vergangen. Vielleicht war das die Erwartung, auf die der Dichter anspielte. Statt die Reise hervorzuheben und die Bedeutung des Ziels herunterzuspielen – eine Botschaft, die er stets als banal und irritierend empfunden hatte –, kam es darauf an, gegen den Würgegriff der Zeit aufzubegehren, was nur gelang, wenn man sich den Pflichten entzog und lebte, als wäre man bereits gestorben. Das Leben ist eine mörderische Abfolge von Enttäuschungen, es ist unser Ithaka. Die Langeweile fernhalten und den Wächtern der Zeit die Kontrolle über unseren Atem entziehen, das ist das Geheimnis des Lebens.

      „Von Zeit allein kann man sich nicht ernähren, ohne Tod zu essen.“ Dieser durch und durch richtige Gedanke, der nicht zufällig von einer genialen Frau stammte, bedeutete ihm sehr viel.

      Die nächste Phase, die des Ankleidens, folgte einem Ritual, das wie stets nach Akkuratesse und Nüchternheit verlangte, eine Mischung, die dem Maestro wie angeboren war. Als ahnte er die große Überraschung, die der Tag für ihn bereithielt, vernahm Gabriele Santoro, während er sich die Hemdmanschetten zuknöpfte, ein irritierendes Geräusch aus dem Arbeitszimmer und stand auf, um nachzusehen, ob wohl ein Fenster offen geblieben war, doch als er das Zimmer betrat, verdutzte ihn der unerwartete Anblick eines Buches auf dem Fußboden. Er bückte sich, um es in Augenschein zu nehmen – es war eine illustrierte Ausgabe von Rudyard Kiplings Kim –, blickte sich suchend nach einer möglichen Ursache um und wurde, als er keine schlüssige Erklärung fand, von einem Unbehagen beschlichen, das er erst rückblickend zu benennen wusste: Vorahnung.

      Da klingelte es an der Tür. Er spähte durch den Spion und erblickte die hagere, unverwechselbare Silhouette seines Klavierstimmers. Abends zuvor hatte er ihn angerufen und dringend gebeten, vorbeizukommen und sich das Klavier anzusehen. Ein Wasserschaden hatte ihn vor einigen Tagen gezwungen, das Instrument vom Arbeitszimmer in den Eingang zu bugsieren. Als er es dann endlich wieder an seinen Platz gerückt hatte, hatte er beim Spiel eine leichte Verstimmung festgestellt.

      Der Klavierstimmer hieß Nunzio und war körperlich wie charakterlich so knöchern, als wäre er aus Holz geschnitzt. Seine gepresste Emphysematikerstimme ließ ihn strenger erscheinen, als er eigentlich war.

      Der Maestro bat ihn herein und führte ihn ohne viel Aufhebens zu dem günstig erworbenen, in Raten abbezahlten Steinway. Wie immer bat der Mann ihn als Erstes um die Erlaubnis zu rauchen, die er ihm wie immer erteilte.

      Nachdem er sich gierig seine filterlose Chesterfield angesteckt hatte, öffnete Nunzio sein Köfferchen und holte drei absonderlich anmutende Werkzeuge hervor, einen Ringschlüssel, einen Keil und eine Stimmgabel. Dann ließ er seinen unter einer schweren Makulopathie leidenden Blick über die im Zimmer und in den Regalen herrschende Ordnung wandern und fragte, was es mit dieser Grabesstille auf sich habe.

      „Zu dieser Tageszeit ist es immer ruhig“, entgegnete der Hausherr knapp.

      Tatsächlich verblüffte ihn die Feststellung, doch war sie womöglich als versteckte Anspielung aufs Alleinsein zu verstehen, und so verließ er, getreu einer alten Übereinkunft mit dem Klavierstimmer, das Zimmer.

      Sogleich machte sich Nunzio an die Überprüfung des Instruments. Aus dem Nebenzimmer vernahm Gabriele Santoro das jähe Aufklirren eines übermäßigen Akkords, dann eine gehaltene Note, gefolgt von einer in leicht dissonanten Mikrotönen ausgeführten Septime. Schließlich versank die Wohnung in vollkommener Stille.

      Einige Zeit später tauchte der Mann mit dem Köfferchen in der Hand wieder auf und verkündete, er sei fertig.

      „Leben Sie allein?“, fragte er neugierig.

      „Ja“, antwortete der Maestro, verwundert über das Schmunzeln des Mannes.

      „Ich nicht“, entgegnete Nunzio, „seit ein paar Jahren habe ich eine Katze. Und ich muss sagen, sie leistet mir gute Gesellschaft. Wieso schaffen Sie sich nicht auch eine an?“

      In Windeseile ging Gabriele Santoro die Gründe durch, derenthalben er diese Möglichkeit nie in Betracht gezogen hatte, nicht zuletzt, weil er allergisch war, dann stand er abrupt auf.

      „Wie viel schulde ich Ihnen?“, fragte er ungewollt brüsk.

      „Nichts. Diesmal müssen Sie nichts zahlen“, entgegnete der Klavierstimmer obenhin und begab sich zur Tür.

      „Warum nicht?“, fragte der Maestro überrascht.

      „Aus Sympathie“, raunte Nunzio, öffnete flink die Tür und verschwand.

      Ratlos grübelte Gabriele Santoro über den Grund dieser unverdienten Bezeigung nach, dann ging er gedankenversunken ins Arbeitszimmer, nahm am Flügel Platz und spielte eine der Douze Études pour piano von Debussy.

      Von der Sanftheit des Timbres beschwichtigt, verbrachte er einen geschäftigen Tag mit dem Studium der Schumann-Partitur und zwei langen Telefonaten, eines mit seinem Vater, das andere mit einem überaus pedantischen Kollegen, dem Lehrer für Kontrapunkttechnik, einem armen Kerl, der sich, obwohl kurz vor der Pension, noch immer die abwegigsten Strategien ausdachte, um der Feindseligkeit seiner Schüler Herr zu werden.

      Gegen acht Uhr, er bereitete gerade einen Sugo alla Puttanesca zu, wurde der Maestro einer seltsamen Unruhe gewahr, die von der Straße empordrang, und trat ans Fenster, unter dem ein ungewöhnliches und geräuschvolles Hin und Her im Gange war.

      Einige Männer wuselten nervös aus dem Hauseingang auf die Gasse hinaus, sammelten sich in Grüppchen vor der kleinen Madonnenstatue, steckten murmelnd die Köpfe zusammen und verfielen in hitzige Diskussionen und Streitereien, die sogleich von einem mageren, schmierigen Kerl erstickt wurden, dem es offenbar zustand, die Streithähne zu trennen und zu einer Umarmung oder einem Kuss aufzufordern, um den wiedererlangten Frieden zu besiegeln.

      Der Maestro beobachtete sie und überlegte, dass wohl etwas Schlimmes passiert sein musste (es war nicht ungewöhnlich, dass im Viertel Banden blutjunger Krimineller auftauchten), doch als sie wenig später endlich verschwanden, zog er den Vorhang wieder zu, wandte sich seiner halben Portion Spaghetti zu und wählte Schuberts Oktett in F-Dur, D 803 als Hintergrundmusik.

      Gabriele Santoro pflegte sich dem Hören in einer Art Dämmerzustand hinzugeben, den halb geschlossenen Blick eher nach innen denn auf die flüchtigen Unwägbarkeiten der Umgebung gekehrt. Gänzlich in die Musik versunken, befreite er sich endlich von seinem Ich und dessen übersteigertem Hang zur Vernunft.

      In

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