Ciros Versteck. Roberto Andò

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Ciros Versteck - Roberto Andò Transfer Bibliothek

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Bruder Renato anzurufen, der Staatsanwalt war, und ihn um ein Treffen zu bitten, um mit ihm über die merkwürdige Misslichkeit eines Freundes zu sprechen. Der Jurist schwieg einen langen Augenblick und entgegnete dann, er habe über ein Jahr nichts von ihm gehört.

      „Du meldest dich nach so langer Zeit, um mich um einen Rat für deinen Freund zu bitten? Vielleicht sollten wir erst einmal unsere eigenen Angelegenheiten klären, meinst du nicht, Gabriè?“

      Der Maestro hatte mit dem Unmut des Bruders gerechnet, er war darauf eingestellt, ein weiteres Mal das sinnlose Ritual zu durchlaufen, mit dem sie ihren Zwist zelebrierten und Probleme aufrührten, für die es nie eine Lösung geben würde. Also verabredeten sie sich für den nächsten Tag in einer Trattoria unweit der Staatsanwaltschaft beim Centro Direzionale.

      Gabriele Santoro verbrachte die Nacht mit der halbherzigen Lektüre einer Ravel-Biografie, doch die meiste Zeit betrachtete er den schlafenden Jungen, als könnte er so hinter das unlösbare Rätsel gelangen, das in seinen Zügen aufschimmerte.

      Als sie am nächsten Morgen beim Frühstück saßen, stellte Ciro ihm aus heiterem Himmel eine Frage, die ihn zutiefst verstörte: „Was hast du mit mir vor?“

      Statt zu antworten, behauptete er, darüber habe er noch nicht nachgedacht. In Wirklichkeit hatte er die ganze Zeit nichts anderes getan, doch die sich überschlagenden Ereignisse hatten ihm nicht die nötige innere Ruhe gelassen, einen Plan zu schmieden.

      Als er die Wohnung verließ, verabschiedeten sie sich voneinander, als würden sie schon seit einer Ewigkeit zusammenwohnen. „Ich muss was erledigen“, sagte der Maestro nur zu dem Jungen, der beklommen nickte. Auf dem Weg zur Treppe fragte er sich, ob er ihn einschließen sollte. Ja, beschloss er, das sollte er, auch wenn er sich dabei wie ein Gefängniswärter vorkam.

      Die Botschaften waren falsch, (Oder wir haben sie nicht gehört oder schlecht verstanden).

      Kostantinos Kavafis

      3.

      Der Bruder war ein gut aussehender, nicht uneitler Mann. Gabriele betrat die Trattoria und blieb stehen, um ihn heimlich zu mustern und sich über das fragliche Thema noch einmal klarzuwerden, ehe er es damit aufnahm. Mit dem gemessenen Habitus eines Menschen, der sich stets im Zentrum der Aufmerksamkeit wähnt, schrieb der Staatsanwalt etwas in ein Notizbuch.

      „Ciao, Renato“, sagte der Maestro verhalten. Langsam und mit kaum verhohlenem Unmut drehte sich der Angesprochene um.

      „Du bist zwanzig Minuten zu spät, nicht ein einziges Mal geht es ohne deine Laxheit.“ Obwohl er der jüngere Bruder war, lag in seiner Stimme ein unüberhörbar paternalistischer Ton.

      „Pünktlichkeit ist der Dieb der Zeit, pflegte Oscar Wilde zu sagen. Und es sind nur zehn Minuten. Deine Uhr geht ein wenig vor.“

      „Na schön, Gabriè, lass gut sein. Schau lieber nach, was du essen willst, ich habe nämlich schon bestellt.“

      Renato reichte ihm die Speisekarte, die der Maestro eingehend studierte, während er sich darüber klarzuwerden versuchte, wie er das Gespräch beginnen sollte.

      „Ich glaube, ich nehme die Pasta mit Kartoffeln, und du?“

      „Ich nehme gedämpften Graubarsch mit Bohnen.“

      „Willst du Wein?“

      „Du weißt, dass ich um diese Uhrzeit nicht trinke.“

      „Ich nehme einen Viertelliter.“

      Nachdem der Kellner die Bestellung aufgenommen hatte, stürzten sich die beiden Brüder in die Abgründe ihrer leidigen Familienangelegenheiten. Eine rechte Höllenfahrt. Sie führten das hinlänglich erprobte Theaterstück des Familienstreits auf, die improvisierte Dramaturgie eines Szenariums, das nie einen Schluss haben würde.

      Renato spielte den Pflichtbewussten und schob dem Bruder die Rolle des verantwortungslosen, asozialen Egoisten zu. Teilnahmslos hörte Gabriele zu und wich den Vorwürfen und Anfeindungen mit eleganter Gleichgültigkeit aus, als säße er gelangweilt in einem Film, den er bereits kannte.

      Als ihm das bleierne Schweigen nach der unerquicklichen Diskussion unerträglich wurde, kam der Staatsanwalt auf den eigentlichen Grund ihres Treffens zu sprechen:

      „Was wollte denn dieser Freund, den du am Telefon erwähnt hast?“

      Also begann der Maestro, sich seine Geschichte von der Seele zu reden, als hätte er nichts damit zu tun. Er berichtete von einem Typ, einem Kollegen, in dessen Wohnung eines Abends plötzlich ein zehnjähriger Junge gestanden und ihn um Hilfe gebeten habe. Der Junge wohnte im selben Mietshaus und wollte sich verstecken, weil er etwas Schlimmes ausgefressen hatte und fürchtete, dafür bestraft zu werden. Am meisten schreckte ihn die Aussicht, zum Vater zurückgebracht zu werden. Weil dem Freund der Verdacht gekommen sei, die Camorra hätte etwas damit zu tun, habe er ihn bei sich versteckt und versuche nun, einen Ausweg aus diesem Schlamassel zu finden. Aber was hätte er sonst tun sollen? Den Jungen zu den Eltern zurückbringen, vor denen er weggelaufen war? Oder hätte er ihn der Polizei übergeben sollen, die ihm gesagt hätte: Guter Mann, wir kümmern uns um Verbrechen, nicht um Vermutungen. Ganz zu schweigen davon, dass das zuständige Kommissariat bei De Vivo, dem Boss des Viertels, gelinde gesagt, ein Auge zudrückte. Also? Wie konnte man ihm helfen? Was sah das Gesetz in einem solchen Fall vor?

      Nachdem er die Geschichte in einem Atemzug erzählt und seine Fragen gestellt hatte, hielt Gabriele Santoro erwartungsvoll inne.

      Sein Bruder musterte ihn noch immer mit undeutbarer Miene und setzte schließlich seinen eisigen Robespierre-Blick auf, den der Maestro nur zu gut kannte.

      „Ich glaube dir kein einziges Wort“, hob Renato zischend an, „und ebenso wenig glaube ich, dass diese Geschichte einem Freund von dir passiert ist, in Wahrheit geht es um dich, aber du hast nicht den Mumm, es zuzugeben, und das völlig zu Recht, denn die Angelegenheit könnte dir zum Verhängnis werden, mein lieber Gabriele, zum Ver-häng-nis.“

      Der Staatsanwalt verstummte, ließ den Blick über den Tisch wandern, goss sich nervös einen Schluck Wein ein und leerte das Glas in einem Zug.

      „Dass du leichtfertig bist, wusste ich schon immer“, fuhr er mit gepresster Stimme fort, „aber dass es so weit mit dir kommen würde, hätte ich nicht für möglich gehalten. Du musst diesen Jungen unverzüglich zu seiner Familie zurückbringen, das ist das Einzige, was du tun kannst. Andernfalls riskierst du eine Anklage wegen Kindesentführung, dafür kannst du drei bis zwölf Jahre kriegen, das sage ich dir gleich. Und ich muss dir gewiss nicht erklären, was die Camorristi mit dir anstellen, sobald sie spitzkriegen, dass du den Jungen versteckst. Ist dir das klar?“

      Gabriele Santoro ließ die drohende Frage an sich abperlen und sah Ciros Gesicht vor sich, in dem der Blick eines gehetzten Tieres lag.

      Die ganze Sache war vollkommen wahnsinnig, in diesem Punkt war er mit seinem Bruder einig, doch die möglichen Konsequenzen ließen ihn völlig kalt.

      „Das heißt, von Gesetzes wegen ist dieser Junge geliefert?“ Er rückte noch ein Stück an Renato heran und blickte ihm geradewegs in die kalten, strengen Augen. Die Frage war denkbar einfach und die einzige, die für ihn zählte.

      Er konnte die auflodernde Wut seines Bruders spüren, und schon ging eine aufgebrachte Wortlawine über ihn nieder.

      „Von

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