Ciros Versteck. Roberto Andò

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Ciros Versteck - Roberto Andò Transfer Bibliothek

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du, Gabriele, von dem Gesetz, das du dir ausgedacht hast? Als könntest du nach Lust und Laune darüber verfügen, als wäre es dazu gemacht, um es der Fantasie zu überlassen. Denn von nichts anderem reden wir hier, wir reden von einer Geschichte, die sich ein Kind mit allzu lebhafter Fantasie zurechtgesponnen hat und über die du nichts weißt. Nullum crimen sine lege, nulla poena sine judicio, in dubio pro reo, audiatur et altera pars. Sagt dir das gar nichts? Von welcher Rechtsprechung redest du?“

      „Antigone, sagt dir der Name nichts, Renato?“ Verärgert, dass er sich zu einer Erwiderung hatte hinreißen lassen, biss sich der Maestro auf die Zunge.

      „Na bitte. Antigone hat gerade noch gefehlt. Leute wie du müssen sie immer wieder hervorkramen, ihr könnt einfach nicht anders, ohne das Fräulein der schönen Seelen lohnt es sich nicht zu tanzen. Nun, ich muss dich enttäuschen, Gabriele, doch mein Gesetz ist das des engstirnigen Kreon. Sein Bemühen, das Urteil zu entpersönlichen und Ordnung in das Chaos zu bringen, erscheint mir nützlicher, konkreter und maßvoller als Antigones Reinheitsdurst. Das ist Gerechtigkeit, der bescheidene Versuch, Ordnung in das Chaos zu bringen, die Finsternis, die uns umgibt, mit dem matten Licht zu erhellen, über das wir verfügen, und nicht mit dem Licht des Absoluten. Das gehört in die Literatur.“

      Sie verfielen in abgründiges, feindseliges Schweigen und Gabriele dachte wieder an Ciro, überlegte, was er wohl gerade machte, und fragte sich, ob er sich noch fürchtete. Ihm kamen Abraham und dessen Sohn Isaak in den Sinn und in einem wirren Gedankenstrudel landete er schließlich bei Jeremias und den Kinderspuren.

      Schließlich sprang sein Bruder auf, um zu zahlen, und der Maestro versuchte gar nicht erst, ihn davon abzuhalten und halbe-halbe zu machen. Er wartete, bis er zurückkehrte, und sagte:

      „Es tut mir leid, dass du so denkst.“

      Wie zu erwarten, wollte Renato ihm nicht das letzte Wort überlassen, sondern nahm sogleich wieder Platz, ergriff seinen Arm und bedachte ihn in gefasstem Ton mit einer letzten Warnung:

      „Hör mal, Gabriele, wir beide werden uns nie verstehen, du hast vor vielen Jahren deine unbegreiflichen Entscheidungen getroffen und zahlst mit deinem beschissenen Leben in einem beschissenen Viertel voller beschissener Menschen tagtäglich den Preis dafür. Das war dir lieber als deine eigene Geschichte, weil dir, wie du selbst gesagt hast, vor der Familie graust. Ich habe andere Entscheidungen getroffen und bin endlich an einem entscheidenden Wendepunkt angelangt. Wenn nämlich alles so läuft, wie es soll, werde ich in einem Monat in den Obersten Gerichtsrat gewählt, und glaub mir, diesmal werde ich nicht zulassen, dass du mir wie schon so manches Mal dazwischenfunkst. Nein, das werde ich nicht zulassen. Also, ruf mich nicht an, schreib mir nicht, vergiss, dass es mich gibt, vergiss sogar, dass ich dein Bruder bin. Aber ich will dir noch etwas sagen. Hör gut zu, Gabriele, ich glaube, dass es in deiner Lage ein Irrsinn wäre, mit diesem Abenteuer weiterzumachen. Sollten dir die Polizei oder die Justiz auf die Schliche kommen, und ich hoffe inständig, das wird nicht passieren, wärst du in ernsten Schwierigkeiten, verstehst du?“

      Renato schüttelte ein letztes Mal seinen Arm, stand auf und verließ das Lokal.

      Der Maestro war sprachlos, er hatte nicht damit gerechnet, dass sein Bruder so feiger Gedanken fähig wäre.

      Als er das Restaurant verlassen hatte, streifte er eine Stunde lang ruhelos umher und fand sich schließlich unversehens vor dem Eingang einer Polizeiwache wieder. Er betrat die Halle, und ein albinotischer Polizist fragte ihn, wie er helfen könne. Er wünsche mit dem diensthabenden Beamten zu sprechen, nuschelte der Maestro zerfahren.

      „Worum geht es?“, erkundigte sich der Polizist.

      „Das ist vertraulich“, flüsterte Gabriele Santoro. Es sei nur der Vizekommissar im Haus, doch der habe gerade zu tun, entgegnete der Polizist und wies ihm das Wartezimmer.

      Der enge, ringsum verglaste Raum war voller Menschen. Der Maestro nahm Platz, musterte die Gesichter seiner Leidensgenossen und versuchte, sich zum Zeitvertreib die Straftaten, Diebstähle und Gewalttaten auszumalen, von denen sie Meldung machen wollten.

      Nach einer Weile befiel ihn ein eigenartiges Unbehagen, als entwüchse der Verbindung zwischen den anwesenden Gesichtern und seinen Mutmaßungen etwas zutiefst Verstörendes. Also beschloss er, sich in sich selbst zu verkriechen, und tauchte erst wieder auf, als aus dem Korridor schallendes Gelächter herüberdrang.

      Ein Mann mit stumpfem Bulldoggengesicht und pockennarbiger Haut flachste mit zwei Typen, die Gabriele Santoro als De Vivos Männer erkannte.

      Schließlich umarmten ihn die beiden, küssten ihn und gingen davon. Der albinotische Beamte nutzte die Gelegenheit, näherte sich dem hundegesichtigen Mann und murmelte ihm etwas zu. Aus der Art, wie der Mann sich umdrehte und zu ihm herübersah, schloss der Maestro, dass er der Vizekommissar sein musste. Ihre Blicke trafen sich kurz, dann schnippte der Mann seine Zigarette auf den Boden, trat sie zweimal mit dem Schuh aus und verkroch sich wieder in seinem Büro.

      Der Albino betrat das Wartezimmer, flüsterte ihm salbungsvoll zu, er müsse sich noch eine Minute gedulden, und verschwand wieder.

      Kurz darauf stand Gabriele Santoro auf und ging.

      Ruhelos wanderte er durch die Straßen und verlor sich in düsteren, zermürbenden Gedankenschleifen. Irgendwann fand er sich erschöpft auf der Uferpromenade der Via Partenope wieder.

      Es herrschte der übliche Rummel, Kellner versuchten, ausländische Touristen anzulocken, doch das Meer funkelte in warmem Licht, auf das eine gelegentliche schwarze Wolke ihren düsteren Schatten warf. Eine Weile stand er da und betrachtete das Treiben der Menschen in den Gassen des Borgo Marinaro, dann kam ihm in den Sinn, dass Ciro sich inzwischen bestimmt Sorgen machte. Ich sollte besser zurückgehen, sagte er sich. Immerhin hatte er nie jemanden gehabt, der daheim auf ihn wartete – ein völlig neues und keineswegs unangenehmes Gefühl.

      Die Menschen kennen die Gegenwart, Die Zukunft kennen die Götter.

      Konstantinos Kavafis

      4.

      Die Portiersloge war mit einem von De Vivos Männern besetzt. Diesmal verzichtete Gabriele Santoro auf den Aufzug und nahm die Treppe. Als er den zweiten Stock erreichte, fiel ihm auf, dass der Boss das ganze Haus unter Bewachung gestellt hatte: Ein Weiterer seiner Leute saß auf der obersten Stufe des Treppenabsatzes und las La Gazzetta dello Sport; obwohl er infolge einer mysteriösen Krankheit in den letzten Monaten sichtlich abgemagert war, wurde er im Viertel noch immer ’o chiatto, der Dicke, genannt.

      Der Maestro hob grüßend das Kinn und stieg stumm zu seiner Wohnung hinauf.

      Als er die Tür öffnete, saß der Junge auf dem Stuhl im Eingang und wartete. Offenbar hatte er sich nicht von dort weggerührt.

      „Jetz’ kann ich dir sagen, wie die Sache gelaufen is’“, verkündete er.

      Und der Maestro hörte ihm zu.

      Er und Amitranos Sohn Rosario hatten sich mit dem Motorroller in der Via Chiaia postiert und auf einen günstigen Moment gewartet, um ein deutsches Paar, das in der Bar saß, zu beklauen. Nach einer halben Stunde war eine alte Frau aus dem Friseursalon an der Ecke gekommen, der schon von Weitem anzusehen war, dass ihre Handtasche vor Geld platzte. Weil sie es leid waren, auf die Deutschen zu lauern, waren er und sein Kumpel ihr gefolgt und hatten sie noch ein paar Besorgungen machen lassen.

      Als die Frau dann in eine abgeschiedene Seitenstraße eingebogen war, hatten sie beschlossen

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